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# taz.de -- Wie Flüchtlinge nach Berlin kommen: „Fluchthelfer oder Schlepper…
> Das Bild des Fluchthelfers hat sich gewandelt. Wieso, erklärt Georg
> Classen, Mitarbeiter des Berliner Flüchtlingsrats und Experte für
> Flüchtlingssozialrecht.
Bild: Ob ihr Fluchthelfer noch mit im Boot sitzt? Flüchtlinge vor der griechis…
taz: Herr Classen, wieder einmal steht in Berlin ein Mann vor Gericht, der
gegen Geld syrische Flüchtlinge von Italien nach Deutschland geschleust
haben soll. Finden Sie das strafwürdig?
Georg Classen: Geflüchtete waren zu allen Zeiten auf Fluchthelfer
angewiesen. Ideal wären nichtkommerzielle Fluchthelfer, wie es sie etwa zur
Nazizeit gab. Da hat die Organisation des US-Journalisten Varian Fry in
Marseille viele Deutsche, darunter Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger oder
Max Ernst aus Nazi-Europa herausgeschleust und so ihr Leben gerettet.
Spätestens seit DDR-Zeiten sind bei der Fluchthilfe auch viele kommerzielle
Organisationen unterwegs. Strafwürdig sein darf Fluchthilfe meines
Erachtens allenfalls, wenn Leben und Gesundheit der Geflüchteten bewusst in
Gefahr gebracht werden.
Wie waren DDR-Schleuser angesehen?
Die Flucht im Kofferraum aus der DDR, die Fahrt übers Mittelmeer oder der
Weg über eine durch das Militär bewachte Grenze birgt Risiken für
Geflüchtete und ihre Helfer, nach denen sich auch der Preis der Fluchthilfe
richtet. Die DDR hat das als Verbrechen und Menschenhandel bezeichnet und
bestraft, während die BRD sagte, Fluchthilfe sei eine ehrenwerte Tätigkeit.
Der Bundesgerichtshof hat 1977 geurteilt, dass Fluchthelfer einen
einklagbaren Vergütungsanspruch haben.
Wie kommt es, dass sich das Bild des Schleusers oder Fluchthelfers so
gewandelt hat?
Das ist offensichtlich ein sehr stark politisch geprägter Begriff.
Fluchthelfer werden im Herkunftsland, in Transit- und Zielländern benötigt,
um der Gefahr durch Krieg, Folter und politische Verfolgung zu entrinnen.
Um von der eigenen Verantwortung für das Sterben an den EU-Grenzen
abzulenken, mussten die EU-Ratsmitglieder einen Sündenbock finden: die
Schlepper.
Wie erklären Sie sich diesen Widerspruch: Einerseits nimmt man syrische
Flüchtlinge bereitwillig auf, andererseits verurteilt man ihre
Fluchthelfer?
Im beim Landgericht verhandelten Fall geht es um Menschen aus Syrien, die
auf jeden Fall Anspruch auf Flüchtlingsanerkennung und die entsprechende
Versorgung haben. Die gibt es in Italien nicht. Darum haben diese
Flüchtlinge berechtigte Gründe, hierher zu kommen. Dabei darf laut Artikel
31 der Genfer Flüchtlingskonvention die illegale Einreise von Flüchtlingen
nicht bestraft werden. Wenn sie sich dabei Helfer bedienen müssen, ist das
ihrer Notlage geschuldet. Und wo Bedarf ist, gibt es einen Markt. Natürlich
gibt es etwa im Mittelmeer auch verbrecherische Schleuser, die
seeuntaugliche Billigschlauchboote benutzen. Aber diese Strukturen sind
Folge der europäischen Abschottungspolitik.
Kann man als Flüchtling, etwa aus Syrien, überhaupt ohne Schleuser nach
Deutschland, nach Berlin kommen?
Um übers Mittelmeer oder auf den Landweg in die EU zu kommen, muss man für
einen Schleuser zahlen oder jemanden, der einen gefälschte Pässe oder Visa
besorgen kann. Häufig sind es MigrantInnen selbst, die sich die nächste
Fluchtetappe finanzieren, indem sie ihre Erfahrungen an andere weitergeben
und diese einen Reiseabschnitt lang schleusen. Uns erreichen auch Anrufe
von Menschen, die in Berlin leben und ihre in Italien oder Ungarn
angekommenen Verwandten mit dem Auto abholen wollen.
Die Europäische Union will jetzt „Schleuserbanden“ im Mittelmeer rigoros
bekämpfen. Warum hängt die Politik das Thema so hoch?
Statt Hilfe bei Seenot zu gewährleisten, lässt die EU die Geflüchteten im
Mittelmeer ertrinken. Man muss Fähren für Flüchtlinge schaffen, statt immer
neue Zäune um Europa zu bauen und das Militär loszuschicken. Wenn man
Flüchtlingen die legale Einreise erlaubt, braucht es auch keine
Fluchthelfer und Schlepper mehr.
23 Jul 2015
## AUTOREN
Susanne Memarnia
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