# taz.de -- Getarnter Kundenfang: Werben wie ein Chamäleon | |
> Wenn Konsumenten gelernt haben, Werbung zu ignorieren, darf sie nicht | |
> mehr wie Werbung aussehen. So entstand Native Advertising. | |
Bild: Im Tarngang. | |
BERLIN (taz) | Das Logo von Spiegel Online in der Browserzeile. Eine | |
Kolumne. Ein Mann mit Brille auf dem Autorenfoto. Der Titel: Vom Glück, ein | |
Finne zu sein. Inhaltlich geht es aber um Lottogewinne. Was auf den ersten | |
Blick daherkommt wie ein redaktionell erstellter Text, ist eine Anzeige der | |
westdeutschen Lotterie. Über dem Text steht „Ein Angebot von Eurojackpot“. | |
Das Konzept nennt sich „Native Advertising”, es ist die neue Hoffnung der | |
Werbebranche – und auch der Medienverlage. | |
„Native Advertising“ – übersetzt heißt das etwa Werbung im natürlichen | |
Umfeld. Das ist Werbung, die versucht, möglichst wenig als solche erkannt | |
zu werden. Die Idee: Wenn bekannte Internetwerbeformate wie Banner und | |
Pop-ups kaum noch Klicks generieren, weil Nutzer gelernt haben, diese zu | |
ignorieren, oder die klassischen Anzeigen dank Zusatzprogrammen ganz | |
ausgeblendet werden, dann darf Werbung nicht wie Werbung aussehen, um | |
Aufmerksamkeit zu bekommen. Die Anzeige passt sich in Form und Inhalt an | |
ihre Umgebung an. Weil sie im besten Fall nicht mehr als Werbung erkannt | |
wird, ist die Aufmerksamkeit, die diese Werbung generiert, höher. Das | |
Konzept boomt. | |
Wenn auf Facebook zwischen den Statusmeldungen von Freunden gesponserte | |
Posts auftauchen, dann ist dies Native Advertising. Gleiches gilt für | |
bezahlte Beträge im Feed von Twitter, Tumblr oder Pinterest. Kontrovers | |
diskutiert wird Native Advertising aber vor allem dann, wenn es um Werbung | |
auf journalistischen Plattformen im Internet geht. | |
Die Unterhaltungsseite Buzzfeed ist besonders erfolgreich in diesem | |
Bereich. Die Seite finanziert sich ausschließlich durch den sogenannten | |
Branded Content, durch Videos und Artikel, die von Buzzfeed im Auftrag von | |
Unternehmen erstellt werden. Beim deutschen Ableger der amerikanischen | |
Seite bezahlte das Reiseunternehmen Discover America zum Beispiel für | |
Artikel wie [1][“19 Dinge, die du nur in den USA tun kannst und nirgendwo | |
sonst“]. | |
## Gesponserte Empfehlungen | |
Auch etablierte Publikationen setzen zunehmend auf gesponserte Inhalte, um | |
im Web Einnahmen zu generieren. In den USA haben Zeitungen wie die New York | |
Times und das Washington Journal eigene Teams, um entsprechende Artikel für | |
die Webseiten zu erstellen. Auch deutsche Nachrichtenseiten bauen immer | |
mehr auf gesponserte Inhalte. Doch nicht nur die Inhalte selbst, sondern | |
auch die Empfehlungen sind oft gesponsert. | |
Auf den Homepages von Spiegel.de bis Handelsblatt.de, von Faz.de bis | |
Bild.de findet sich unter jedem Artikel eine Spalte mit Empfehlungen zum | |
Weiterlesen. Diese sind meist betitelt mit Überschriften wie „Das könnte | |
Sie auch interessieren“ oder „Aus dem Web“. | |
Als Native Advertising bezeichnet man auch Links zu externen Seiten, die so | |
platziert sind, dass sie nicht eindeutig als Werbung erkennbar sind. Daten | |
zum Lese- und Klickverhalten werden gesammelt und verglichen – | |
beispielsweise mithilfe von kleinen Computerprogrammen namens Cookies, die | |
auf dem Nutzercomputer gespeichert werden und das Leseverhalten verfolgen. | |
So werden den Lesern vor allem besonders beliebte Posts angezeigt und | |
Artikel, die unter Lesern, die ähnliche Homepages gelesen haben, besonders | |
beliebt sind. Nicht nur journalistische Inhalte, sondern auch gesponserte | |
Seiten werden verlinkt, versehen mit dem kleinen, rechtlich | |
