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# taz.de -- Dirk Niebel über Entwicklungshilfe: "Wir sind keine Kolonialherren"
> Dirk Niebel spricht über 68er in Afrika, über mehr Geld und seinen Plan,
> die Spuren seiner Vorgängerin zu tilgen: "Karitative Tätigkeit ist 'nice
> to have'".
Bild: Wer dreht hier wem was an? Dirk Niebel prüft - wie immer - alles genau.
taz: Herr Niebel, Ihr Ministerium feiert das 50-jährige Bestehen. War die
deutsche Entwicklungshilfe erfolgreich?
Dirk Niebel: Es gibt Länder, in denen viel erreicht wurde, aber auch
schlechte Beispiele. Die Arbeit hat sich verändert. Nach dem Zweiten
Weltkrieg ging es um Wiedergutmachung, im Kalten Krieg um strategische
Motive. Heute sprechen wir von Entwicklungszusammenarbeit statt -hilfe.
Denn wir arbeiten nicht mit Taschengeldempfängern, sondern mit souveränen
Staaten, die eigene Interessen haben. Wir sind keine Kolonialherren.
Wo liegen die deutschen Interessen?
In der Stabilität von Regionen, in der Krisenprävention. Unser Interesse
sind alle Formen von internationalen Kontakten: persönlich, kulturell,
wirtschaftlich.
Viele Ihrer Mitarbeiter haben sicher nicht wegen der Eigeninteressen das
Berufsfeld Entwicklungspolitik gewählt - sondern um etwas Gutes zu tun.
Eigene Interessen sind doch nichts generell Schlechtes. Karitative
Tätigkeit ist "nice to have". Bei Hunger- oder Flutkatastrophen muss sie
sein. Aber so verändere ich keine Strukturen. Meine Mitarbeiter sind
erfahren genug zu wissen, dass das Verteilen guter Taten allein nicht
hilft.
In weiten Teilen Afrikas gibt es kaum Verbesserungen, obwohl es seit
Jahrzehnten Entwicklungshilfe gibt. Warum?
Ich bestreite, dass das so ist. Der Kontinent besteht aus 54 souveränen
Staaten mit ganz unterschiedlichem Entwicklungsstand, von Somalia bis
Südafrika. In manchen Ländern gibt es große Fortschritte, in anderen nicht.
Was halten Sie von dem Ökonomen James Shikwati aus Kenia, der am liebsten
gar keine Entwicklungshilfe mehr in seinem Kontinent hätte?
Ein intelligenter Mann, dessen Kritik ich nicht in jedem Punkt teile. Man
tut aber gut daran, ihm zuzuhören, um bessere Entwicklungspolitik zu
machen.
Wo teilen Sie die Kritik?
Es gibt eine Art der Kooperation, die entmündigend wirkt. Manche Staaten
sind überfördert, nicht überfordert. Eigeninitiative ist geschwächt worden,
wenn Eliten aus dem Partnerland aus der Verantwortung entlassen wurden. Das
klassische Beispiel: der Alt-68er, der sein Afrikaprojekt entwickelt hat
und dann bis zum Ende seiner Tage kleine Kinder unterrichtet.
Aus Ihrem Haus ist Kritik zu hören: Inhaltliche Themen finden nicht mehr
statt, der Minister kümmert sich nur noch um Organisation und PR.
Diese Kritik hat mich nicht erreicht. Ich bin aber auch kein regelmäßiger
taz-Leser. Wir haben ein Bildungskonzept und ein Schwellenländerkonzept
erarbeitet, genauso eines zur ländlichen Entwicklung, eine
Rohstoffstrategie, an Regionalkonzepten der Bundesregierung für Afrika und
Lateinamerika mitgewirkt und noch viel mehr inhaltliche Arbeit geleistet.
Deutschland hat sich verpflichtet, 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung für
Entwicklungshilfe auszugeben. Sie stagnieren bei 0,38. Wäre es zum 50.
Geburtstag des Ministeriums an der Zeit, zuzugeben, dass Sie es nicht
erreichen?
Das wäre grundfalsch. Denn wir werden es schaffen. Außerdem würde ein
Abgehen von den Zielen die Schleusentore in die andere Richtung öffnen und
Begehrlichkeiten wecken. Zudem ist es falsch, Erfolg an der Menge des
Geldes zu messen.
Die Punkte widersprechen sich. Wie ist es denn nun? Schaffen Sie es? Oder
dürfen Sie nur nicht sagen, dass es nicht so ist?
Alle drei von mir genannten Punkte stimmen. Wir können es schaffen. Ich
habe das Amt bei 0,35 übernommen, 2010 sind es 0,39 gewesen. Wir sind der
viertgrößte Entwicklungsgeber weltweit.
Sie sagen, Sie dürfen das Ziel nicht aufgeben, weil das Begehrlichkeiten
weckt. Ist das ein Eingeständnis, dass Sie eigentlich nicht mehr wirklich
daran glauben?
Überhaupt nicht. Die Skeptiker dürfen nicht bedient werden. Ich gehe davon
aus, dass wir es schaffen. Die Bundeskanzlerin hat es auch immer wieder
betont. Es ist nicht leichter geworden durch Schuldenkrise und -bremse.
Dennoch gibt es Zuwächse von 164 Millionen Euro. Alle anderen Etats - außer
dem Bildungsetat - müssen Kürzungen hinnehmen! Das zeigt, wie ernst das
Ziel gemeint ist.
Tatsächlich bräuchten Sie ungefähr das Zehnfache - pro Jahr.
