Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Debatte Urteil zum Betreuungsgeld: Die falsche Milliarde
> Am Dienstag klärt sich, ob das Betreuungsgeld verfassungskonform ist. Das
> Geld, um das es dabei geht, könnte besser ausgegeben werden.
Bild: Dafür ist das Sommerloch gut: ideologiegeladene Debatten und schnell get…
Jetzt wird’s wieder persönlich. Wenn das Bundesverfassungsgericht in
Karlsruhe am Dienstag entscheidet, ob das 2013 eingeführte Betreuungsgeld
verfassungsgemäß ist, geht sie wieder los, die Debatte über Lebensmodelle
und Leitbilder, über Herdprämie, „gute“ Kindererziehung, Rabeneltern und
„richtige“ Familien. Für die nächsten Tage dürfen wir mit wortreichen,
ideologisch aufgeladen Diskussionen rechnen. Leg die Schienbeinschoner an,
Baby, es ist Sommerloch: Es kann hart werden und auf die Knochen gehen.
Vor allem für Mütter. Sie sind es schließlich, die in den allermeisten
Fällen zu Hause bleiben und über das Betreuungsgeld, also eine relativ
geringfügige Summe, motiviert werden sollen, nach der Geburt eines Kindes
ihre Berufstätigkeit zu unterbrechen oder ganz aufzugeben. Dabei liegt
speziell ihre Erwerbstätigkeit der Politik besonders am Herzen.
Es sind die Mütter, die aufgrund von Sorgetätigkeiten Pausen in ihrer
Erwerbsbiografie haben. Pausen, die nach der Erziehungsphase zu meist
großen Unterschieden zwischen den Löhnen von Frauen und Männern führen.
Unterschiede, die sich durch das gesamte Erwerbsleben der Frauen bis ins
Rentenalter ziehen. Insofern ist es nicht von der Hand zu weisen, wenn in
der Verfassungsklage des rot-grünen Senats in Hamburg auch kritisiert wird,
dass das Betreuungsgeld den Grundsatz der Gleichheit von Mann und Frau
verletze und es eine verfassungswidrige Benachteiligung von Frauen
darstelle.
Dennoch müsste es keine Ideologiedebatte werden, denn verhandelt wird in
Karlsruhe in der Hauptsache eine rein juristische Frage: Ist der Bund
überhaupt dafür zuständig, das Betreuungsgeld auszubezahlen?
Hamburg hatte mit seiner Klage verfassungsrechtliche Bedenken geltend
gemacht, dass der Bund mit der Einführung des Betreuungsgeldes seine
Kompetenzen überschritten habe, weil für derartige Leistungsgesetze die
Bundesländer zuständig sind. Nach den bisherigen Äußerungen der
Bundesrichter bei der mündlichen Verhandlung kann damit gerechnet werden,
dass diese den Bund für das Betreuungsgeld für nicht zuständig erklären. In
der Konsequenz müsste das Betreuungsgeld als Leistung des Bundes dann
abgeschafft werden.
## Alleinerziehende unterstützen
Laut [1][einer repräsentativen Umfrage zum Betreuungsgeld], die die
Heinrich-Böll-Stiftung Anfang Mai in Auftrag gegeben hat, würden 38 Prozent
der Bürgerinnen und Bürger eine solche Entscheidung begrüßen. 32 Prozent
hielten ein solches Urteil für falsch, 30 Prozent sind unschlüssig. Das ist
keine Geschlechterfrage – bei beiden Geschlechtern gibt es ähnliche
Zustimmungswerte zur Abschaffung (40 Prozent bei den Männern, 37 Prozent
bei den Frauen) – , die Unterschiede hängen vielmehr sehr deutlich ab von
Parteipräferenz, religiösen Bindungen und den jeweiligen Ost-West-Regionen.
Die Ausgaben für das Betreuungsgeld belaufen sich derzeit auf etwa eine
Milliarde Euro pro Jahr. Für den Fall, dass Karlsruhe das Betreuungsgeld
für verfassungswidrig erklärt, stellt sich die Frage, was mit dem Geld
passiert. Aus Bayern war bereits die Forderung zu hören, dass der Bund den
Ländern die Mittel zur Verfügung stellen solle und diese in Zukunft selbst
über die Vergabe entscheiden. Bayern würde damit das Betreuungsgeld
weiterzahlen.
Die Einführung eines Betreuungsgeldes durch das jeweilige Bundesland könnte
ein gangbarer Weg sein – wenn er denn verfassungskonform ist. Bei der
Mehrheit der Befragten jedoch stößt ein solcher föderaler Strauß auf
Ablehnung: 51 Prozent sprechen sich dagegen aus, dass jedes Bundesland für
sich über die Vergabe entscheiden sollte. So übrigens auch in Bayern und
Baden-Württemberg, den einzigen Bundesländern, in denen mehr Eltern
Betreuungsgeld beziehen als Kitaplätze in Anspruch nehmen.