vorgeschriebenen Hinweis „sponsored by“ oder „Anzeige“. Was in diesen | |
Spalten angezeigt wird, das bestimmen nicht die Homepageanbieter selbst, | |
sondern externe Anbieter wie das Unternehmen Plista. | |
Ein Besuch in der Berliner Firmenzentrale. Start-up-Kult auf zwei Etagen in | |
Berlin-Prenzlauer Berg. Helle Büros mit Glaswänden, Großraumbüros voll mit | |
Pflanzen, ein Fitnessraum für Mitarbeiter, ein Fahrradraum voll mit teuren | |
Rennrädern. Kaum jemand ist hier über 40, der Altersschnitt der 150 | |
Mitarbeiter ist 31. Man duzt sich. 2008 gründete Dominik Matyka mit zwei | |
Kollegen Plista, nun erzählt er stolz, dass das Unternehmen expandiert: die | |
Etage unter den Firmenräumen wird gerade renoviert, bald soll dort das | |
internationale Team sitzen. | |
## Farbig, aber unauffällig | |
Plista ist auch in Spanien, den Niederlanden, Kroatien und Slowenien tätig. | |
2014 wurde Plista für 30 Millionen Euro von GroupM aufgekauft, der weltweit | |
größten Mediaagentur aus New York. Das Unternehmen bietet Programme an, die | |
bestimmen, welche Weiterleseempfehlungen und welche Werbung dem Leser | |
anzeigt werden. Auf den meisten deutschen Seiten sind Werbeempfehlungen | |
optisch leicht anders gestaltet als kommerzielle Empfehlungen – sie sind | |
oft farblich hinterlegt und in einer anderen Schriftart gehalten. Trotzdem | |
erinnern sie optisch an redaktionelle Inhalte. Sie sind unauffällig. | |
„Es geht darum, neue Wege zu finden, um Werbebotschaften an den Nutzer zu | |
bringen, ohne dass der Nutzer sofort abschaltet“, sagt | |
Plista-Geschäftsführer Matyka. Den Markt für diese Form von Native | |
Advertising teilen sich im deutschsprachigen Raum vor allem drei | |
Unternehmen: Plista, die 2008 vom Verlagshaus Gruner + Jahr aufgekaufte | |
Firma Ligatus und Outbrain mit dem Hauptsitz in New York. Diese jungen | |
Firmen profitierten von einer Verschiebung im Werbemarkt – vom Fernsehen | |
und Printjournalismus ins Internet, von Marktforschung zu optimierten | |
Algorithmen. Sie übernehmen Aufgaben, die bisher meist Mediaagenturen | |
zugefallen sind – Werbung optimiert zu platzieren – und übertragen diese | |
auf den Onlinewerbemarkt. Plista ist unter andrem verantwortlich für Native | |
Advertising auf Spiegel.de, Welt.de oder Express.de. | |
Der große Erfolg von Native Advertising zeigt das große Problem, das der | |
Journalismus im digitalen Zeitalter hat. Es geht um das Dilemma, wie sich | |
Onlinejournalismus finanzieren kann. Rund 60 Prozent aller Deutschen sind | |
laut einer Umfrage von Statista vom Oktober 2014 nicht bereit, für | |
Onlinejournalismus zu zahlen. | |
Kann man heutzutage keinen Onlinejournalismus mehr ohne eingestreute | |
Werbung machen? „Wir verstehen die Frage nicht”, antwortet Carola | |
Holtermann von der Gruner + Jahr Mediavermarktung, „natürlich kann man | |
keinen Onlinejournalismus ohne Werbung machen.” Sie lässt wissen: „G+J | |
bietet selbstverständlich Native-Advertising-Lösungen an und hat dieses | |
Thema schon besetzt, bevor man derartige Werbeformate Native Advertising | |
genannt hat”. Werbung sei schon immer eine Erlösquelle für Medienhäuser | |
gewesen. „Das gilt für gedruckte Magazine genauso wie für digitale | |
journalistische Angebote.” | |
Doch Native Advertsing bietet darüber hinaus einen großen Vorteil gegenüber | |
der klassischen Printanzeige: Sie ist dezent. „Wir lassen alle Formen von | |
besonders belästigender Werbung auf unseren Seiten nicht zu”, sagt Mathias | |
Müller von Blumencron, Chefredakteur Digitale Medien der Frankfurter | |
Allgemeinen Zeitung. Er meint damit Pop-ups, Layer, automatisch anlaufende | |
Videos mit Ton. Sie stören den Lesefluss und sind bei den Nutzern verhasst. | |
