# taz.de -- Datenschutzbeauftragter zu Überwachung: „Ich sehe immer mehr Kam… | |
> Berlins Datenschutzbeauftragter Alexander Dix warnt vor einer | |
> Gesellschaft, in der die Menschen nicht mehr merken, dass sie permanent | |
> überwacht werden. | |
Bild: Überall wird gefilmt: Überwachungskamera an einem U-Bahnhof | |
taz: Herr Dix, eigentlich sollte ein Kollege dieses Interview führen. Es | |
stellte sich aber heraus, dass er andere in der Redaktion ausspionierte, | |
jetzt ist er gekündigt. Hatten Sie diesen Fall auf dem Schreibtisch? | |
Alexander Dix: Ja. Das Gesetz schreibt vor, dass so ein Datenleck sowohl | |
den Betroffenen als auch der Aufsichtsbehörde mitgeteilt wird. Wir mussten | |
also informiert werden. Auch die Betroffenen hat die taz, soweit ich weiß, | |
intern schnell darauf hingewiesen. | |
Stimmt. Was folgt denn aus einer solchen Meldung bei Ihnen? | |
Wir müssen vorsichtig sein: Die taz ist ein Medienunternehmen, da haben die | |
Datenaufsichtsbehörden nur sehr beschränkte Möglichkeiten. Aber wenn wir | |
feststellen, dass in einem Verlagshaus eklatante Mängel bei der | |
Datensicherheit existieren, würden wir natürlich darauf hinwirken, dass das | |
behoben wird. Nach unseren Informationen handelte es sich in diesem Fall um | |
kriminelle Energie. Dagegen kann man sich nur sehr begrenzt schützen. | |
Der Kollege nutzte einen Keylogger, eine Art USB-Stick, der alles an einem | |
Rechner Geschriebene aufzeichnet, auch die Passwörter. | |
Ich fantasiere jetzt mal: Wenn Ihr IT-System so organisiert wäre, dass | |
jeder Journalist USB-Sticks in die Computer stecken und mit nach Hause | |
nehmen kann, ohne jede Beschränkung, dann wäre das ein drastischer | |
Datenschutzmangel. Da würde ich schon sagen: Das ist eine offene Flanke, | |
die sollte tunlichst geschlossen werden. In der öffentlichen Verwaltung | |
dürfen USB-Sticks zum Beispiel nur von Systemverwaltern eingesteckt werden. | |
Welche Sanktionsmöglichkeiten haben Sie in so einem Fall? | |
Wenn wir so massive Mängel bei einer privaten Firma feststellen, dann | |
können wir sagen: Solange die Mängel nicht behoben sind, dürfen die | |
Computer nicht angestellt werden. Das wäre die radikalste Maßnahme. Das | |
haben wir noch nicht gemacht, aber das Gesetz lässt es zu. | |
Bei Medienunternehmen dürfen Sie das nicht. | |
Da können wir nur die Empfehlung aussprechen, das Sicherheitskonzept zu | |
überarbeiten. | |
Vor wem muss man mehr Angst haben: den eigenen Kollegen oder der NSA? | |
Wenn man einen Kollegen hat, der einen aus welchen Gründen auch immer | |
ausspäht, dann ist das schlimm genug, aber wirklich die Ausnahme. Bei | |
Nachrichtendiensten ist der anhaltende Skandal, dass routinemäßig | |
massenhaft Daten gespeichert werden. Dass weltweit die gesamte | |
Kommunikation auf der Meta-Daten-Ebene registriert wird, treibt mich nach | |
wie vor am meisten um. Das Problem ist, dass wir uns angewöhnt haben, das | |
Internet als sehr komfortables Massenmedium zu nutzen. Dass das Netz | |
prinzipiell unsicher ist, dürfte spätestens seit Snowden evident sein. Es | |
ist erschreckend, dass diese Unsicherheit auch so exzessiv für | |
Überwachungszwecke ausgenutzt wird. | |
Hatten die Snowden-Veröffentlichungen konkrete Folgen für Berlin? | |
Wir haben nach Snowden mit größeren Nachdruck darauf hingewiesen, dass die | |
interne Kommunikation in den Bezirken und den Senatsverwaltungen | |
verschlüsselt werden muss. Auf der verbalen Ebene ist das angekommen. Ich | |
könnte aber nicht meine Hand ins Feuer legen, dass das allenthalben auch | |
geschieht. | |
Sie sind seit zehn Jahren Berliner Datenschutzbeauftragter. Jetzt wollen | |
Sie in den Ruhestand gehen. Was war der gravierendste Verstoß, mit dem Sie | |
es in Ihrer Amtszeit zu tun hatten? | |
