# taz.de -- Pro und Kontra Fleischkonsum: Tiere aufessen oder Tiere streicheln? | |
> Warum man Fleisch isst, erklärt der eine mit schamanischen Argumenten. | |
> Warum sie dem fleischessenden Tischnachbarn das Salz nicht reicht, | |
> erläutert die andere. | |
Bild: Außerlich süß, innerlich lecker. Der schwierige Konflikt zwischen stre… | |
## Pro Fleischkonsum | |
Es gibt gute Gründe, kein Fleisch zu essen: artfremde Tierhaltung, der hohe | |
Wasser- und Landbedarf und die Rodung von Wäldern für die Viehwirtschaft, | |
der großzügige Einsatz von Antibiotika, unwürdige Bedingungen für | |
Tierhaltung, Transport und industrielle Verarbeitung etc. | |
Solches Fleisch möchte ich möglichst nicht essen. Aber ich genieße das | |
Fleisch von Tieren, die in natürlicher Umgebung leben und artgerecht | |
gehalten werden. Als selbstbewusster und selbstverantwortlicher Mensch kann | |
man alles essen, was man will. Die Entscheidung liegt letztlich bei einem | |
selbst. Wer es mit seinem Gewissen vereinbaren kann, kann alles essen – ob | |
Gemüse, Früchte oder Fleisch. Man ist vermutlich am glücklichsten, wenn man | |
mit sich im Reinen ist, frei von kognitiver Dissonanz. | |
Ich habe drei Jahrzehnte von Schamanen und Schmananinnen verschiedener | |
Völker gelernt. Von ihnen habe ich vieles erfahren über Toleranz, andere | |
Perspektiven, Naturverehrung, rituelles Töten, Respekt für alle Lebewesen | |
sowie vor den Ahnen, Offenheit, Demut und Vertrauen ins Sein und andere | |
Wirklichkeiten. Schamanen unterscheiden nicht zwischen Pflanzen, Tieren und | |
Menschen. Alle sind Lebewesen, die das Wunder des Lebens miteinander | |
teilen. Und alle sind eingebunden in den Zyklus von Fressen und | |
Gefressenwerden. Alles was wir essen – ganz gleich ob Pflanzen oder Tiere | |
–, müssen wir töten. Nur durch den Tod anderer Lebewesen können wir leben. | |
Diese Einsicht verdanke ich den Schamanen. | |
Mir persönlich ist es egal, was Menschen essen. Jeder kann essen, was | |
er/sie will. Eine Ernährungslehre habe ich nicht zu bieten und ich sage | |
niemandem, was er/sie essen sollte. Ich akzeptiere und respektiere | |
Vegetarier und Veganer und freue mich darüber, wenn sie mit ihrer | |
persönlichen Entscheidung zufrieden sind und auf ihrem Weg glücklich | |
werden. Wenn sie aber militant und missionarisch sind, nerven sie mich. | |
Nicht wegen des Gemüses, sondern wegen ihres quasi religiösen Eifers. | |
Missionierung ist eine Einmischung in die Belange anderer. | |
Missionare glauben, dass sie die Wahrheit gepachtet haben und im Namen | |
dieser Wahrheit andere bekämpfen können. Sie töten Menschen wegen ihres | |
Glaubens und haben keinen Respekt vor dem Anderen und den anderen. Sie | |
glauben, dass ihre Heilslehre für andere richtig sei. Woher nehmen | |
Menschen, die für ihre „gute Sache“ missionieren, das Recht, über andere … | |
bestimmen? | |
Ich möchte nicht von Missionaren jedweder Couleur und ihren | |
Ernährungslehren belästigt werden. Ich bin mit meinen persönlichen | |
Entscheidungen im Reinen. Ich liebe es, Fleisch zu essen. Auch Fleisch von | |
bedrohten Haustierrassen, die nur dadurch überleben werden. | |
Christian Rätsch streitet auf dem tazlab mit Hilal Sezgin und Antoine F. | |
Goetschel in „Aufessen oder streicheln?“ | |
## Kontra Fleischkonsum | |
Im Alter von dreizehn Jahren wurde ich Vegetarierin. Ich vermisste anfangs | |
den Geschmack von Fleisch sehr, hatte einen Rückfall, wurde dann wieder | |
Vegetarierin und bin es seither geblieben. Den Fleischverzehr der anderen | |
fand ich nicht eklig, zumindest nicht ästhetisch. Nach dem anfänglichen | |
Übereifer, meine Umgebung zu bekehren (man darf Tiere nicht töten, nur weil | |
man ihren Geschmack mag), habe ich auch damit aufgehört. Brav habe ich | |
lange neben Fleischessern gegessen; sie verzehrten ganze Fische mit Augen | |
und Gesichtern, sie grillten Würste aus zermahlenen Schweinen, verzehrten | |
Kleinkinder diverser Säugetiere mit und ohne Soße – ich war es gewöhnt. Es | |
hatte keinen Sinn, überall schlechte Laune zu verbreiten. | |
Bis mir meine Schafe einen Strich durch die Rechnung machten. Nach gut | |
zwanzig friedlichen vegetarischen Jahren „erbte“ ich eine kleine Schafherde | |
mitsamt Lämmern. Ich desinfizierte Bauchnabel; beobachtete, mit welcher | |
Sorge eine Schafmutter nach dem Lamm ruft, wenn es außer Sicht ist; brachte | |
Ausreißer vor dem norddeutschen Dauerregen in Sicherheit; kam schließlich | |
sogar in die Situation, vier Lämmer mit der Flasche aufzuziehen. Diese | |
Lämmer und Schafe also veränderten mich. Zunächst einmal machten sie mich | |
zur Veganerin. | |
Denn auch wenn mir der Gesamtkomplex „Säugetier“ schon vorher klar gewesen | |
war, verstand ich jetzt erst, welche Qual es für Kühe bedeutete, wenn man | |
ihnen die Kälber wegnahm (damit die nicht die Milch „weg“-trinken). Nach | |
dieser Veganisierung brachten mich meine Schafe auch noch um beschauliche | |
Abende im Restaurant, harmlos plaudernd zwischen fleischessenden Freunden. | |
Als jemand neben mir „Lamm“ bestellte (tot und zum Essen!), verspürte ich | |
einen starken Würgereflex, erbrach also fast unter den Tisch. | |
Natürlich versuche ich, mich zusammenzureißen. Doch wenn die Speisekarten | |
gezückt werden, bricht mir der Schweiß aus. Das geht nicht einmal über den | |
Kopf, sondern direkt über Bauch und Nerven. Ich komme einfach nicht dagegen | |
an, es ist für mich wie Kannibalismus. Zwei Jahrzehnte habe ich versucht, | |
zumindest halbwegs kompatibel in einer Fleischessergesellschaft zu leben, | |
dann haben mich die Schafe mit ihrem gemütlichen Grasgemalme auf ihre Seite | |
gezogen. Auf die Seite der reinen Pflanzenesser. Tatsächlich bleibt | |
ungeheuer viel zum Essen übrig! Das schlechte Gewissen ist man los, die | |
Pflanzenwelt ist groß genug für kulinarische Experimente. Hier passen Essen | |
und Streicheln endlich zusammen. | |
Hilal Sezgin streitet auf dem tazlab mit Christian Rätsch und Antoine F. | |
Goetschel in „Aufessen oder streicheln?“ | |
16 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
H. Sezgin | |
C. Rätsch | |
## TAGS | |
tazlab 2012: „Das gute Leben“ | |
Schweinefleisch | |
Brot | |
tazlab 2012: „Das gute Leben“ | |
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