„Wir können sehr gut ohne sie leben”, sagt er. Doch „Onlinejournalismus | |
ohne Werbung zu finanzieren ist ähnlich schwierig wie im Gedruckten“, sagt | |
Müller von Blumencron. „Was man aber sehr wohl kann, ist, auf eine klare | |
Trennung zwischen Werbung und Redaktion zu achten.” Anzeigen werden | |
gekennzeichnet und vom journalistischen Teil abgesetzt, sagt er, „so wie | |
seit Jahrzehnten auch im gedruckten Journalismus.” | |
## Personalisiert werben | |
Doch es wäre zu leicht, sich angesichts von Native Advertising die guten | |
alten Zeiten des Print zurückzuwünschen. Denn auch dort gibt es Formen der | |
verschleierten Werbung. Das Pendant zu Native Advertisement in der Zeitung | |
sind die sogenannten Verlagssonderveröffentlichungen – redaktionell | |
aufgemachte Werbeanzeigen. Gesponserte Artikel in Zeitschriften und | |
Zeitungen stehen seit Langem in der Kritik. Einen entscheidenden | |
Unterschied zwischen der digitalen und analogen redaktionellen Aufmachung | |
einer Werbeanzeige, die den Anschein eines redaktionellen Beitrages | |
erwecken soll, gibt es dennoch: Native Advertising kann auf deutlich mehr | |
Daten über den Leser zurückgreifen und auf den individuellen Nutzer | |
zugeschnittene Anzeigen platzieren. | |
Plista-Geschäftsführer Matyka sieht die Zukunft der Finanzierung von | |
Journalismus im Web in der Individualisierung der Finanzierung für den | |
Leser. Er denkt, dass in Zukunft jeder Leser vor der Entscheidung stehen | |
wird: Zahle ich für werbefreien Zugang zu einer Seite oder lasse ich | |
Werbung zu? Möchte ich wenige, personalisierte Werbung und gebe dafür mein | |
Surfverhalten preis, sagt er, oder gebe ich keine Daten frei und werde | |
dafür mit Werbung zugekleistert? | |
Michaela Schröder, Online-Expertin vom Verbraucherschutzbund, findet diese | |
Praxis nicht zwangsweise problematisch: „Grundsätzlich ist personalisierte | |
Werbung nicht schlecht für den Verbraucher. Er bekommt eben nur das | |
angezeigt, was ihn vermeintlich interessiert. Aber eben auch das Erfassen | |
der Nutzerdaten für personalisierte Werbung muss transparent gemacht | |
werden.“ | |
Doch genau diese Transparenz ist bisher nicht zwingend gegeben. In Holland | |
beispielsweise müssen Leser aktiv der Verwendung von Cookies zustimmen. In | |
Deutschland dagegen ist die Rechtslage zu Cookies umstritten, weil der Bund | |
die bestehende EU-Richtlinie dazu bisher nicht in nationales Recht | |
umgesetzt hat. | |
Viele Journalisten dagegen sehen die Nähe zwischen Anzeigen und Werbung | |
kritisch. Der Spiegel ging im letzten Jahr unter dem Titel „Die | |
Seelenverkäufer“ hart ins Gericht mit der Affinität für Native Advertising | |
bei den Kollegen vom Axel Springer Verlag und dem Handelsblatt. Die | |
Redakteure bezeichneten Native Advertising als einen riskanten Tausch von | |
Glaubwürdigkeit gegen Geld und eine „Werbeform, die im Kern auf der | |
Verwirrung des Lesers beruht“. Medienreporter Stefan Niggemeier nahm dies | |
zum Anlass, den Spiegel selbst für irreleitende, gesponserte Beiträge wie | |
die Lotto-Kolumne zu kritisieren. Alle ,,Service“-Beiträge wurden daraufhin | |
von der Webseite gelöscht. Doch auch der Spiegel kämpft mit sinkenden | |
Anzeigenerlösen im Print. Vor wenigen Tagen hat die Spiegel-Gruppe | |
angekündigt, 15 Millionen Euro einzusparen. Die Entscheidung über die | |
konkreten Sparmaßnahmen fallen im Herbst. Zum aktuellen Umgang mit Native | |
Advertising möchte man sich lieber erst nach dieser Reform äußern. | |
8 Jul 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://www.buzzfeed.com/discoveramerica/dinge-die-du-nur-in-den-usa-tun-kan… | |
## AUTOREN | |
Mara Bierbach | |
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