Das waren sicherlich die Vorfälle bei der Deutschen Bahn. Die Mitarbeiter | |
wurden massiv in ihrem Kommunikationsverhalten ausgespäht. Informationen | |
waren offenbar aus dem Aufsichtsrat an Journalisten weitergegeben worden. | |
Der damalige Bahnchef Herr Mehdorn wollte genau wissen, wer das war. | |
E-Mails, die rausgingen, wurden live überwacht. Hinzu kam, dass die Bahn | |
personenbezogene Daten zu lange speicherte. Da haben wir dann ein Bußgeld | |
von 1,1 Millionen Euro verhängt. Es ging uns darum, die Unternehmenskultur | |
zu ändern. Ich denke, mit dem neuen Bahnvorstand ist das auch passiert. Das | |
Unternehmen hat seine Lektion gelernt. | |
War es ein gutes Gefühl, so einen Erfolg zu verbuchen und nicht immer nur | |
als der Nörgler aus der Datenschutzbehörde dazustehen? | |
Es hat mich schon zufriedengestellt, dass eine Datenschutzbehörde nicht | |
immer nur wie ein Löwe brüllt und dann als Bettvorleger landet, sondern | |
wirklich auch Zähne zeigen kann. Damit sind wir auch nicht allein. Lange | |
Zeit haben sich die Aufsichtsbehörden darauf beschränkt, mit Unternehmen | |
freundlich zu reden, ihnen mit negativer Öffentlichkeitsarbeit zu drohen. | |
Zunehmend machen sie inzwischen von ihren Sanktionsmöglichkeiten Gebrauch. | |
Ich würde es auch sehr begrüßen, wenn wir Sanktionen gegen Berliner | |
Behörden verhängen könnten. Das geht bislang überhaupt nicht. | |
Seit zehn Jahren ist es Ihr Job, die Daten der Bürgerinnen und Bürger zu | |
schützen. Was treibt Sie an? | |
Ein neuseeländischer Kollege sagte mal: Privatsphäre ist wie die Luft zum | |
Atmen. Man kann sie nicht sehen. Aber wenn sie einem abhandenkommt, wird es | |
wirklich gefährlich. Das hat mich sehr überzeugt. Ich bin kein | |
Maschinenstürmer. Ich weiß, dass Technik den Menschen helfen kann. Aber es | |
ist auch ein existenzielles Bedürfnis eines jeden Menschen, in bestimmten | |
Situation in Ruhe gelassen zu werden. Es geht um die individuelle Freiheit, | |
um Autonomie. Das darf bei der Entwicklung des Internets nicht aus dem | |
Blick verloren werden. | |
Was ist Ihre Sorge? | |
Dass wir in eine Wohlfühlgesellschaft übergehen, in der die Menschen gar | |
nicht mehr merken, dass sie überwacht werden. Unternehmen verfolgen ihre | |
ökonomischen Interessen und gehen davon aus, dass das jeder Mensch toll | |
finden muss. Dabei wird auch der Raum für demokratische Entscheidungen | |
immer enger. | |
Lassen Sie uns konkret werden. In der Stadtentwicklung ist häufig die Rede | |
von sogenannten Smart Cities. Das sollen vernetzte Städte sein, in der die | |
Infrastruktur des öffentlichen Lebens effizienter organisiert wird – | |
nämlich digital. Was ist Ihre Utopie, was Ihre Dystopie einer solchen | |
Stadt? | |
Fangen wir mal mit der Dystopie an. | |
Wirklich? Wir würden gerne etwas Positives hören … | |
Na gut. Wirklich „smart“ ist eine Stadt, wenn sie den Menschen auch in | |
einer technisch aufgerüsteten Umgebung Entscheidungsfreiheiten und | |
Rückzugsmöglichkeiten lässt. Die Voraussetzung für autonome Entscheidungen | |
ist Transparenz. | |
Zum Beispiel? | |
Das fängt an bei der smarten Stromversorgung. Wenn ich einen Stromzähler | |
habe, der mich präzise über meinen Stromverbrauch aufklärt, kann mir das | |
viel nützen. Aber ich möchte darüber entscheiden, welche außenstehenden | |
Instanzen und Unternehmen meinen Stromverbrauch in welcher Präzision | |
nachvollziehen können. Das sind sehr sensible Informationen, die viel über | |
mich aussagen können. | |
Ist das denn so utopisch? | |
Zumindest können wir beobachten, dass Menschen zunehmend in Wohlfühlwelten | |
zurückgelassen werden, wie sie amerikanische Unternehmen propagieren. Da | |
werden den Menschen Dinge angeboten, ohne dass diese wissen, was im | |
Hintergrund mit ihren Daten passiert. Wenn eine Stadt smart sein soll, darf | |
