| # taz.de -- Angriff aufs Netz des Bundestags: Einfach mal abschalten | |
| > Das Computernetz des Bundestags muss wohl komplett neu aufgebaut werden. | |
| > Daten fließen ab, die hilflose Verwaltung wiegelt ab und schweigt. | |
| Bild: Genau, Ruhe und Frieden. | |
| Berlin taz | Wenn es um die Sicherheit der Computer anderer Institutionen | |
| geht, ist der Deutsche Bundestag um gute Ratschläge nicht verlegen: An | |
| diesem Freitag beschließt das Parlament das „IT-Sicherheitsgesetz“. Es soll | |
| die Betreiber wichtiger Infrastruktureinrichtungen verpflichten, das | |
| Sicherheitsniveau ihrer Computersysteme zu erhöhen und Behörden und Nutzer | |
| sofort über Störungen durch Schadprogramme zu informieren. | |
| Für das eigene Netzwerk des Bundestags kommt diese Aufforderung hingegen zu | |
| spät. Schon Anfang Mai war bekannt geworden, dass die Rechner des | |
| Bundestages von einer komplexen Schadsoftware befallen sind, die ein | |
| Ausspähen der Daten aller 20.000 Nutzer ermöglichen. Abgeordnete und ihre | |
| Mitarbeiter sind ebenso betroffen wie die gesamte Verwaltung. | |
| Doch erst einen Monat später wird jetzt sichtbar, wie groß das Problem ist: | |
| Die Angreifer, über deren Herkunft und Motivation noch immer nichts bekannt | |
| ist, haben die zentrale Schaltstelle des Netzwerkes, den sogenannten | |
| Verzeichnisdienst, unter ihre Kontrolle gebracht und können vermutlich auf | |
| sämtliche gespeicherten Daten zugreifen – bis heute. Einzelne Systeme, die | |
| von der Schadsoftware gesäubert wurden, waren nach taz-Informationen schon | |
| nach wenigen Tagen wieder befallen. | |
| Ein Bericht des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), | |
| der am Donnerstag dem Ältestenrat des Bundestags vorgestellt wurde, schlägt | |
| nun vor, das Computersystem des Parlaments komplett neu aufzubauen. Zwar | |
| könne die Hardware vermutlich weiter genutzt werden, sagte ein EDV-Insider | |
| aus dem Bundestag der taz. Alle Rechner und Server müssen aber vollständig | |
| gelöscht und mit neuer Software ausgestattet werden – ein Vorgang, der | |
| Monate in Anspruch nehmen dürfte, in denen die Computer im Bundestag wohl | |
| nicht oder nur eingeschränkt zur Verfügung stehen werden. | |
| ## Verwunderung über Gelassenheit | |
| Obwohl die Administratoren keine Kontrolle mehr über das Netzwerk haben und | |
| der Angriff andauert, werden die Rechner in den Abgeordnetenbüros bisher | |
| völlig normal weitergenutzt. Am 21. Mai schrieb Bundestagspräsident Norbert | |
| Lammert eine beschwichtigende Mail an alle Parlamentarier. Man arbeite | |
| „unter Hochdruck an einer Lösung“ und habe „Gegenmaßnahmen“ ergriffen, | |
| erklärte Lammert. Datenabflüsse seien „bisher nicht nachweisbar“. | |
| Bei IT-Experten herrscht Verwunderung über diese Aussage. „Eigentlich | |
| müsste man das System sofort komplett abschalten“, sagt ein Insider. Denn | |
| weil alle Daten auf zentralen Servern liegen und die Angreifer über alle | |
| Zugangsdaten verfügen, könnten sie Informationen nicht nur über das | |
| Internet abziehen, sondern auch an jedem beliebigen Rechner im | |
| Bundestagsnetz auf einen USB-Stick oder eine externe Festplatte kopieren. | |
| Erfasst werden solche Datenströme nicht – das würde in die Freiheit der | |
| Abgeordneten eingreifen. | |
| Offizielle Informationen für die Öffentlichkeit gibt es nur spärlich. Die | |
| Bundestagsverwaltung mochte nicht mal die Mitglieder der Kommission nennen, | |
| die sich mit dem Fall beschäftigen. Das Präsidium äußerte sich nach der | |
| Sitzung des Ältestenrats zunächst nicht; bekannt wurde lediglich, dass | |
| Lammert einen weiteren Brief an die Abgeordneten schreiben will. Auch das | |
| BSI, das das Parlament berät, lehnte jeden Kommentar mit Verweis auf die | |
| laufenden Beratungen ab. | |
| ## Wer soll helfen? | |
| In den Parlamentsbüros ist die Spähattacke am Donnerstag Gesprächsthema | |
| Nummer eins. Doch konkrete Informationen gibt es auch hier nicht – zum | |
| Ärger der Betroffenen. „Ich erwarte von der Bundestagsverwaltung, dass sie | |
| die Abgeordneten über die Gefährdung informiert und auch Empfehlungen gibt, | |
| wie wir angesichts des Angriffs unsere Kommunikation schützen können“, | |
| sagte der SPD-Netzexperte Lars Klingbeil dem epd. Auch Konstantin von Notz, | |
| IT-Experte der Grünen, kritisiert die interne Kommunikation: „Da muss man | |
| künftig vieles besser machen“, sagte er im RBB. | |
| Doch nicht nur bei der Information über das Problem gibt sich die | |
| Bundestagsverwaltung verschlossen. Auch zur Lösung gibt es noch keinen | |
| konkreten Plan. Tatsächlich steht der Bundestag dabei vor einem großen | |
| Problem: Die Verwaltung, die schon bei der laufenden | |
| Netzwerk-Administration regelmäßig auf externe Dienstleister zugreifen | |
| muss, verfügt nicht annähernd über die notwendige Kompetenz und Manpower, | |
| um das Netzwerk des Parlaments mit einem erhöhten Sicherheitsniveau neu | |
| aufzubauen. | |
| Der Bundestag muss sich also helfen lassen – doch von wem? Dass der | |
| Verfassungsschutz bei der Aufklärung mitwirkt, hat zwar selbst die | |
| Linksfraktion akzeptiert; doch dass sich das Parlament beim Aufbau seines | |
| Computersystems komplett in die Abhängigkeit von Bundesbehörden wie dem | |
| Verfassungsschutz oder dem BSI begibt, dürfte auf Vorbehalte stoßen – | |
| schließlich ist die Gewaltenteilung zentral für die Demokratie. Und auf | |
| große US-Konzerne mag der deutsche Gesetzgeber in Zeiten der | |
| NSA-Abhöraffäre vermutlich auch nicht uneingeschränkt vertrauen. | |
| Fest steht nur: Auch wenn das Gesetz zur Verbesserung der IT-Sicherheit am | |
| Freitagmittag verabschiedet ist, wird sich das Parlament noch lange mit dem | |
| Thema beschäftigen müssen. | |
| 11 Jun 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Malte Kreutzfeldt | |
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