# taz.de -- Keylogger-Affäre in der taz: Warum ich nicht aufatmen kann | |
> Anfang Juni veröffentlichte die taz Recherchen über den Einsatz eines | |
> Spähwerkzeugs in der Redaktion. Jetzt schreibt eine der Betroffenen. | |
Bild: Arbeitsplatz in der taz | |
Als Praktikantin ist man in jedem Betrieb ganz unten in der Hierarchie. Das | |
habe ich auch während meines Praktikums bei der taz vor zwei Jahren | |
gespürt. In so einer Position ist man den Ungleichheiten, die sowieso in | |
der Gesellschaft bestehen, noch eher ausgeliefert – wie zum Beispiel | |
Sexismus. | |
Im Falle von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz schreibt das | |
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: „Tatsächlich | |
ist in den meisten Fällen ein großes Machtgefälle zwischen Tätern und | |
Opfern zu beobachten, besonders oft werden Abhängigkeitsverhältnisse | |
ausgenutzt.“ Die Betroffenen sind meist Frauen ohne berufliche | |
Qualifikation oder solche, die sich in der Probezeit befinden. | |
Ich wurde während meines Praktikums bei der taz nicht sexuell belästigt. | |
Aber zwei Jahre später muss ich feststellen, wie einer der damaligen | |
männlichen Redakteure seine Macht mir gegenüber wohl auf perfide Weise | |
ausgenutzt hat. | |
Über mindestens ein Jahr hinweg, das ist der Recherchestand, zeichnete der | |
damalige taz-Redakteur Sebastian Heiser mithilfe eines Keyloggers heimlich | |
auf, was Kolleg*innen in ihre Tastatur tippten. Von den 23 Ausgespähten, | |
von denen man inzwischen weiß, sind 19 Frauen, die meisten von ihnen | |
ehemalige Praktikantinnen oder Vertretungsredakteurinnen. | |
Die Übrigen waren entweder Vorgesetzte oder Kolleg*innen, mit denen er | |
Probleme hatte. „[1][In der Redaktion atmen viele auf“, heißt es in der | |
Rekonstruktion des Falls in der taz.am wochenende vom 4./5. Juni.] Die | |
Daten seien wohl „nicht aus professionellen Motiven abgefischt worden, | |
sondern aus privaten“. Ich bin eine der Frauen, die als Praktikantin bei | |
der taz ausgespäht wurde. Ich atme nicht auf. | |
## Gemeinsame Undercoverrecherche | |
Bei den regelmäßigen Prakti-Treffen war Sebastian Heiser stets zugegen. An | |
einem der Grillabende auf der Dachterrasse der taz, als sonst niemand mehr | |
im Gebäude war, nahm er uns verbotenerweise mit bis ganz nach oben aufs | |
Dach und erzählte uns im Sonnenuntergang alte taz-Geschichten. Wir | |
wunderten uns etwas, dass er derart regelmäßig seine Feierabende mit uns | |
Praktikant*innen verbrachte, die wir um die 15 Jahre jünger waren als er. | |
Aber wir freuten uns auch, weil wir ihn mit all unseren Fragen zum | |
Journalismus löchern konnten. | |
Nach einem Prakti-Kneipenabend gegen Ende meines Praktikums fragte mich | |
Sebastian, ob ich ihn auf eine Undercoverrecherche begleiten wolle. Es ging | |
darum aufzuzeigen, wie Wohnungsbaugesellschaften illegalerweise persönliche | |
Daten wie Einkommensnachweise oder Nationalität von Mietinteressent*innen | |
verlangen. | |
Wir würden gemeinsam zu Besichtigungsterminen gehen und uns als Paar auf | |
Wohnungssuche ausgeben. Sebastian meinte, er bräuchte mich als Zeugin, für | |
alle Fälle. Den Text würden wir zusammen schreiben, aber unter meinem Namen | |
veröffentlichen, damit ich auch ein Honorar dafür bekäme. Es war nicht das | |
erste Mal, dass er eine Praktikantin auf eine Undercoverrecherche mitnahm. | |
Ich betrachtete sein Angebot als Anerkennung meiner Arbeit. Außerdem klang | |
es nach einer Chance, von einem erfahrenen Journalisten zu lernen und bei | |
der taz als freie Mitarbeiterin anzufangen. Ich organisierte uns die | |
Besichtigungstermine und zusammen fuhren wir einen Tag lang mit der Bahn | |
kreuz und quer durch Berlin. Gegen Mittag musste ich noch ein paar Bücher | |
für meinen Mitbewohner an der Charité abgeben. Ich bot Sebastian an, ihn | |
später wieder zu treffen, doch er bestand darauf, mich zu begleiten. | |
Während der gemeinsamen U-Bahn-Fahrten entwickelten wir die Idee für eine | |
weitere Recherche, wegen der ich mich später noch zweimal nach Feierabend | |
mit ihm im taz-Café traf. Einmal fuhr ich danach zu einer Demo. Er kam mit. | |
Ich hatte ihn immer als etwas sonderlich, aber nie als unangenehm | |
wahrgenommen. An diesem Abend, als ich mich auf der Kundgebung zu meinen | |
Freund*innen stellte und er, etwas fehl am Platz, daneben stehen blieb, | |
wurde mir bewusst: Es ging Sebastian nicht nur um die Zusammenarbeit mit | |
mir. Er suchte anscheinend meine Gesellschaft. | |
## Ekel vor hinterhältigen Machtmissbrauch | |
Nachdem der Keylogger entdeckt worden war, erfuhr ich von meinem früheren | |
Ressortleiter, dass Heiser zur selben Zeit offenbar mein privates | |
E-Mail-Passwort und die Zugangsdaten zu meinem Uni-Account mitgeschnitten | |
hatte – wenn nicht noch mehr. Die Information, dass der Großteil der | |
Ausgespähten junge Praktikantinnen waren, mag bei vielen | |
taz-Mitarbeiter*innen Erleichterung auslösen. | |
Bei mir löst sie Ekel aus. Sie bedeutet für mich, dass ich sehr | |
wahrscheinlich nicht als talentierte Nachwuchsjournalistin, sondern in | |
erster Linie als weiblicher Körper in einer niedrigen Machtposition gesehen | |
wurde. Sie bedeutet, dass mein Vertrauen und meine Hoffnungen, von einem | |
erfahrenen Redakteur anerkannt und gefördert zu werden, auf hinterhältige | |
Weise ausgenutzt wurden. Wahrscheinlich, um sich an dem Gefühl von | |
Kontrolle über mich zu erregen oder zu berauschen, indem er meine privaten | |
E-Mails las. | |
Es gibt keinen Grund, aufzuatmen, auch und gerade nicht für die taz. Dies | |
ist kein Fall von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz, aber die | |
Mechanismen, die dahinterstehen, sind dieselben. 22 Prozent der Frauen | |
wurden laut Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend an | |
ihrem Arbeits- oder Ausbildungsplatz schon mindestens einmal sexuell | |
belästigt. | |
Um das zu verhindern – genauso wie jede andere Form des Machtmissbrauchs –, | |
liegt es in der Verantwortung jedes Betriebs, sehr aufmerksam mit seinen | |
Hierarchien umzugehen und denen Unterstützung zu garantieren, die auf der | |
Hierarchieleiter ganz unten stehen. | |
17 Jun 2016 | |
## LINKS | |
[1] /Keylogger-Affaere-in-der-taz/!5307828/ | |
## AUTOREN | |
Lou Zucker | |
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