Das Gros der Befragten plädiert dafür, dass mit den entsprechenden
Steuermitteln in Höhe von rund einer Milliarde Euro pro Jahr andere
familienpolitische Leistungen finanziert würden: Qualitätsverbesserungen
bei der Kitabetreuung, der Ausbau von Freizeitangeboten für Kinder und
Jugendliche. Eine stärkere Unterstützung Alleinerziehender sowie
kostenloses Schul- und Kitaessen sowie eine generell kostenlose Nutzung des
öffentlichen Nahverkehrs für Kinder unter 14 Jahren gehören nach Meinung
der Mehrheit der Befragten ebenso zu den fünf wichtigsten
familienpolitischen Maßnahmen. Geringe Akzeptanz findet hingegen eine
zeitliche oder finanzielle Aufstockung des Elterngeldes; von allen
vorgeschlagenen Maßnahmen bekamen diese beiden die geringste Zustimmung.
## Keine Leitbilddebatte
Jenseits der Ideologie zeigt die Realität, dass sich die Bedürfnisse von
Menschen mit Kindern ähneln, auch wenn ihre Lebenssituation und ihre
Familienformen ganz unterschiedlich sind. Diese konkreten Bedürfnissen der
Familien liegen, das zeigen die Zahlen, nicht ausschließlich (noch nicht
einmal vornehmlich!) in Transferleistungen, die in das Einkommen eines
Haushalts einfließen. Zentral sind alltägliche Aspekte von Teilhabe.
Die kritische Haltung zum Betreuungsgeld sowie zu einem Ausbau des
Elterngeldes zeigt, dass sich die meisten Menschen eine gerechtere und
lebensnähere Familienförderung wünschen. Statt Anreizen, Kinder zu Hause zu
betreuen, will die überwiegende Mehrheit der Befragten Verbesserungen von
Dingen, die das Alltagsleben von Familien vereinfachen und die
Vereinbarkeit von Beruf und Familie fördern. Wenn schon Geldleistungen,
dann, so das Plädoyer der Befragten, für diejenigen, die sie am
dringendsten benötigen: die Alleinerziehenden, die noch immer ein
zunehmendes Armutsrisiko haben.
Mütter und Väter brauchen keine Leitbilddebatte, keine Ideologiediskussion,
sondern existenzielle Sicherheit und ein stabiles Netz, um ihren Alltag
bewältigen zu können. Und sie brauchen Zeit: für sich selbst und für ein
familiäres Miteinander. Das sollte mit oder ohne Betreuungsgeld möglich
sein, in Unterhachingen ebenso wie in Mönchengladbach, Rostock, Erfurt oder
Berlin. Dafür muss Politik gemacht werden.
Dafür lohnt es sich, zu streiten und die Schienbeinschoner anzulegen.
21 Jul 2015
## LINKS
[1] http://www.boell.de/de/2015/05/11/familienpolitik-auf-dem-pruefstand
## AUTOREN
Dorothee Schulte-Basta
## TAGS
Betreuungsgeld
Herdprämie
Bundesverfassungsgericht
Bayern
Betreuungsgeld
Betreuungsgeld
Länder
BVerfG
Pkw-Maut
## ARTIKEL ZUM THEMA
Nach dem Ende der Herdprämie: Bayern bleibt Bayern
Bundesregierung, Landesregierungen, Parteien und Sozialverbände feiern das
Ende des Betreuungsgeldes. Nur die CSU will es weiterzahlen.
Kommentar Urteil zum Betreuungsgeld: Jetzt muss der Kitaausbau kommen
Das Bundesverfassungsgericht hat das Betreuungsgeld für rechtswidrig
erklärt. Die Millionen, die nun frei werden, werden dringend benötigt.
Verfassungsgericht über Betreuungsgeld: Herdprämie gekippt
Das Bundesverfassungsgericht erachtet das Betreuungsgeld als unrechtmäßig.
Die Bundesregierung habe mit der Einführung ihre Befugnisse überschritten.
Streit um Betreuungsgeld: CSU zickt gegen Kita-Zuschüsse
Willkommen im Kindergarten: Sollte das Bundesverfassungsgericht das
Betreuungsgeld beanstanden, will die CSU auch Kita-Zuschüsse streichen.
Klage gegen Betreuungsgeld: Verfassungsgericht prüft Zuschlag
Hamburg will die Prämie kippen und hat deswegen Klage eingereicht.
Schwesigs Staatssekretär muss den Zuschlag verteidigen – obwohl die
Ministerin selbst gegen ihn war.
Kommentar Pkw-Maut: Betreuungsgeld für Dobrindt
Dass die CSU die Autobahnmaut durchsetzt, entspricht der Arithmetik der
Großen Koalition. Der Schaden des Vorhabens hält sich in Grenzen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.