# taz.de -- Genossen machen die taz: Was vom guten Leben übrig blieb | |
> Nur ein Normenkatalog hat es in die demokratische Moderne geschafft: die | |
> Gesundheitslehre. Doch die klingt heute oft nach Besserwisserei und | |
> Bevormundung. | |
Bild: Rohkost – nur etwas für Gesundheits-„Streber“? | |
HALLE/WITTENBERG taz | Von allen Lehren, die das gute Leben minutiös | |
anleiten wollen, ist in Europa eigentlich nur eine übrig geblieben. Sie ist | |
seit 2.400 Jahren in den Schriften der Wanderärzte von der Insel Kos, im | |
corpus hippocraticum, angelegt. Sie enthalten die Gesundheitslehre. | |
Viele Jahrhunderte lang spielte die Diätetik neben den anderen Lehren vom | |
guten Leben – den religiösen wie politischen – eher eine zweite Geige. Doch | |
nun haben sich die anderen zurückgezogen, an Glanz verloren. Es gibt in | |
modernen Demokratien keine andere allgemein akzeptierte detaillierte Lehre | |
vom guten Leben mehr als die, sich gesund zu erhalten. | |
Wie viel Leid und Kosten zu vermeiden wären, wenn Prävention geübt würde, | |
statt erst die aufgetretenen Krankheiten zu bekämpfen, hat sich nun | |
herumgesprochen. Doch stehen die Agenten der public health vor der | |
Herausforderung durch die bürgerliche Autonomie. Niemand weiß besser als | |
sie, dass die Chancen auf Gesundheit der sozialen Schicht zugeordnet sind, | |
jeder Gehaltssprung auch einen Sprung in den Gesundheitschancen darstellt. | |
Doch sehen gerade diejenigen mit den geringsten materiellen Chancen ihren | |
oft so ungesunden Lebensstil als einzige Form der Selbstentfaltung. | |
Die Differenz schon zu den „Strebern“ in der Schule wird dabei nicht | |
einfach als Mangel begriffen, sondern positiv gewendet als eigene | |
Entscheidung für einen anderen, risikoreicheren, aber auch attraktiveren | |
Lebensstil als den der Streber. Daher klingt jede pflegerische | |
gesundheitsförderliche Unterstützung schnell wie ein Rat der | |
volksversittlichenden Bildungsbürger Richtung unten: wie Besserwisserei und | |
Bevormundung. | |
Nur eines eröffnet deshalb Chancen: der respektierende Bezug auf die | |
Lebenspraxis. Diesen aber können die Pflegenden nur in ihrer Profession | |
üben, nicht als Gesundheitsapostel. Die Gesundheits- und | |
KrankenpflegerInnen klären gemeinsam mit ihren je einzigartigen Klienten | |
aus ihren je eigenen Erfahrungen deren Ziele und Chancen auf ein gutes und | |
gesundes Leben. Nur wer mit den Menschen selbst deren Lebenswelt zur | |
Sprache bringt, kann ihrer Gesundheit dienen. | |
Dies ist ein Text aus der Sonderausgabe „Genossen-taz“, die am 14. April | |
erscheint. Die komplette Ausgabe bekommen Sie am Samstag an Ihrem Kiosk | |
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13 Apr 2012 | |
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## AUTOREN | |
Johann Behrens | |
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