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# taz.de -- Vor der UN-Konferenz in Addis Abeba: Irres Diplomatenmikado
> Die Bundesregierung setzt alles daran, dass die Belastungen weltweit
> nicht gerechter verteilt werden. Sie muss umdenken.
Bild: Diplomatenmikado: Wer sich zuerst bewegt, hat verloren.
Während die griechische Schuldenkrise weiter die Schlagzeilen bestimmt,
findet abseits medialer Aufmerksamkeit in der kommenden Woche in Addis
Abeba eine Konferenz der Vereinten Nationen statt, die Beschlüsse zur
gerechteren Gestaltung der internationalen Finanzbeziehungen und zur
Finanzierung globaler Zukunftsaufgaben fällen könnte.
Dabei geht es sowohl um die Zukunft der öffentlichen
Entwicklungsfinanzierung als auch um die Mobilisierung heimischer
Ressourcen, die Rolle des Privatkapitals, um Schulden und
Schuldentragfähigkeit, Handel, Technologietransfer und Reformen des
internationalen Finanzsystems.
Die Konferenz hat Signalwirkung für zwei weitere wichtige Gipfeltreffen in
diesem Jahr: Im September wollen die Regierungen in New York universelle
Nachhaltigkeitsziele für die nächsten 15 Jahre verabschieden und im
Dezember soll in Paris ein neues Klimaabkommen unterzeichnet werden. Aber
nur wenn vorab geklärt ist, welche Finanzierungsverpflichtungen die
Regierungen eingehen, ist bei den Gipfeln von New York und Paris mit
substantiellen Fortschritten zu rechnen.
## Deutschland blockiert
Die Zeichen dafür stehen allerdings schlecht. Der Entwurf des
Abschlussdokuments der Konferenz über Entwicklungsfinanzierung, der „Addis
Abeba Accord“, enthält überwiegend Formelkompromisse. Das Misstrauen
zwischen den Länderblöcken – auf der einen Seite die in der G77
zusammengeschlossenen Länder des Südens, auf der anderen die EU, die USA
und ihre Verbündeten – ist groß. Es scheint, die Regierungen spielen einmal
mehr Diplomaten-Mikado: Wer sich in den Verhandlungen zuerst bewegt, hat
verloren.
Die Bundesregierung gab der G77 im Verbund westlicher Länder zuletzt einige
Anlässe für dieses Misstrauen. So stimmte sie in der UN-Generalversammlung
gemeinsam mit einer kleinen Minderheit von Ländern gegen eine Resolution
zur Schaffung eines Staateninsolvenzverfahrens, das eine verlässliche und
faire Lösung von Schuldenkrisen (wie der griechischen) ermöglichen soll.
Die Sitzungen der dazu eingerichteten Arbeitsgruppe hat sie bisher
boykottiert.
Im UN-Menschenrechtsrat stimmte die Bundesregierung ebenfalls mit einer
Minderheit von Ländern gegen die Aufnahme von Verhandlungen über einen
Vertrag, der die menschenrechtliche Verantwortung von Unternehmen
verbindlich regeln soll. Die dazu eingerichtete Arbeitsgruppe tagt in
dieser Woche erstmals in Genf. Die Bundesregierung kündigte an, sich daran
nicht zu beteiligen.
## Deutschland bricht Zusagen
Auch ihre internationale Verpflichtung, bis 2015 0,7 Prozent des
Bruttonationaleinkommens für öffentliche Entwicklungszusammenarbeit zur
Verfügung zu stellen, hat die Bundesregierung nicht erfüllt (Stand 2014:
0,41 Prozent).
Nach der soeben im Bundeskabinett beschlossenen mittelfristigen
Finanzplanung wird sich daran auch auf absehbare Zeit nichts ändern. Zwar
soll der Etat des Bundesentwicklungsministers 2016 um bemerkenswerte 880
Millionen Euro steigen. Im Jahr danach schrumpft der Zuwachs jedoch schon
wieder auf 138 Millionen Euro, und 2018 soll der BMZ-Etat sogar um 32
Millionen Euro gekürzt werden. Angesichts dieser Pläne ist das erneuerte
Bekenntnis der Bundesregierung zum 0,7-Prozent-Ziel völlig unglaubwürdig.
