| # taz.de -- Parade im Wendland: Wo es kein Zurück gibt | |
| > Die schwulen Aktivisten Yartsev und Chunosov flohen aus Russland. Ihr | |
| > Leben passte in zwei Koffer. Der CSD im Wendland ist für sie wie ein | |
| > Heimspiel. | |
| Bild: Das Wendland hat die kleinste CSD-Parade, Hamburg den jüngsten Teilnehme… | |
| Hamburg taz | Ein Himmel, so weit wie aus einem Ferienkatalog, erstreckt | |
| sich über dem Herrenhaus in Salderatzen: „Daddy Cool“ scheppert aus den | |
| Boxen, Männer giggeln beim Luftballonaufblasen, tackern Girlanden an | |
| Trecker; die Luft riecht nach Sekt und nach einem leichten Schwips. Dimitri | |
| Chunosov, blond, gemütliches Gesicht, ist ein Mensch, bei dem das Lächeln | |
| sonst fast immer in den Augenwinkeln wartet. Jetzt muss er weinen. | |
| Früher passierte das nie, sagt er. Nicht, als er in Moskau mit kaum einem | |
| Dutzend anderer vor hunderten Gegendemonstranten eine Regenbogenfahne | |
| schwenkte, um für gleichgeschlechtliche Ehe zu demonstrieren und ein Freund | |
| von ihm zusammengetreten wurde. Oder als ein Polizist ihn mit dem Knüppel | |
| einen lila Striemen am Bauch verpasste. | |
| Heute aber, anderthalb Jahre nach seiner Flucht aus Russland, das für ihn | |
| als schwulen Aktivisten zu gefährlich wurde, kommen die Gefühle hoch. Keine | |
| schlechten Gefühle, sagt Ivan. Einfach nur Gefühle. Auch hier, beim Feiern. | |
| Oder: Gerade hier, beim Christopher-Street-Day (CSD) im Wendland, bei dem | |
| fünf Wagen mit sechzig Teilnehmern von Salderatzen aus drei Kilometer lang | |
| an Kartoffelfeldern vorbeituckern. | |
| Eine kleine Parade, bei der Männer in oberschenkelkurzen Karoröcken in | |
| Highheels über Schotterwege staksen, die neben Kuhweiden in pastellfarbenen | |
| Ganzkörperanzügen Zepter mit rotierender Discokugel kreisen lassen. | |
| Und bei der Dimitris Ehemann Ivan Yartsev, feine Gesichtszüge und | |
| igelbraune Augen, als Adjudant des schwulen Heidekönigs mitfährt. In | |
| weißem, bauschigen Hemd und lila Heidesträußchen an der Brust Kondome an | |
| die Wendländer verteilt. | |
| Als Dimitri Ivan im Oktober 2013 einen Heiratsantrag machte, stand schon | |
| seit über einem Jahr ein Notkoffer bei einer Freundin. Nicht einer mit | |
| Zahnbürste und Unterwäsche. Sondern mit Festplatten, auf denen Videos und | |
| Fotos gespeichert waren, von Protestvorbereitungen, | |
| Kampagnenorganisationen. | |
| In den letzten Jahren, sagt Dimitri, merkte er, dass es schwieriger für ihn | |
| wurde. Im August 2013 warten nach einem Gerichtstermin Soldaten auf ihn, | |
| Männer mit Baretts und in Telnjaschkas, den blau-weiß-gestreiften | |
| Unterhemden der russischen Armee. Das Video hat Dimitri noch immer auf | |
| seiner Festplatte: Als Dimitri ins Taxi steigen will, rennen sie los, | |
| treten in den Beifahrersitz, ziehen Dimitri fast heraus. | |
| Die Polizisten, die auch da sind, halten sie erst zurück, als sie schon | |
| längst zugetreten haben. Umfragen belegen seit Jahren eine steigende | |
| Ablehnung gegenüber Homosexuellen in der Bevölkerung. Unter Putin wurde | |
| Homophobie nach und nach in einen rechtlichen Rahmen eingebettet: Im Januar | |
| 2013 wurde das Gesetz gegen sogenannte „Homosexuellen-Propaganda“ in erster | |
| Lesung angenommen. Wenn Medien neutral oder positiv über Homosexualität | |
| berichten oder Aktivisten Demonstrationen wie den CSD organisieren, müssen | |
| sie mit hohen Strafen rechnen. | |
| Weil gleichgeschlechtliche Partnerschaften in Russland nicht anerkannt | |
| werden, wollen Dimitri und Ivan am 25. Januar 2014 nach Berlin fliegen und | |
| von da nach Kopenhagen, um sich trauen zu lassen. Eine Hochzeitsreise. Zehn | |
| Tage Ferien in Berlin, davon für zwei Tage mit Easyjet nach Kopenhagen; die | |
| Papiere sind geschickt, das Visum beantragt. | |
| 14 Tage vorher ändert sich alles. Ein Tag, an den Ivan sich nur noch in | |
| Fetzen erinnert: Daran, dass er nach der Arbeit Schuhe kaufen ging. Dass er | |
| mit den Tüten in der Straßenbahn stand, als Dimitri anrief, der nur sagte, | |
| dass ihn die Polizei angerufen habe und er vorgeladen wurde. | |
| Es liefe ein neuer Prozess gegen ihn. Dass Ivan nicht viel sagen wollte, | |
| aus Angst, abgehört zu werden. Dass sie später daheim vor Aufregung nicht | |
