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# taz.de -- Stiftung Organtransplantation: Monopolist der Organe
> Mal wird der Hirntodnachweis lax dokumentiert, mal muss eine
> Mitarbeiterin gehen: Die Vorwürfe gegen DSO-Chef Günter Kirste
> verschärfen sich.
Bild: Sauber! Die Stiftung Organtransplantation scheint nicht ganz so sauber zu…
BERLIN taz | In der Nacht vom 8. auf den 9. Dezember 2005 war Eile geboten
am Heinrich-Heine-Universitätsklinikum Düsseldorf. Das Team der
Entnahmechirurgen war schon eingetroffen, der OP vorbereitet. Die
Herausnahme der Organe des Mannes, den Intensivmediziner und Neurologen auf
der Radiologischen Intensivstation M1 nicht mehr ins Leben hatten
zurückholen können, sollte beginnen.
Der junge Kollege, der die hierfür nötigen Formalitäten überprüfen musste,
war damals noch nicht lange Mitarbeiter der Deutschen Stiftung
Organtransplantation (DSO). Aber das kleine Einmaleins der
Hirntoddiagnostik – sie ist zwingende Voraussetzung für jede postmortale
Organspende – kannte er.
Er wurde stutzig.
Es fehlte nicht bloß irgendeine Unterschrift. Es fehlte das komplette
zweite ärztliche Protokoll. Jenes Dokument also, das hätte bestätigen
müssen, dass bei dem Mann, der im elektronischen Spender-Meldesystem der
DSO fortan D2811 hieß, der zweifelsfreie, vollständige und
unwiederbringliche Ausfall sämtlicher Hirnfunktionen nicht bloß ein
einziges Mal diagnostiziert worden war. Sondern dass der Hirntod nach einem
gewissen zeitlichen Abstand erneut und von einem zweiten Mediziner
nachgewiesen worden war, um wirklich jeden Zweifel auszuschließen. Der
Verdacht lag nahe, dass diese zweite Diagnostik schlicht vergessen worden
war.
Der junge Mann informierte seine Vorgesetzte in der nordrhein-westfälischen
DSO-Zentrale, Ulrike Wirges, und die wiederum noch in der Nacht ihren
obersten Chef in der DSO-Hauptverwaltung in Frankfurt am Main, Günter
Kirste. Das bezeugen Teilnehmer späterer Mitarbeiterbesprechungen sowie
Briefwechsel zu dem Vorfall.
Zwischen 5.15 Uhr und 9.30 Uhr an jenem 9. Dezember wurden dem Spender
D2811 den ärztlichen Aufzeichnungen zufolge Organe entnommen und der
Stiftung Eurotransplant zur Vermittlung angeboten. Ohne dass eine weitere
Diagnostik erfolgt wäre. Und ohne dass das vorgeschriebene zweite
Hirntod-Protokoll vorgelegen hätte.
Kaum eine medizinische Prozedur ist so verbindlich geregelt wie die
Hirntoddiagnostik. Seit 1997 besteht hierzu eine quasigesetzliche Regelung
durch das Transplantationsgesetz. Danach müssen zwei Ärzte unabhängig
voneinander den Hirntod zweimal bestimmen – und dies auch zweimal
dokumentieren, und zwar schriftlich. Die Düsseldorfer Organentnahme hätte
unter diesen Umständen nicht stattfinden dürfen.
Dass sie trotzdem erfolgte, geschah mit Billigung und unter der
Verantwortlichkeit des Mannes, der damals wie heute an der Spitze der DSO
steht: Günter Kirste, 64 Jahre, Professor für Chirurgie, Medizinischer
Vorstand der DSO – und damit qua Amt der Monopolist für Leichenorgane in
Deutschland. Wie weit Kirstes Macht reicht, macht der weitere Verlauf des
Düsseldorfer Hirntod-Dramas deutlich: Eine Mitarbeiterin aus dem
nordrhein-westfälischen DSO-Team, die sich für eine Klärung des Falls
starkgemacht hatte, bekam die fristlose Kündigung zugestellt – per Bote um
Mitternacht.
