# taz.de -- 20 Jahre Ende des Kroatienkriegs: Getrenntes Erinnern an die Opfer | |
> Mit der „Operation Sturm“ wurde 1995 die Krajina zurückerobert und der | |
> Kroatienkrieg beendet. Gedacht wird nun mit getrennten Zeremonien. | |
Bild: Militärparade in Zagreb am 4. August 2015 anlässlich des 20. Jahrestags… | |
VUKOVAR taz | „Es gibt zwei Versionen der Geschichte“, sagt Igor, ein | |
kroatischer Geschäftsmann in Vukovar, der an der Donau gelegenen | |
kroatischen Grenzstadt zu Serbien. Branko pflichtet ihm bei. Er ist Serbe | |
und verdient sein Geld als Aushilfe in einem der sehr schön gelegenen | |
Restaurants am Ufer des großen Stroms. „Glaube nicht alles, was die Kroaten | |
sagen, wenn du über den Krieg in Kroatien 1991 bis 1995 sprechen willst.“ | |
Auch von offizieller Seite ist an ein gemeinsames Erinnern an die Opfer des | |
Krieges nicht zu denken. Es wird zwei Zeremonien geben, um der „Operation | |
Sturm“, die am 5. August 1995 den Kroatienkrieg beendete, zu gedenken. In | |
Kroatien werden die zweitägigen Feiern am Dienstag in der Hauptstadt Zagreb | |
mit einer Militärparade eröffnet. Serbien veranstaltet eine Gedenkzeremonie | |
an der bosnisch-serbischen Grenze, über die viele serbische Flüchtlinge | |
damals nach Serbien kamen. | |
Für die Kroaten stellt die „Operation Sturm“ einen großen Sieg dar. In nur | |
72 Stunden gelang es den kroatischen Truppen, die ehemals überlegenen | |
serbischen Truppen aus Kroatien zu vertreiben. Die Serben hatten bis dahin | |
fast ein Drittel des Landes besetzt gehalten. In Kroatien bedeutet die | |
Militäraktion, bei der 200.000 kroatische Soldaten in Bewegung gesetzt | |
wurden, einen Akt der Befreiung von einer vierjährigen Besatzung. | |
Bei den Feierlichkeiten werden kroatische Redner daran erinnern, dass | |
während der „serbischen Aggression“ 1991 Hunderttausende von Kroaten aus | |
den von Serben eroberten Gebieten vertrieben wurden und fast 15.000 | |
Menschen den Tod fanden. | |
Serbische Redner werden dagegen daran erinnern, dass sich mit dem Zerfall | |
Jugoslawiens und der kroatischen Unabhängigkeitserklärung am 25. Juni 1991 | |
die serbische Minderheit in Kroatien, die 12 Prozent der Bevölkerung | |
ausmachte und in der Krajina sowie in Westslawonien die Mehrheit stellte, | |
in ihrer Existenz bedroht sah. Die Serben Kroatiens seien wie im Zweiten | |
Weltkrieg von nationalistischen Kroaten bedroht gewesen. | |
Der Einmarsch serbischer Freiwilligenverbände 1991 und die jugoslawische | |
Armee hätten die Serben Kroatiens beschützt. Mit der „Operation Sturm“ 19… | |
hätten die Kroaten 200.000 serbische Zivilisten vertrieben, die nach | |
Bosnien und Herzegowina sowie Serbien fliehen mussten. | |
## Vorerst keine gemeinsame Aufarbeitung | |
Erste Schritte zu einer gemeinsamen Aufarbeitung der Geschichte wird es | |
auch dieses Jahr nicht geben. Die kroatische Seite entgegnet, dass kaum | |
vier Wochen vor der Offensive der kroatischen Truppen die Serben den | |
Genozid in der bosnischen Enklave Srebrenica zu verantworten hätten, wo | |
über 8.000 Männer und Jungen ermordet wurden. Während der militärisch viel | |
größeren „Operation Sturm“ dagegen seien lediglich 350 Zivilisten ums Leb… | |
gekommen. | |
Tatsache ist, dass die von Nato-Militärs unterstützten kroatischen Generäle | |
Fluchtkorridore für die serbischen Truppen und die serbische Bevölkerung | |
eingeplant hatten, weswegen die Zahl der Opfer relativ gering ausfiel, | |
während die serbischen Truppen in Srebrenica an Fluchtkorridore gar nicht | |
dachten. | |
Die von Serben besetzten Teile Ostslawoniens, zu der die Stadt Vukovar | |
gehörte, wurden 1995 nicht militärisch zurückerobert. Unter der Ägide der | |
UNO wurde verhandelt, im Vertrag von Erdut wurde das Gebiet 1998 wieder | |
Kroatien zugeschlagen. Die dort lebenden Serben konnten aber in der Region | |
bleiben, 30 Prozent der Bevölkerung Vukovars sind Serben. Doch leben die | |
Bevölkerungsgruppen in der Regel getrennt, in den Schulen lernen serbische | |
Kinder die eine, kroatische Kinder die andere Version der Geschichte. Nur | |
Menschenrechtler beider Seiten versuchen Brücken zu bauen – oftmals | |
vergeblich. | |
5 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Erich Rathfelder | |
## TAGS | |
Kroatien | |
Jugoslawien-Krieg | |
Ex-Jugoslawien | |
Erinnerungskultur | |
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg | |
Holocaust-Gedenktag | |
Serbien | |
Ratko Mladić | |
Ex-Jugoslawien | |
Urteil | |
Nationalismus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kriegsverbrechen der Wehrmacht: Italienische Tote im märkischen Sand | |
Kurz vor Kriegsende werden italienische Zwangsarbeiter in Brandenburg | |
ermordet. Eine neue Webdoku rekonstruiert ihre Geschichte. | |
„Kunst aus dem Holocaust“ in Berlin: Zeugnisse des Leids | |
Jetzt im Deutschen Historischen Museum in Berlin: „Kunst aus dem Holocaust“ | |
– 100 Werke aus der Gedenkstätte Yad Vashem. | |
Angriff auf kroatische Serben 1995: Der Geruch der Leere | |
Unser Autor war vor 20 Jahren in Kroatien. Aktuelle Bilder aus | |
Konfliktregionen lassen die (Sinnes-)Eindrücke bei ihm wieder aufleben. | |
Massenmord in Ex-Jugoslawien: Auf ewig getrennt | |
Vor zwanzig Jahren fand in Srebrenica das schlimmste Massaker seit 1945 | |
statt. Das Motiv war Rache – und politisches Kalkül. | |
Kommentar EU und Ex-Jugoslawien: Der tiefe Fall Mazedoniens | |
Mazedonien pendelt zwischen Mini-Schurkenstaat und Bananenrepublik. Dabei | |
gab die Staatsgründung mal Anlass zur Hoffnung. | |
20 Jahre nach Völkermord in Srebrenica: UN-Tribunal verurteilt Ex-General | |
Bei dem Massaker in Srebrenica nahm Zdravko Tolimir eine zentrale Rolle | |
ein. Das UN-Tribunal verurteilte den heute 66-Jähren zu lebenslanger Haft. | |
Kriegsverbrechen in Ex-Jugoslawien: „Freiwillig gehe ich da nicht hin“ | |
Trotzig regiert der Nationalist Vojislav Seselj auf die Entscheidung des | |
UN-Tribunals, ihn wieder zu inhaftieren. Belgrad ist das das äußerst | |
peinlich. |