| kochen konnten und irgendwann kalte Erbsen und Fisch aus Konserven | |
| löffelten. | |
| Irgendwann an dem Abend sagte Dimitri: „Wenn wir nach Deutschland fliegen, | |
| komme ich nicht zurück.“ Und fragte auch: „Kommst du mit?“ Ivan hatte in | |
| Russland nichts zu befürchten. Er hatte Freunde und eine Familie, bei der | |
| er und Dimitri die Ferien verbrachten, als IT-Ingenieur auch eine Karriere. | |
| Am Montag kündigte er. „Das bedeutet es doch, ein Ehemann zu sein“, sagt | |
| Ivan. „Entschuldigung“, sagt er, „aber ich hatte ihn doch gefunden.“ | |
| 15 Tage haben sie Zeit, dann geht der Flug. „Das ist nicht viel, wenn du | |
| mit einem Leben Schluss machen willst“, sagt Dimitri. Ivan arbeitet noch, | |
| Dimitri berät sich mit Anwälten, ihm gelingt es, den Tag der Vorladung zu | |
| verzögern. Möbel bleiben einfach stehen in der Wohnung, Klamotten werden | |
| verschenkt. | |
| Das alte Leben muss am Ende in zwei Koffer passen, Laptops, Kamera, das | |
| Nötigste an Kleidung. Der letzte Moment Anspannung, als sie in Moskau an | |
| der Passkontrolle stehen und die Grenzbeamtin noch telefonierte, als sie | |
| Ivans Pass in den Händen hielt. Beine aus Blei, sagt Ivan. Kein Blick | |
| zurück, nur Erleichterungsweinen, nachdem die Beamtin den Stempel in den | |
| Pass drückte. | |
| Ein Stück Glück in den Wochen nach der Flucht: Ivans und Dimitris | |
| Hochzeitstag, festgehalten auf einem wackligen Video: Beide im dunklen | |
| Anzug vor einem dänischen Standesbeamten, der die Papiere zurechtschiebt, | |
| Ivan verspricht sich, „I will“ statt „I do“, Dimitri, der ihn zur | |
| Beruhigung küsst, lächelt. | |
| Unter dem Glück wartet die Angst vor der Zukunft in einem Land, das Ivan | |
| und Dimitri noch nie betreten haben, dessen Sprache sie nur aus Filmen über | |
| den Zweiten Weltkrieg kennen. Eine Freundin erzählt, dass sie im | |
| Flüchtlingsheim vergewaltigt wurde, andere von Prügeln, weil sie zu kurze | |
| Hosen tragen. Am letztmöglichen Tag beantragen sie Asyl. | |
| Es folgt ein Monat in Friedland, dann knapp ein Jahr im Flüchtlingsheim in | |
| Lüneburg, aber immer haben sie ein Zimmer nur zu zweit. Seit ein paar | |
| Monaten leben Dimitri und Ivan in einer eigenen Zweizimmerwohnung, fünf | |
| Minuten Gehweg von der Fußgängerzone entfernt. Im Nachhinein, sagt Ivan, | |
| hatten sie Glück: Fanden über die Aids-Hilfe Freunde, die ihnen bei den | |
| Behördengängen halfen, die für sie telefonierten, als sie eine Wohnung | |
| suchten. | |
| Ivan sagt: „Das Leben ist anders.“ Früher arbeitete er jeden Tag acht | |
| Stunden, traf sich dann mit Freunden in der Kneipe. Ivan kämpfte mehr mit | |
| der Leere: „Jetzt sind die Tage kleiner.“ Kochen, essen, spülen, dreimal in | |
| der Woche Deutschkurs, ein Termin bei der Flüchtlingsbehörde ist manchmal | |
| der einzige für den ganzen Tag. | |
| Dimitri sagt: „Viel besser ist das Leben hier.“ In Salderatzen scheint das | |
| Leben leicht an diesem Samstag, der CSD ist wie ein Heimspiel in | |
| Deutschlands alternativer Provinz. Nur in Groß Gaddau beschwert sich ein | |
| Mann, als einer einen Flyer für ein schwules Oktoberfest in einen | |
| Briefkasten werfen will, das habe da nichts zu suchen. Für Dimitri ist das | |
| nicht Homophobie. Er ist anderes gewöhnt, sagt: „Moskau ist viel mehr Dorf | |
| als jedes Dorf in Deutschland.“ | |
| Später, als die fünf Wagen wieder auf dem Hof des Herrenhauses in | |
| Salderatzen stehen, liegt die Klarheit nach einem Unwetter in der Luft; | |
| kurz vorm Ankommen bauten sich plötzlich Wolken am Horizont auf, wirbelten | |
| dunkle Blätter durch die Luft und machte der Regen Ivan auf seinem Wagen | |
| klatschnass. | |
| Ivan und Dimitri liegen auf einer Holzliege im hohen Gras; neben ihnen wird | |
| gerade das Handtaschenweitwerfen vorbereitet. Bald wird sich etwas ändern | |
| für sie, die Bestätigung lag vor ein paar Tagen im Briefkasten: Das | |
| Asylgesuch wurde vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge anerkannt. Für | |
| beide. Bald wird etwas in Bewegung kommen in ihrem Leben. Im Moment aber | |
| liegt Vanja in Dimitris Arm. Vor ihnen nur der weite Himmel und die | |
| Wolkenschlieren. | |
| 3 Aug 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Eva Thoene | |
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