| # taz.de -- Merkel und das Mädchen: Dulden, bleiben oder abschieben | |
| > Wie geht es mit der 14-jährigen Reem weiter, die beim Gespräch mit der | |
| > Bundeskanzlerin in Tränen ausbrach? Es gibt verschiedene Szenarien. | |
| Bild: Angela Merkel geht während des Gesprächs zu Reem, um sie zu trösten. | |
| Berlin taz | [1][Das Video von Angela Merkel und der weinenden Schülerin | |
| Reem], die Angst vor einer Abschiebung hat, sorgte bundesweit für Aufsehen. | |
| Nun fragen viele nach der Zukunft des Mädchens. | |
| Die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, sieht Chancen, | |
| dass die Schülerin in Deutschland bleiben darf. „Ich kenne natürlich nicht | |
| die persönlichen Umstände des Mädchens, aber sie spricht perfekt Deutsch | |
| und lebt offenbar schon länger hier. Genau für diese Lebenslagen haben wir | |
| gerade das Gesetz geändert, damit hier integrierte Jugendliche eine | |
| Perspektive bei uns bekommen“, sagte die SPD-Politikerin gegenüber „Spiegel | |
| Online“. Ob Reem und ihre Familie in Deutschland bleiben können, hängt von | |
| verschiedenen Faktoren ab. Bei einem Asylantrag entscheidet der Einzelfall | |
| und auch das Bleiberecht für Geduldete ist komplex. | |
| Das palästinensische Mädchen Reem aus dem Libanon hatte der Bundeskanzlerin | |
| bei einem Bürgerdialog in einer Rostocker Schule erzählt, dass sie seit | |
| vier Jahren in Rostock zur Schule gehe, ihr Deutsch ist akzentfrei. Dann | |
| hatte sie zu weinen begonnen und erzählt, dass die Abschiebung in den | |
| Libanon drohe. Es folgte, was in den Medien für einiges Entsetzen sorgte: | |
| Merkels Streichler und die gleichzeitige Ansage: „Wir können nicht alle | |
| aufnehmen.“ | |
| Viele fragen nun: Warum droht einem so gut integrierten Menschen, der von | |
| einer Zukunft in Deutschland träumt, die Abschiebung? Grundsätzlich gilt | |
| der Libanon als sicheres Land, in das Menschen abgeschoben werden können. | |
| Zwar leben vor allem Palästinser dort unter schwierigsten Bedingungen, oft | |
| seit Generationen in Flüchtlingslagern – das allein ist in der Regel aber | |
| kein Grund für einen Aufenthaltsstatus in Deutschland. | |
| ## Politisch oder aus religiösen Gründen verfolgt | |
| Trotzdem wäre es möglich, ein Bleiberecht zu bekommen. Wenn zum Beispiel | |
| die Eltern politisch aktiv waren und deshalb verfolgt oder aufgrund ihrer | |
| Religion massiv diskriminiert wurden. Die Familie der Schülerin Reem hat | |
| einen solchen Aufenthaltstitel bisher nicht. Trotzdem lebt sie seit vier | |
| Jahren in Deutschland – in einem unsicheren Schwebezustand. Die Schülerin | |
| kann ihre Zukunft nicht planen, ihr Vater findet keine Arbeit und täglich | |
| droht die Ankündigung, dass alles was sie sich in Deutschland aufgebaut | |
| haben, umsonst war. „Duldung“ heißt der rechtliche Status für diesen | |
| Unsicherheitszustand. | |
| Geduldet sind Menschen in Deutschland dann, wenn sie eigentlich keinen | |
| Anspruch auf Asyl haben, gleichzeitig aber nicht abgeschoben werden können. | |
| Der Asylrechtsanwalt Martin Manzel berichtet, dass gerade im Fall von | |
| Menschen aus dem Libanon oft fehlende Dokumente der Grund für diesen Status | |
| sind. Dort würden nur selten Reisepässe ausgestellt. In Deutschland führe | |
