| # taz.de -- Praktiken der Transplantationsstiftung: Das schmutzige System Organ… | |
| > Ämterhäufung, Vetternwirtschaft und Verschwendung von Krankenkassengeld: | |
| > Die Deutsche Stiftung Organtransplantation agiert unkontrolliert am Staat | |
| > vorbei. | |
| Bild: Wer an dieser Spenderniere wohl verdient hat? | |
| BERLIN taz | Das Deutschherrnufer im Stadtteil Sachsenhausen, gelegen am | |
| Main und mit Blick auf die Skyline, gehört zu den protzigen Adressen | |
| Frankfurts. Wer hier residiert, sucht Geltung, Einfluss, Macht. Oder alles | |
| zusammen. | |
| Über Günter Kirste, 64, und Thomas Beck, 45, aus der Vorstandsetage der | |
| Hausnummer 52 berichteten Mitarbeiter zuletzt in anonymen Mails, dass sie | |
| schwarze Dienstlimousinen schätzten, Kongresse in Übersee, | |
| Fünf-Sterne-Hotels. Und teure Füller. | |
| Ihre 200 Beschäftigten dagegen behandelten sie „nach Gutsherrenart“, viele | |
| würden gemobbt. Das Gebaren der Chefs zeichne sich aus durch Verfehlungen, | |
| Vetternwirtschaft und Verschwendung von Krankenkassengeldern. Für Zwecke, | |
| die mit der altruistischen Ausrichtung der Organisation nichts zu tun | |
| hätten. | |
| Günter Kirste und Thomas Beck repräsentieren nicht irgendeine Firma. Sie | |
| sind der Medizinische und der Kaufmännische Vorstand der Deutschen Stiftung | |
| Organtransplantation (DSO), einer gemeinnützigen Stiftung bürgerlichen | |
| Rechts, die Ende der 80er Jahre als Tochter des Kuratoriums für Dialyse und | |
| Nierentransplantation entstanden ist. | |
| Der Stiftung hat der Staat vor zwölf Jahren eine der sensibelsten | |
| bioethischen Aufgaben überantwortet: die Organisation und Durchführung der | |
| Organspende. Etwa 44 Millionen Euro fließen jährlich aus der gesetzlichen | |
| Krankenversicherung (GKV) an die DSO, damit diese sämtliche Organentnahmen | |
| bundesweit verantwortet. | |
| ## Historischer Tiefststand erreicht | |
| Wer um die Organe von Toten werben will, braucht den Rückhalt der Lebenden: | |
| Organspende, das ist ein Akt der Freiwilligkeit, er basiert auf Transparenz | |
| und Vertrauen, fragilen Parametern. Unter Kirste und Beck hat die | |
| Organspende in Deutschland 2011 mit 1.200 postmortalen Spendern einen | |
| historischen Tiefststand erreicht. | |
| Das Transplantationsgesetz wird gerade reformiert; es wäre also Gelegenheit | |
| zu fragen, ob es zeitgemäß ist, die Organspende einer privatrechtlichen | |
| Stiftung zu übertragen, die sich – weil sie dem Stiftungsrecht unterliegt – | |
| der Kontrolle des Staats quasi komplett entziehen kann. | |
| Aktuell hat das Parlament nicht einmal Einsicht in einen | |
| Wirtschaftsprüfbericht über die Geschäfte der DSO-Vorstände erhalten. | |
| Trotzdem wollen die Deutsche Krankenhausgesellschaft, die Bundesärztekammer | |
| sowie der GKV-Spitzenverband, die als Auftraggeber die Koordinierung der | |
| Organentnahme neu ausschreiben könnten, bisher an den Strukturen nicht | |
| rütteln. Warum? | |
| „Das ist Filz pur“, sagt einer, der die übersichtliche deutsche Szene der | |
| Transplantationsmediziner seit Jahren beobachtet, „keiner traut sich an das | |
| System DSO ran.“ Zu groß seien die personellen Verflechtungen und | |
| Ämterhäufungen, gepaart mit einer inexistenten Gewaltenteilung im | |
| DSO-Stiftungsrat, dem obersten Aufsichtsgremium. | |
| ## Absurde Interessenkollisionen | |
| Wulf-Dietrich Leber beispielsweise tritt als Leiter der Abteilung | |
| Krankenhäuser beim GKV-Spitzenverband einerseits als Vertreter der Auftrag- | |
| und Geldgeber der DSO auf. Andererseits soll er – als Mitglied des | |