Das habe ich auch schon mal gehört. Ich habe es nie nachgerechnet, denn die
Quote hängt ja von der Wirtschaftsleistung ab - und unser Ziel kann auch
nicht sein, dass die in Deutschland sinkt!
Vorschlag: Die FDP schenkt sich die Steuersenkungen und Sie geben das Geld
für Entwicklung aus.
Die Bundesregierung hat sich insgesamt für Steuersenkungen eingesetzt. Es
ist richtig, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von ihren
Lohnzuwächsen etwas behalten. Dadurch wird Kaufkraft geweckt und die
Konjunktur stabilisiert. Diese Steuerentlastung ist dringend notwendig.
Das Geld fehlt der Entwicklungshilfe.
Nein, definitiv nicht. Denn die Wirtschaft kann so wachsen. Damit wird
Steuergeld eingenommen und die Basis für gute Entwicklungspolitik
geschaffen.
Und diesen Umweg finden Sie als Entwicklungsminister richtig?
Absolut. Ich finde ihn überfällig.
Selbst Finanzstaatssekretär Hartmut Koschyk hat eine Initiative
unterschrieben, die sich für mehr Entwicklungsgeld einsetzt.
Das finde ich gut. Es unterstützt mich. Ich selbst unterschreibe nicht,
weil ich mich selbst nicht zu etwas auffordern kann.
Wenn die staatlichen Gelder nicht reichen, müssen alternative
Finanzierungsinstrumente her. Wie stehen Sie mittlerweile zur
Finanztransaktionsteuer?
Die Bundesregierung will sie global. Das ist schwer durchsetzbar - also
wollen wir sie zumindest europaweit. Mir persönlich sind
marktwirtschaftliche Prinzipien aber lieber als eine Steuer. Die
Finanztransaktionsteuer ist nicht kreativ genug. Ich bevorzuge andere
Methoden, wie den Entwicklungsschatzbrief. Der ist leider erst dann
umsetzbar, wenn die Zinsen wieder höher sind.
Die Bundesregierung will sie, gerade der Entwicklungsminister aber nicht -
finden Sie das nicht komisch?
Die Finanztransaktionsteuer erinnert mich an den Jäger 90. Auch damals
wurden die möglicherweise eingesparten Mittel für viele Dinge gleichzeitig
ausgegeben. Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass eine
Finanztransaktionsteuer zu hundert Prozent in den Entwicklungsetat fließt.
Die Steuer würde vor allem der Finanzierung der Krise dienen. Deswegen
denke ich: Es gibt cleverere Methoden und Instrumente, zusätzliches Geld
für Entwicklung zu bekommen.
Vor dem Jubiläum gab es Streit mit der SPD. Der ehemalige Minister Erhard
Eppler wollte sprechen, Sie wollten das nicht. Warum?
Zu keinem Zeitpunkt in der Geschichte des Ressorts haben ehemalige Minister
bei Jubiläen gesprochen. Der Bundespräsident wird sprechen, es gibt einen
kulturellen Rahmen. Wir wollen mit dieser Veranstaltung in die Zukunft
weisen und nicht alle ehemaligen Minister über die Veränderung in dem
Politikfeld räsonieren lassen.
Der Konflikt zwischen Ihrer Vorgängerin Heidemarie Wieczorek-Zeul und Ihnen
eskalierte danach. Warum kommen Sie beide so schlecht miteinander klar?
Das kann ich nicht bestätigen.
Wenn drei ehemalige Minister nicht erscheinen und Sie danach in einem
Interview sagen, dass zwar noch nicht alle Spuren von Wieczorek-Zeul im
Ministerium getilgt sind, Sie "aber daran arbeiten", dann ist das keine
Eskalation?
Die Kritik meiner Amtsvorgängerin zielt darauf, dass ich eine andere
Politik betreibe. Dafür bin ich aber gewählt worden. Wenn sie mir vorwirft,
dass ich die Spuren im Haus tilgen will, dann sage ich: Diese Kritik ist
nicht berechtigt. So weit bin ich noch nicht.
Sie betonten aber, dass Sie daran arbeiten.
Ich sage ja: So weit bin ich noch nicht.
Übersetzt heißt das, Sie wollen die SPD-Spuren im Ministerium tilgen.
Wir haben mal gefordert, das Ministerium mit dem Außenministerium
zusammenzulegen, weil wir gegen die Politik von Heidemarie Wieczorek-Zeul
gewesen sind. Wir haben für falsch gehalten, was sie gemacht hat. Seit wir
gestalten können, machen wir die Dinge anders. Dazu stehe ich.
Was heißt das für das Entwicklungsministerium - immerhin haben Sie viele
Mitarbeiter übernommen, die noch aus der Zeit Ihrer Vorgängerin stammen?
Das Haus ist ein Bundesministerium. Die Mitarbeiter sind hochkompetent,
loyal und üben fachlich ihre Tätigkeit aus. Sie dienen der demokratisch
legitim ins Amt gewählten Regierung.
Dienen ist das passende Wort?
So steht es im Beamtengesetz. Pflicht zum treuen Dienen. Ich hätte mir auch
eine andere Formulierung vorstellen können.
Warum rasseln Sie und Frau Wieczorek-Zeul immer so zusammen?
Frau Wieczorek-Zeul hat mich mehrfach persönlich kritisiert, was für eine
Amtsvorgängerin sehr unüblich ist. Darauf habe ich nicht reagiert. Aber
irgendwann ist der Punkt erreicht, da reagiert man. Das habe ich gemacht.
13 Nov 2011
## AUTOREN
Ines Pohl
Gordon Repinski
## TAGS
Vereinte Nationen
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