sie das mit ihren Bürgern nicht tun. | |
Da kommen wir auch schon zur Dystopie. | |
Stellen Sie sich vor, dass in Rauchmeldern, die künftig in sämtlichen | |
Wohnungen Pflicht sind, auch Kameras verbaut wären. Für die Feuerwehr wäre | |
das sehr hilfreich, weil sie im Brandfall rasch prüfen könnte, was | |
innerhalb der Wohnung passiert. In dem Maß, in dem Technik in Wohnungen | |
staatlich verordnet verbaut werden muss, ergeben sich auch Möglichkeiten, | |
wie man sie zur Überwachung einsetzen kann. | |
Das betrifft Privatwohnungen. Wie steht es um den öffentlichen Raum? | |
Ich hätte kein Problem damit, wenn Straßenlaternen aufgrund von moderner | |
Sensorik nur dann leuchten, wenn auch wirklich Menschen in der Nähe sind. | |
Allerdings dürfen damit keine Informationen über die einzelnen Menschen | |
gesammelt werden. Kritisch wird es, wo begonnen wird, etwa Gruppen zu | |
beobachten: Wer sind die, was machen die da? Das wüsste mancher | |
Polizeipräsident gerne. Hier kommen wir an eine Grenze. Eine lebenswerte | |
Stadt, in der man sich wohlfühlt, darf keine Stadt sein, in der man an | |
jeder Ecke damit rechnen muss, dass das eigene Verhalten dokumentiert wird. | |
Sie reden vom Predictive Policing – dem polizeilichen Versuch, | |
vorherzusagen, wo als Nächstes Straftaten entstehen könnten. Haben Sie dazu | |
etwas auf dem Schreibtisch? | |
Innensenator Frank Henkel ist dafür sehr aufgeschlossen. Er hat angekündigt | |
zu beobachten, welche Erfahrungen Städte wie Zürich und München damit | |
machen. Da sind wir im Gespräch. | |
Sie haben ein geschultes Auge für Überwachung. Wenn Sie durch die Straßen | |
laufen, was sehen Sie da? | |
Ich sehe immer mehr Kameras. Die meisten dieser Kameras werden von Privaten | |
aufgehängt. Man könnte da durchaus fragen, wer die Kameras überhaupt | |
betreibt. Das ist oft nicht erkennbar. Nun, in gewisser Weise bin ich ja | |
sogar froh, wenn ich Kameras noch sehen kann. Wir nähern uns einem Zustand, | |
in dem wir die Technik, die uns registriert, nicht mehr erkennen können. | |
Geben Sie uns ein Beispiel. | |
In Kanada gab es einen Fall, wo ein Auto statt mit Rückspiegeln mit Kameras | |
ausgestattet war. Diese haben in die Toilette einer Methadon-Klinik | |
gefunkt, das konnte die Fahrerin auf ihrem Bildschirm betrachten. Es ist ja | |
gut für den Autofahrer, wenn er sein Auto leichter aus- und einparken kann. | |
Aber natürlich muss auch darüber nachgedacht werden, in welchem Maße die | |
gesamte Umgebung mit erfasst wird. | |
Wenn Sie eine Kamera sehen, weichen Sie dann aus? | |
Das hängt davon ab, wie interessant ich die Schaufensterauslage finde. Ich | |
will aber die Chance haben, auch ungesehen an einem Geschäft auf dem nicht | |
überwachten Teil des Bürgersteigs vorbeigehen zu können. Das Amtsgericht | |
Mitte hat ja im Fall eines bekannten Kulturkaufhauses entschieden, dass die | |
Kamera nicht mehr als einen Meter des Bürgersteigs vor der Hausfassade | |
abdecken darf. Bewegungsfreiheit im Straßenverkehr beinhaltet auch das | |
Recht, sich unbeobachtet bewegen zu können. Im Datenschutz liegt für Berlin | |
auch eine Chance. | |
Welche denn? | |
Berlin ist eine hochkreative Stadt. Es gibt viele Start-ups, die darüber | |
nachdenken, wie neue Geschäftsmodelle aussehen können, die den Schutz der | |
Privatsphäre einbeziehen. Hier haben europäische Städte auch einen | |
Wettbewerbsvorteil gegenüber amerikanischen Anbietern. | |
Wenn Sie aus dem Amt scheiden, was machen Sie dann mit all Ihrer Zeit? | |
Ich will schon länger Tai-Chi lernen. Und trommeln. Und ich werde mich | |
sicher auch weiterhin für den Datenschutz engagieren. | |
14 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Martin Kaul | |
Antje Lang-Lendorff | |
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