| DSO-Stiftungsrats – die Stiftung und deren Vorstand kontrollieren. | |
| Außerdem ist Leber Mitglied der Ständigen Kommission Organtransplantation | |
| der Bundesärztekammer (StäKo), die Empfehlungen zu Organspende, | |
| -vermittlung und -verteilung gibt, Richtlinien mitentwickelt und Parlamente | |
| und Regierungen berät. In dieser StäKo wiederum sitzt aber auch der | |
| Medizinische Vorstand der DSO, Günter Kirste, dessen Stiftung von den | |
| Krankenkassen finanziert und kontrolliert wird. Und da soll es keine | |
| Interessenkollisionen geben? | |
| Oder Wolf Otto Bechstein, Direktor der Klinik für Allgemein- und | |
| Viszeralchirurgie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am | |
| Main: Der DSO-Stiftungsratsvorsitzende und damit oberste Kontrolleur | |
| profitiert zugleich von ihr. Bechsteins Klinik ist als Einzige in Hessen | |
| für Lebertransplantationen ausgewiesen. Die Kosten für sämtliche | |
| Organentnahmen an seiner Klinik, Chirurgen inklusive, erstattet die DSO; | |
| sollen Explanteure aus Bechsteins Team besser vergütet werden, dann handelt | |
| die DSO dies mit aus. | |
| Bechstein, sagen Kritiker, habe mit Kirste und Beck über Jahre zwei | |
| umstrittene Männer im DSO-Vorstand deswegen mitgetragen, weil diese brav | |
| seine Ziele umsetzten. Insofern sei sein Interesse gering, sie fallen zu | |
| lassen. Zugleich ist Bechstein auch Mitglied der StäKo sowie Präsident der | |
| Deutschen Transplantationsgesellschaft (DTG), einer wissenschaftlichen | |
| Gesellschaft, deren Ziel die Förderung der Transplantationsmedizin ist. | |
| Kurz: Sämtliche Informationen über Organisation, Verteilung, Vergütung, | |
| Richtlinien zu Organspenden und Transplantationen laufen bei ihm zusammen. | |
| ## „Einfach ein Angebot“ | |
| Unabhängig beaufsichtigen und zugleich Geld kassieren von der DSO – auch | |
| für Björn Nashan, Professor für Transplantationsmedizin am Hamburger | |
| Universitätskrankenhaus Eppendorf, Mitglied der StäKo und Mitglied des | |
| DSO-Stiftungsrats, ist das offenbar kein Widerspruch: Im Rahmen eines | |
| Pilotprojekts zur Steigerung der Organspende etwa wurde am UKE ein | |
| sogenannter Inhousekoordinator auf einer halben Stelle von der DSO | |
| finanziert. | |
| Andere Krankenhäuser erhielten für dieselbe Tätigkeit nur pauschal 800 Euro | |
| monatlich. Das sei „einfach ein Angebot der DSO gewesen“, sagt Nashan. | |
| Geschmäcklerisches mag er nicht erkennen. Derzeit ist Nashan übrigens als | |
| Nachfolger von Bechstein als DTG-Präsident im Gespräch, sollte er zuvor | |
| nicht anderweitig stolpern: Die Staatsanwaltschaft Hamburg ermittelt gegen | |
| Nashan wegen fahrlässiger Tötung eines transplantierten Kindes. | |
| Eine Teilzeitstelle finanzierte die DSO auch mal am Lehrstuhl des | |
| Strafrechtsprofessors Hans Lilie in Halle. Organspende, das ist | |
| Sozialrecht, Medizinrecht. Aber Strafrecht? „Die DSO hatte damals noch | |
| keinen eigenen Justiziar“, sagt Hans Lilie heute. Weswegen sein Lehrstuhl | |
| die DSO mit Rechtsgutachten unterstützt habe. Inzwischen hat Lilie es zum | |
| Vorsitzenden der StäKo gebracht. | |
| „Jeder Verdacht mangelnder persönlicher Integrität schadet dem Ansehen der | |
| Organspende“, sagt ein frustriertes Exmitglied des Stiftungsrats. Geachtet | |
| werde dieser Grundsatz in der DSO nicht. Zuständig für die Finanzkontrolle | |
| im Stiftungsrat etwa ist der ehemalige Vorstandssprecher der Frankfurter | |
| Sparkasse, Klaus Wächter. Der hatte im Jahr 2004 seinen Posten nach | |