| das dazu, dass die Menschen nicht zweifelsfrei identifiziert und deshalb | |
| nicht abgeschoben werden könnten. Immer wieder wird unterstellt, | |
| Flüchtlinge würden ihren Pass absichtlich wegwerfen. Ohne Papiere dürfen | |
| die Geduldeten meist nicht arbeiten, haben kein Recht auf Arbeitslosengeld | |
| und eine Krankenversicherung, die nur das absolut Nötigste abdeckt. | |
| ## Bessere Chancen für Geduldete | |
| „Die politische Vorgabe ist, diese Menschen nicht zum Teil der Gesellschaft | |
| werden zu lassen“, sagt Anwalt Manzel. Reem erzählte während des | |
| Bürgerdialogs, dass ihre Familie nun Reisepässe von der libanesischen | |
| Botschaft in Berlin bekommen habe. Eigentlich könnten sie jetzt viel | |
| schneller abgeschoben werden. Das neue Asyl- und Bleiberecht allerdings | |
| verbessert für einige Geduldete die Chance auf ein dauerhaftes Leben in | |
| Deutschland. Ganz nach dem Motto „gute Ausländer, schlechte Ausländer“ | |
| erklärte Innenminister Thomas de Maizière die neuen Regelungen so: | |
| „Bleiberecht für gut integrierte und rechtstreue Ausländer einerseits und | |
| Aufenthaltsbeendigung für diejenigen, die nicht schutzbedürftig sind, | |
| andererseits.“ | |
| Neu ist, dass geduldete Menschen ohne Kinder nach acht Jahren in | |
| Deutschland einen Aufenthaltstitel bekommen können, Familien mit | |
| minderjährigen Kindern schon nach sechs Jahren. Jugendliche, die in | |
| Deutschland zur Schule gehen, können schon nach vier Jahren ein Bleiberecht | |
| bekommen. Das müsste auch für Reem gelten. Allerdings wird die 14-Jährige | |
| wohl kaum alleine in Deutschland bleiben. Und für die Eltern sieht das | |
| Ganze noch einmal anders aus. Sie dürften nach sechs Jahren Duldung | |
| bleiben, wenn sie ihren Lebenunterhalt „überwiegend durch Erwerbsarbeit | |
| sichern.“ Doch sie sind erst vier Jahre hier. | |
| Gleichzeitig sollen nach dem neuen Gesetz Ausweisungen schneller | |
| durchgeführt und illegal nach Deutschland eingereiste Flüchtlinge in | |
| Abschiebehaft genommen werden können. Rechtsanwalt Manzel spricht von einem | |
| „völlig perversen Gesetz“. | |
| ## Engagement von Politikern | |
| Unabhängig von dem neuen Gesetz könnten sich Politiker für das Mädchen | |
| einsetzen. „Es gibt immer die Möglichkeit, dass oberste Behörden, | |
| beispielsweise der Innensenator, im Einzelfall ein Bleiberecht erwirken“, | |
| sagt Manzel. Rostocks Oberbürgermeister Roland Methling (parteilos) | |
| kündigte am Freitag bereits an: „Diese Familie, und das gilt auch für | |
| weitere vergleichbare Fälle, wird bis auf weiteres von der Hansestadt | |
| Rostock keinen Ausweisungsbescheid übergeben bekommen.“ | |
| Gut möglich, dass die Schülerin, deren Schicksal so viele Menschen | |
| erschüttert hat, dauerhaft in Deutschland bleiben darf. Für die meisten | |
| anderen bleibt die Unsicherheit und die willkürliche Praxis in den | |
| Ausländerbehörden. „Der Job einiger Beamter dort ist es, Menschen | |
| abzuschieben. Das läuft knallhart ab“, sagt Rechtsanwalt Manzel. Dort werde | |
| das Einzelschicksal hinter dem Fall oft nicht gesehen. | |
| 17 Jul 2015 | |
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| [1] https://youtu.be/-NWHgUZXBdU | |
| ## AUTOREN | |
| Josephine Schulz | |
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