Die DSO ist nicht irgendeine Organisation des Gesundheitswesens. Sie ist
eine privatrechtliche Stiftung, der der Staat die bundesweite Koordinierung
sämtlicher postmortaler Organspenden überantwortet hat. Seit Monaten steht
ihr Vorstand in der Kritik, dieser hoch sensiblen Aufgabe nicht gewachsen
zu sein – weder kaufmännisch noch personalpolitisch noch ethisch. Kirstes
Kollege, der Kaufmännische Vorstand Thomas Beck, nahm unlängst wegen
Vorwürfen seinen Hut, die im Vergleich anmuten wie Bagatellen. Es ging um
Vorlieben für teure Dienstwagen, einen goldenen Füller, einen Flug zum
Fotoshooting in die USA auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung –
Patzer, die sich unter der Kategorie menschliche Gier verbuchen lassen.
War Beck bloß ein Bauernopfer, das ablenken sollte von gravierenderen
Problemen? Die Fäden in der Hand, das beklagen Mitarbeiter, halte von jeher
der Medizinische Vorstand. Ihm zugeschrieben werden insbesondere das
Mobbing von Mitarbeitern, ein Klima der Angst und verbale Entgleisungen.
Kritiker, das bestätigt Kirste der taz, beschimpft er schon mal als
„Terroristen“. Darüber hinaus wurde Kirste zuletzt auffällig wegen
wiederholten Wilderns in medizinethischen Grenzbereichen.
Mal ließ er seinen Kollegen in Schulungen die umstrittene
Kommunikationstechnik Neurolinguistisches Programmieren (NLP) vermitteln,
die im Ruf steht, auf Gesprächspartner manipulativ einzuwirken. Seinen
Mitarbeitern gegenüber ließ er nie einen Zweifel daran, dass es
wünschenswert sei, Angehörigengespräche so zu führen, dass am Ende die
Zustimmung zur Organspende erfolge. Dann verstieg er sich zu
verschwurbelten Aussagen, die nahelegten, er befürworte das Intubieren und
Beatmen von nicht hirntoten Patienten eigens zum Zwecke der Organspende.
Ein klarer Bruch des geltenden Rechts, wonach Patienten nur zu ihrem
eigenen Nutzen behandelt werden dürfen. Auch während eines einstündigen
Telefonats mit der taz mochte sich Kirste hierzu nicht eindeutig
positionieren.
Zuletzt geriet Kirste unter Beschuss, weil er als DSO-Vorstand die
rechtswidrige Praxis seines Ziehvaters Axel Haverich von der Medizinischen
Hochschule Hannover (MHH) duldete, osteuropäische Chirurgen ohne
Approbation zu Organentnahmen in Kliniken in ganz Deutschland auszusenden.
Tatsächlich hatten die Chirurgen nur eine Berufserlaubnis für Hannover.
Trotzdem vergütete die DSO die Entnahmen über Monate und verzichtete
darauf, die Staatsanwaltschaft einzuschalten.
Kirste wird protegiert. Nicht nur vom Vorsitzenden des Stiftungsrats, Wolf
Otto Bechstein, dem die Aufsicht über die DSO obliegt und der Kirstes
Arbeit als „hervorragend“ verteidigt. Sondern auch von der Ständigen
Kommission Organtransplantation (StäKO) der Bundesärztekammer sowie der
ebenfalls dort angesiedelten Prüf- und Überwachungskommission, einer Art
interner Gerichtsbarkeit. Und das liegt, neben personellen Überschneidungen
der Mitglieder der diversen Gremien und gegenseitigen beruflichen
Abhängigkeiten, auch daran, dass die DSO-Kontrolleure schon häufig in ihrer
Rolle versagten.
Nach Recherchen der taz waren viele der Vorwürfe, die im Frühjahr 2012
durch ein Wirtschaftsprüfungsgutachten bestätigt wurden, dem Stiftungsrat
seit etwa drei Jahren bekannt – ohne dass das Aufsichtsgremium eingriff.
