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# taz.de -- Deutsche Transplantationsszene: Neuer Kopf für die Organspende
> Der langjährige Eurotransplant-Chef Axel Rahmel rückt jetzt in den
> Medizinischen Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation auf.
> Ein Porträt.
Bild: Viele Hände tauschen die Niere.
BERLIN taz | Vorige Woche, als sich die deutsche Transplantationsszene auf
einem Mediziner-Kongress in Berlin traf, hat Axel Rahmel den Herren
Leberchirurgen und dem Präsidenten der Bundesärztekammer noch einmal ins
Gewissen geredet. Die Organspende in Deutschland, warnte Rahmel, bewege
sich seit dem Organskandal im freien Fall. Man steuere die düstere Grenze
von 10 Organspendern pro eine Million Einwohner an, vor drei Jahren waren
es noch mehr als 14 Spender gewesen.
10 pro eine Million, diese Relation sei, bedauerte Rahmel, ein No-Go für
eine Mitgliedschaft bei der Organvermittlungsstelle Eurotransplant, als
dessen scheidender Chef er in Berlin seine Rede hielt: Würde Deutschland
heute dem europäischen Vergabe-Verbund beitreten wollen, so Rahmel, dann
würde dieser Antrag abgelehnt.
Die Logik dahinter: Wer im eigenen Land so wenige Organspender generiert,
dass es für die eigenen Patienten vorne und hinten nicht reicht, der nutzt
den anderen Mitgliedstaaten erst recht nicht genug, als dass es sich
lohnte, mit ihm zu kooperieren. Die Deutschen hätten also Glück, dass sie
schon viele Jahre Mitglied bei Eurotransplant seien - und insofern
rückwirkend nicht mehr ausgeschlossen werden könnten.
Es war Rahmels letzter Auftritt als Medizinischer Direktor von
Eurotransplant, der er seit 2005 war, unaufgeregt im Ton, präzise in der
Sache und in der Analyse gnadenlos: „Ich fürchte, die Talsohle ist noch
nicht erreicht“, sagte er. Ab dem heutigen Dienstag nun will der 51-jährige
Kardiologe dazu beitragen, dass es wieder aufwärts geht mit der Organspende
in Deutschland: Rahmel ist neuer Medizinischer Vorstand und damit der
mächtigste Mann bei der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) in
Frankfurt. Die DSO ist zuständig für die bundesweite Koordinierung der
postmortalen Organspenden und die Logistik rund um die Organentnahmen.
## Zweiter Anlauf
Schon vor eineinhalb Jahren hatte der damalige Bundesgesundheitsminister
Daniel Bahr (FDP) den als integer, fleißig und extrem genau geltenden
Rahmel zur DSO holen wollen; Rahmel sollte dem seit Jahren
krisengeschüttelten Laden wieder eine Perspektive geben und den
Mitarbeitern ein erträgliches Arbeitsumfeld - die Vorwürfe damals kreisten
um Personalintrigen, Vetternwirtschaft und strategische Fehlentscheidungen
zu Lasten der Organspende. Doch die Verhandlungen scheiterten an den
Vertragsbedingungen.
Im zweiten Anlauf ließ Rahmel sich überzeugen. „Ich sehe mit Sorge, dass
wir uns zum Entwicklungsland der Organspende entwickeln“, hat er der taz
mal zu Fragen seiner eigenen Motivation gesagt, „ich möchte dem entgegen
wirken“. Rahmel übernimmt eine Stiftung, in der es Mitarbeitern zufolge
zwar intern weiterhin brodelt, deren Zustand nach außen aber solider wirkt
als noch vor Monaten. Zu verdanken ist dies auch dem professionellen Wirken
des Interimsvorstands Rainer Hess, der als ehemaliger Vorsitzender des
Gemeinsamen Bundesausschusses ein gesundheitspolitisches Schwergewicht und
somit Machtintrigen und interessengeleitetes Gefeilsche im System gewohnt
war.
## Skandal um Organspenden
Die Erwartungen an den neuen Medizinischen Vorstand sind gewaltig. Es ist
nicht nur der Skandal um Manipulationen bei der Organvergabe an mehreren
Unikliniken, der dem Ansehen der Organspende geschadet hat. Es ist der
desaströse Umgang mit seiner Aufarbeitung, lausige Prüfberichte inklusive.
Es sind die unzureichenden Konsequenzen in den Kliniken und die mangelnden
politischen Reformen. Und vor allem ist es das Abwürgen jeglicher
kritischer Debatte, sei es um ökonomische Fehlanreize, Interessenskonflikte
oder die Qualitätssicherung bei der Hirntoddiagnostik, die das Vertrauen
der Bevölkerung in das System auf den Nullpunkt haben sinken lassen.
Axel Rahmel selbst ist ein Mann dieses Systems – seit 2005 war er bei
Eurotransplant so etwas wie der Chef-Organvermittler, zuvor betreute er am
Herzzentrum der Universität Leipzig als Kardiologe acht Jahre lang
Transplantationspatienten. Er ist überdies Mitglied der Ständigen
Kommission Organtransplantation (StäKO) der Bundesärztekammer, einem
demokratisch nicht legitimierten Hinterzimmerzirkel, der die Richtlinien
zur Organvergabe entwickelt und unter anderem wegen seiner
diskriminierenden Politik gegenüber alkoholkranken Patienten aktuell in der
Kritik steht.
## Image des Pflichtbewussten
Als StäKO-Mitglied handelte Rahmel also erst die Richtlinien mit aus, die
er sodann als Eurotransplant-Chef exekutierte, und deren Einhaltung
wiederum ein Gremium überwacht, dem er als „Gast“ angehört. Auch als
DSO-Chef wird Rahmel der StäKO weiterhin angehören. Ämterhäufungen,
personelle Verflechtungen und eine inexistente Gewaltenteilung sind
innerhalb der sehr überschaubaren deutschen Transplantationsszene jedoch
gang und gäbe, so dass selbst Kritiker des Systems immer wieder anerkennend
betonen, Rahmel zumindest habe seine Positionen und seinen Einfluss nicht
missbraucht.
An seinem Image als aufrechter Pflichtbewusster hat Rahmel aktiv
mitgewirkt: Wann immer Eurotransplant Gefahr lief, in die Schlagzeilen zu
geraten durchforstete Rahmel akribisch Akten und elektronische Unterlagen,
hörte geduldig Mitschnitte von Telefonaten ab, notfalls auch in
Nachtschichten und meistens persönlich. Er wartete mit Statistiken auf, die
anderswo neidvoll betrachtet wurden, parierte jeden Einwand mit Fakten,
Zahlen oder Protokollen, die andere längst als verschollen geglaubt hatten.
Als „Workaholic“ charakterisieren ihn selbst Kollegen, die ihn sehr
schätzen; Rahmel selbst kümmern solche Attribute kaum. „Vertrauen“, lautet
einer seiner Lieblingssätze, „schafft man nicht durch Worte, sondern durch
Taten“.
1 Apr 2014
## AUTOREN
Heike Haarhoff
## TAGS
DSO
Organspende-Skandal
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Untersuchung
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