# taz.de -- Kolumne Männer: Eat Drink Man Woman | |
> Wenn ein Mann Vegetarier ist, sei das extrem unsexy, sagen mir Frauen. | |
> Ich kann das erklären. | |
Lange Friedenszeiten machen Menschen mürbe. Statt sich vor Existenziellem | |
zu fürchten, etwa Krieg oder Hungersnöten, entwickeln sie putzige | |
Abneigungen und Ängste. Irgendwas muss man ja schlimm finden. Zwei | |
Freundinnen haben mir versichert, sie könnten niemals, also wirklich nie | |
etwas mit einem Vegetarier anfangen. Ein richtiger Mann müsse Fleisch | |
essen. Ich kann das erklären. | |
Für die eine Freundin symbolisiert Fleischkonsum Genussfähigkeit. Einen | |
guten Braten dürfe kein vernünftiger Mensch verschmähen. Wer das tue, sei | |
auch in anderen Lebensbereichen genussfeindlich, womöglich gar | |
Antialkoholiker, also nicht vertrauenswürdig. Die andere behauptet, Fleisch | |
und Männlichkeit hingen einfach zusammen. Vermutlich sei es eine dumpfe | |
Erinnerung an die gute alte Steinzeit, als Männer in ihre Höhle halbe Tiere | |
nicht nur mitschleppten, sondern selbst welche waren. | |
Mein erster Gedanke war: Die beiden Frauen haben eine getrübte Wahrnehmung, | |
schließlich sind wir befreundet. Dann überlegte ich: Womöglich ist ihre | |
Fleischeslust eine unterschwellige Ablehnung des gängigen Feminismus. Auch | |
das kann ich erklären. | |
Auf der Internetseite des Vegetarierbunds Deutschland las ich: | |
„Feministinnen sehen im Fleisch das Symbol männlicher Dominanz und | |
weiblicher Entmachtung. Der Vegetarismus dagegen steht für eine Handlung | |
autonomer Weiblichkeit und für die Ablehnung männlicher Kontrolle und | |
Gewalt. Dennoch ist Vegetarismus nicht nur Frauen vorbehalten, sondern | |
allen Menschen, die sich für die Rechte der Frauen, Tiere und den Schutz | |
ihrer gesamten sozialen und ökologischen Umwelt einsetzen wollen.“ Wer Tofu | |
isst, schützt also nicht nur Tiere in ihrem Bestand, sondern auch Frauen. | |
Indem meine Freundinnen Karnivoren bevorzugen, dachte ich, kehren sie der | |
feministischen Deutung des Fleischkonsums womöglich bewusst den Rücken. | |
Nach dem Motto der großen Trude Herr: „Ich will keine Schokolade, ich will | |
lieber einen Mann.“ Anders gesagt: Männer sollen Kerle sein. Sie sollen | |
nicht ihren Cholesterinwert fürchten, sondern lustvoll über die Stränge | |
schlagen. Klingt logisch. Dachte ich. | |
Dann traf ich einen Freund. Er dreht Berichte für eine Vorabendsendung, die | |
Alltägliches erklärt wie: Wie kommt die Kohlensäure ins Wasser? Er sagte: | |
„Fleisch bringt Quote. Wenn Dönerspieße aufgeschichtet werden oder Wurst | |
durch den Wolf gedreht wird, bleiben die Zuschauer beim Zappen hängen. Die | |
können gar nicht anders.“ | |
Vielleicht also haben Fleisch und Männlichkeit weit weniger miteinander zu | |
tun, als Vegetarier und meine Freundinnen behaupten. Nicht den Mann finden | |
sie, je nach Gusto, aggressiv oder attraktiv, sondern das mit ihm | |
assoziierte Fleisch. | |
2010 trug Lady Gaga bei einer Preisverleihung ein Kleid aus zehn Kilogramm | |
Rindfleisch spazieren, das wunschgemäß Aufmerksamkeit erzielte. Später | |
erklärte die Sängerin, sie habe zeigen wollen, „dass wir für unsere | |
Überzeugungen eintreten und für unsere Rechte kämpfen müssen“. Also das | |
kann ich beim besten Willen nicht erklären. | |
29 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Matthias Lohre | |
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