Ein zentraler Konfliktpunkt bei den gegenwärtigen UN-Verhandlungen ist die
Interpretation des Prinzips der gemeinsamen, aber unterschiedlichen
Verantwortung ([1][Common But Differentiated Responsibilities, CBDR]).
Mit diesem Prinzip hatten die Regierungen bereits bei der Rio-Konferenz
1992 ihren unterschiedlichen Beitrag zur Umweltzerstörung anerkannt – und
damit auch ihre unterschiedliche Verantwortung, für die Wiederherstellung
des Ökosystems und die Anpassung an Umweltschäden zu bezahlen. Während die
G77 sich dafür einsetzen, das Prinzip über den Umweltbereich hinaus
anzuwenden, lehnen die EU, die USA und ihre Verbündeten dies kategorisch
ab. Die Bundesregierung spricht statt von CBDR lieber von „geteilter
Verantwortung“ und fordert explizit, dass die Schwellenländer künftig bei
der Entwicklungsfinanzierung mehr Verantwortung übernehmen müssten.
Angesichts der verfahrenen Situation eine Woche vor der Konferenz von Addis
Abeba ist es spät, aber noch nicht zu spät, um zumindest in einigen
Bereichen Fortschritte zu erzielen. Dazu sollte die Bundesregierung mit
vertrauensbildenden Maßnahmen in Vorleistung gehen. Dies könnte unter
anderem in den folgenden drei Bereichen geschehen.
## Was Deutschland tun kann
Erstens sollte die Bundesregierung sich ausdrücklich zum CBDR-Prinzip
bekennen und damit die unterschiedliche Verantwortung der Länder für die
Finanzierung nachhaltiger Entwicklung und die Regulierung des
internationalen Wirtschafts- und Finanzsystems anerkennen. Sie sollte sich
aktiv an der Suche nach Kompromissvorschlägen zur Weiterentwicklung des
Prinzips angesichts der veränderten weltwirtschaftlichen Kräfteverhältnisse
beteiligen.
Zweitens sollte die Bundesregierung ihre mittelfristige Finanzplanung an
ihre internationalen Verpflichtungen im Bereich der Klima- und
Entwicklungsfinanzierung anpassen. Sie sollte sich bereit erklären, bis zum
Jahr 2020 die öffentlichen Mittel für internationale Klima- und
Entwicklungsfinanzierung stufenweise auf ein Prozent des deutschen
Bruttonationaleinkommens zu steigern. Die Erlöse aus der geplanten
Finanztransaktionssteuer eröffnen dafür finanziellen Spielraum.
Drittens sollte die Bundesregierung sich offensiv für eine substantielle
Stärkung der internationalen Steuerkooperation unter dem Dach der Vereinten
Nationen einsetzen, um Steuerflucht, schädliche Steuervermeidung und den
Steuerwettlauf nach unten zu bekämpfen. Zu diesem Zweck sollte sie die
Einrichtung eines zwischenstaatlichen UN-Ausschusses für Steuerfragen
innerhalb der EU und bei der Konferenz in Addis Abeba offensiv
unterstützen.
Nur wenn durch derartige Initiativen der Teufelskreis kollektiver
Verantwortungslosigkeit durchbrochen wird, kann noch verhindert werden,
dass es bei der Konferenz von Addis Abeba und den anschließenden
Nachhaltigkeits- und Klimagipfeln in New York und Paris nur Verlierer gibt.
11 Jul 2015
## LINKS
[1] http://www.dandc.eu/de/article/reiche-industrielaender-wollen-das-prinzip-d…
## AUTOREN
Jens Martens
## TAGS
Vereinte Nationen
Entwicklungszusammenarbeit
Soziale Gerechtigkeit
Steuerflucht
EU-Finanzpolitik
Entwicklungshilfe
Armutsbekämpfung
Schwerpunkt Angela Merkel
Europa
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