| # taz.de -- Entwicklungskonferenz in Addis Abeba: Im Interesse der Konzerne | |
| > Zentral war die Frage nach Steuergerechtigkeit. Doch die Industriestaaten | |
| > lehnten alles ab, was transnationalen Unternehmen schaden könnte. | |
| Bild: Von Addis nichts zu erwarten: Hände einer Arbeiterin in einer Ziegelfabr… | |
| Genf taz | Auf der seit Montag tagenden 3. UNO-Konferenz für | |
| Entwicklungsfinanzierung in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba sind | |
| die in der Gruppe der 77 (G 77) zusammengeschlossenen Länder des Südens mit | |
| ihrer Forderung nach Maßnahmen zur Herstellung globaler Steuergerechtigkeit | |
| an der geschlossenen Front der Industriestaaten gescheitert. | |
| Auch alle anderen zentralen Forderungen der G 77 wurden von der EU, den | |
| USA, Kanada, Japan und anderen Ländern des Nordens abgelehnt. Die 193 | |
| Teilnehmerstaaten einigten sich am Mittwochabend auf eine weitgehend | |
| unverbindliche Abschlusserklärung, in der fast keine der Forderungen der | |
| G77 enthalten ist. Sie sollte am Donnerstag formell angenommen werden. | |
| Das Verlangen nach mehr Steuergerechtigkeit wurde zur zentralen | |
| Streitfrage, weil die 134 Länder der G77 allein zwischen 2002 und 2011 | |
| infolge von Steuerflucht und diverser Steuervermeidungstricks | |
| transnationaler Unternehmen rund 992 Milliarden US-Dollar verloren haben. | |
| Das ist weit mehr, als sie in diesem Zeitraum an öffentlichen | |
| Entwicklungsleistungen erhielten. | |
| Deshalb forderten G 77 und viele Nichtregierungsorganisationen die | |
| Einrichtung einer internationalen Steuerorganisation unter dem Dach der | |
| UNO, die die Verhandlungskompetenz über Steuerabkommen erhält und den | |
| Entwicklungsländern hilft, Steuerschlupflöcher zu schließen. Die | |
| Industrieländer lehnten das rundheraus ab. | |
| ## Die Kontrolle behalten | |
| Die evangelische Hilfsorganisation Brot für die Welt beklagt, dass soga die | |
| Finanztransaktionssteuer für nachhaltige Entwicklung und Bekämpfung des | |
| Klimawandels aus dem Abschlussdokument wieder gestrichen worden sei. | |
| Selbst ein am Dienstagabend unterbreiteter Kompromissvorschlag der G 77, | |
| zunächst nur zu beschließen, „in künftigen Verhandlungen die Errichtung | |
| einer zwischenstaatlichen Steuerbehörde zu prüfen“, wurde von den | |
| Industriestaaten zurückgewiesen. | |
| Sie wollen internationale Steuerpolitik weiterhin im Rahmen der von ihnen | |
| dominierten Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung | |
| (OECD) koordinieren, unter deren 34 Mitgliedsstaaten sich mit Mexiko, | |
| Südkorea und Chile nur drei Länder aus der G77 befinden. | |
| „Diese Haltung ist völlig unglaubwürdig, wenn man bedenkt, dass zur OECD | |
| Luxemburg, die Schweiz und andere bevorzugte Steueroasen für multinationale | |
| Konzerne gehören, die keinerlei Interesse haben, die Steuerflucht und | |
| Steuervermeidungstricks zu unterbinden“, erklärte der grüne | |
| Bundestagsabgeordnete Uwe Kekeritz gegenüber der taz. | |
| ## Keine Verpflichtung auf Menschenrechtsnormen | |
| Kekeritz, Sprecher seiner Fraktion für Entwicklungspolitik, nahm als | |
| Mitglied der Delegation von Bundesentwicklungsminister Gerhard Müller bis | |
| Mittwochabend an der Konferenz in Addis Abeba teil. Dessen Rede vor dem | |
| Plenum kritisierte Kekeritz als „ärgerlich“: Der Minister habe lediglich an | |
| die „Eigenverantwortung der Länder des Südens appelliert, aber völlig | |
| ignoriert, dass das eine gemeinsame Verantwortung aller 193 UNO-Mitglieder | |
| ist“. | |
| Die Industriestaaten verweigerten auch eine verbindliche Verpflichtung, den | |
| Anteil ihrer öffentlichen Entwicklungshilfe am Bruttoinlandsprodukt endlich | |
| auf 0,7 Prozent zu erhöhen. Ein Ziel, das die UNO-Generalversammlung | |
| bereits 1970 beschlossen hatte. Auch lehnten die Industriestaaten ab, | |
| verbindliche Menschenrechtsnormen sowie Arbeits- und Sozialstandards für | |
| multinationale Unternehmen in die Abschlusserklärung aufzunehmen. | |
| Dennoch stimmten die Länder der G 77 dieser „sehr unambitionierten | |
| Erklärung“ (Misereor-Sprecher Klaus Schilder zur taz) zu. Zuvor hatten die | |
| Industriestaaten in zahlreichen bilateralen Gesprächen mit Vertretern von | |
| G77-Ländern diesen gedroht, bei einer Aufrechterhaltung ihrer Forderung | |
| nach einer globalen Steuerorganisation der UNO all jene Abschnitte des | |
| Entwurfes wieder zur Disposition zu stellen, von deren Umsetzung sich | |
| zumindest die 50 am wenigsten entwickelten Staaten finanzielle Unterstütung | |
| und andere Vorteile erhoffen. | |
| Nichtregierungsorganisationen sind von den Ergebnissen von Addis mehr als | |
| enttäuscht. In einer von einigen Hundert Organisationen verfassten „Antwort | |
| der Zivilgesellschaft“ auf die Beschlüsse der Konferenz heißt es: „Der | |
| Aktionsplan von Addis Abeba verpasst die Möglichkeit, die strukturellen | |
| Ungerechtigkeiten des gegenwärtigen Weltwirtschaftssystems anzugehen und | |
| sicherzustellen, dass Entwicklungsfinanzierung sich am Menschen orientiert | |
| und die Umwelt schützt.“ | |
| ## Privatwirtschaft statt Armutsbekämpfung | |
| Der ungebrochene Optimismus über die Rolle privater Geldgeber sei | |
| vollkommen fehl am Platze. „Ohne eine gleichzeitige Anerkennung der | |
| zentralen Rolle des Staates und ohne die Sicherstellung seiner Fähigkeit | |
| zur Regulierung im öffentlichen Interesse besteht das große Risiko, dass | |
| der Privatsektor nachhaltige Entwicklung eher unterminiert als fördert.“ | |
| Eva Hanfstängl, entwicklungspolitische Referentin von „Brot für die Welt „ | |
| schreibt in einer Erklärung: „Das Abschlussdokument vermittelt nicht den | |
| Eindruck, dass es in erster Linie um die weltweite Überwindung absoluter | |
| Armut geht. Stattdessen tritt die Förderung privatwirtschaftlicher | |
| Initiativen in den Mittelpunkt.“ | |
| 16 Jul 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Zumach | |
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