Erst als im Herbst 2011 durch anonyme Mails belastende Details öffentlich
wurden, beauftragte der Stiftungsrat externe Prüfer. „Sie haben Kirste viel
zu lange gehalten“, sagt der frühere Geschäftsführende Arzt der DSO-Region
Nord-Ost, Claus Wesslau. „Wenn sie ihn jetzt fallen lassen, kommt das einem
eigenen Schuldeingeständnis gleich.“
Etwa im Fall der Hirntoddiagnostik: Nachdem der Düsseldorfer Fall und
Kirstes Haltung hierzu DSO-intern für breite Debatten gesorgt hatten, hätte
man annehmen können, dass den DSO-Kontrollgremien an Transparenz und
Aufklärung gelegen wäre. Und zwar durch Institutionen, die gemeinhin für
solche Fragen kompetent sind: Staatsanwaltschaften und Gerichte.
Stiftungsrat, StäKO und Überwachungskommission indes hielten es für
opportun, die Sache selbst und damit unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu
lösen.
Auch die DSO beendete den Fall auf ihre Art – mit Kündigung und einem
arbeitsrechtlichen Prozess gegen die kritische Mitarbeiterin, die eine
Aufarbeitung der umstrittenen Organentnahme gefordert hatte. In einem der
vielen Schriftsätze, die daraufhin ergingen, ließ die DSO immerhin durch
ihre Anwälte ein brisantes Fehlverhalten einräumen: „Richtig ist, dass es
im Dezember 2005 in Düsseldorf eine Organentnahme gab, bei welcher die
Hirntot-Diagnostik in einem Punkt von der bei der Beklagten üblichen und
vorgegebenen Art und Weise abwich. Die Beteiligten waren sich aber sicher,
dass das zweite Protokoll existent war, es konnte zum Zeitpunkt der
Organentnahme nur nicht aufgefunden werden.“
Als die geschasste Mitarbeiterin daraufhin den Stiftungsrat, die
Überwachungskommission und die StäKO schriftlich um Hilfe bat, wurde sie
vertröstet. Im Februar 2010 schließlich, da hatte sie längst zermürbt den
Auflösungsvertrag unterschrieben, teilte ihr die Überwachungskommission
lapidar mit: „Die von Ihnen berichtete Sache ließ sich nicht
widerspruchsfrei klären. Denkbare strafrechtliche Auswirkungen sind seit
Dezember 2008 verjährt.“
Warum aber schaltete keiner die Strafverfolgungsbehörden ein, als hierfür
noch Zeit war? „Ich“, rechtfertigt sich der Stiftungsratsvorsitzende Wolf
Otto Bechstein heute, „habe damals die Überwachungskommission gebeten, sich
zu kümmern.“ Die aber hat den Status eines eingetragenen Vereins, ihre
Stellungnahmen haben den Charakter von Empfehlungen.
Und so kommt es, dass Günter Kirste, wenn man heute noch einmal mit ihm
sprechen möchte über die Geschehnisse damals in Düsseldorf, gelangweilt ins
Telefon seufzt und mit einer Gegenfrage kontert: „Haben Sie etwa noch nie
ein Papier verlegt?“
„Mit Totschlagargumenten, wir retten ja Leben, wird unter Kirste bald alles
erlaubt“, klagt Peter Gilmer, Vorsitzender des Bundesverbands Niere, der
größten Selbsthilfeorganisation aus dem Bereich der
Transplantationsmedizin. Seit Kirste die DSO regiere „wie ein
Militärkommando“, würden Patienteninteressen hintenangestellt. Konstruktive
Zusammenarbeit sei nicht möglich. Gilmer: „Man muss sich aber an ethische
Grundsätze halten, sonst ist man als Vorsitzender einer solchen Stiftung
untragbar.“
7 May 2012
## AUTOREN
Heike Haarhoff
## TAGS
Hirntod
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