| Vorwürfen wegen des Verdachts der Beihilfe zur Steuerhinterziehung geräumt. | |
| ## Lachender Lobbyist | |
| Ende der 90er Jahre waren es mit Rudolf Grupp und Thomas Zickgraf | |
| ausgerechnet zwei ehemalige ranghohe Beamte aus dem | |
| Bundesgesundheitsministerium und dem hessischen Sozialministerium, die zur | |
| DSO wechselten, als Mitglied des Vorstands und Geschäftsführender Arzt. | |
| Zuvor hatten Grupp und Zickgraf maßgeblich das Transplantationsgesetz von | |
| 1997 mitgestaltet. „Ich hatte die Kontakte zu den Kliniken, zur Politik und | |
| zu den Kassen“, sagt Grupp heute und lacht. „Bei der Aushandlung der | |
| Vergütung war das schon praktisch.“ | |
| Intransparenz, Gefälligkeiten, aber auch Schweigen aufgrund gegenseitiger | |
| Abhängigkeiten prägen seit Jahren das System DSO. Als Kirste, damals | |
| Professor für Transplantationsmedizin in Freiburg, im Jahr 2000 | |
| DSO-Vorstandsmitglied wurde, da galt er als höchst umstritten wegen seines, | |
| nun ja, extravaganten Verständnisses von medizinischer Ethik: Kirste hatte | |
| 1999 in der Schweiz eine „Crossover-Lebendspende“ durchgeführt, das ist | |
| eine Art Ringtausch von Organen zwischen Menschen, die nicht miteinander | |
| verwandt sind, aber deren Blutgruppen miteinander kompatibel sind. | |
| In Deutschland sind Lebendorganspenden nur zwischen nahen Verwandten oder | |
| einander sehr nahe stehenden Menschen erlaubt, um jeden Verdacht der | |
| Kommerzialisierung von Organspende auszuschließen. Hätte Kirste die | |
| Operationen in Deutschland durchgeführt – er hätte sich strafbar gemacht. | |
| Trotzdem wurde er zunächst Mitglied des DSO-Vorstands und ab 2004 sogar | |
| Medizinischer Vorstand der DSO. Als einer seiner wichtigsten Förderer galt | |
| Axel Haverich, damals Chef der Herzchirurgie in Hannover und inzwischen | |
| Ärztlicher Direktor der Medizinischen Hochschule dort. Über Jahre war | |
| Haverich zudem Vorsitzender des DSO-Stiftungsrats. | |
| ## Organspenden an Lebenden | |
| Kirste verdankt Haverich viel, nicht nur seinen Job, sondern auch den | |
| Rückhalt, dass einer, der im Ausland Organspenden an Lebenden durchgeführt | |
| hat, die hierzulande gesetzeswidrig sind, nunmehr in seiner Rolle als | |
| DSO-Vorstand um Organspenden von Toten werben darf – und damit um das | |
| Vertrauen der Angehörigen. | |
| Im Jahr 2007 dann trennte sich die DSO aufgrund verschiedener Bestimmungen | |
| im neuen Gewebegesetz von ihrer Tochtergesellschaft, der Gemeinnützigen | |
| Gesellschaft für Gewebetransplantation (DSO-G). Anders als mit Organspenden | |
| lässt sich mit Gewebespenden, weil diese aufwendig aufbereitet werden | |
| müssen, bevor sie transplantiert werden können, extrem viel Geld verdienen. | |
| Um dem Eindruck der Kommerzialisierung entgegenzuwirken, entschloss sich | |
| die DSO zum Verkauf der DSO-G. Der Zuschlag ging an Haverichs Medizinische | |
| Hochschule Hannover. Die machte aus der DSO-G, gemeinsam mit den | |
| Universitätsklinika Leipzig und Dresden, die Deutsche Gesellschaft für | |
| Gewebetransplantation mbH. | |
| Zu welchem Preis das Geschäft abgewickelt wurde, ist bis heute unklar. | |
| Mitbewerber wie der Ärztliche Direktor des Deutschen Herzzentrums Berlin, | |
| Roland Hetzer, äußerten damals in Interviews den Verdacht, der | |
| Verkaufspreis sei eher ein symbolischer gewesen und habe weit unter den | |
| Geboten der Mitkonkurrenten gelegen. | |
| 28 Mar 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Heike Haarhoff | |
| ## TAGS | |
| DSO | |
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