# taz.de -- Göttinger Organspende-Skandal: Neues Gesetz schon wieder veraltet | |
> Das neue Transplantationsgesetz ist gerade in Kraft getreten. Doch | |
> aufgeschreckt durch den Göttinger Organspende-Skandal fordern | |
> CDU-Politiker „Konsequenzen“. | |
Bild: Bisher lag es an Informanten und Journalisten, Missstände bei der Organs… | |
HAMBURG taz | Erst am Mittwoch ist das neue Transplantationsgesetz (TPG) in | |
Kraft getreten. Doch aufgeschreckt durch den Göttinger | |
Organverteilungsskandal, fordern Politiker „Konsequenzen“, die das neue | |
Gesetz womöglich infrage stellen. Allen voran CDU-Gesundheitsexperte Jens | |
Spahn Anfang dieser Woche: Wenn Bundesärztekammer und Deutsche Stiftung | |
Organtransplantation (DSO) jetzt nicht durchgreifen, „müssen wir darüber | |
nachdenken, denen die Zuständigkeit zu entziehen und das in staatliche Hand | |
zu geben“, so Spahn. | |
Er will, dass die Bundesärztekammer und die DSO dem Gesundheitsausschuss | |
des Bundestags im September bei einer Sondersitzung Rede und Antwort | |
stehen. | |
Zentrale Fragen drängen sich auf: Wer kontrolliert im | |
Transplantationssystem wen? Und: Was passiert nach Verstößen? Laut TPG | |
prüft eine Kommission, angesiedelt bei der Bundesärztekammer, ob die Organe | |
korrekt zugeteilt werden – stichprobenartig. Das ehrenamtliche Gremium | |
publiziert keine Tätigkeitsberichte. So konnte die Öffentlichkeit bisher | |
nur erfahren, dass es bei der Organverteilung gelegentlich Auffälligkeiten | |
gab: Seit 2000 haben die Kontrolleure 115 „klärungsbedürftige“ Vorgänge | |
„abschließend beurteilt“. | |
Was sie genau herausbekommen haben, wo Transplanteure Recht brachen, | |
erfahren zunächst nur die Auftraggeber der Kommission. Neben der | |
Bundesärztekammer sind das auch die gesetzlichen Krankenkassen sowie die | |
Deutsche Krankenhausgesellschaft. Sie alle hielten es bisher nicht für | |
nötig, die Öffentlichkeit über Regelverstöße und deren Konsequenzen | |
umfassend zu informieren. Es waren stets Journalisten und Informanten, die | |
Unregelmäßigkeiten bekannt machten – die in Göttingen, aber auch in | |
Kliniken in Essen, Regensburg oder Berlin. | |
Das nun reformierte TPG verpflichtet die Kommission, ihre Erkenntnisse an | |
„die zuständigen Behörden“ der Bundesländer weiterzuleiten. Das lag nach | |
dem alten Gesetz im Ermessen der Kommission. Leiteten die Prüfer jedoch | |
ihre Informationen weiter, passierte auch dann offenbar nicht viel. | |
Wiederholt habe die Kommission „zur Kenntnis nehmen“ müssen, dass die | |
alarmierten Behörden auf festgestellte Rechtsverstöße keine Sanktionen | |
folgen ließen, heißt es in einer 10-Jahres-Bilanz zum TPG, erstellt 2009 im | |
Auftrag des Gesundheitsministeriums. | |
## Fehlende Kompetenzen | |
Dieser Bericht offenbart strukturelle Defizite: Der Kommission fehle es an | |
ausreichenden Kompetenzen für Prüfungen in Transplantationszentren. Der | |
Gesetzgeber solle daher „überlegen“, riet die Bundesärztekammer, den | |
ehrenamtlichen Kontrolleuren ein Überwachungsinstrumentarium an die Hand zu | |
geben, das sich an der Strafprozessordnung orientiert. | |
Mögliche Optionen erläuterte Hans Lilie, Strafrechtler und Vorsitzender der | |
Ständigen Bundesärztekammer-Kommission Organtransplantation, 2009 am | |
Beispiel der Schweiz. Das dortige Bundesamt für Gesundheit dürfe | |
unangemeldet Transplantationszentren betreten, durchsuchen und sogar Organe | |
beschlagnahmen. Zudem gebe es „Sanktionsmöglichkeiten“ bis hin zu | |
Schließungen von Zentren. | |
Der Göttinger Fall, ruchbar geworden im Juli 2011 durch einen anonymen | |
Anruf bei der DSO, sei von der Prüfungskommission aufgedeckt worden, sagt | |
Hans Lilie heute. Er ist mittlerweile der Meinung, dies belege, dass die | |
Kontrolle unter den geltenden Regeln funktioniere. Fraglich ist jedoch, ob | |
sich die Politik damit zufriedengeben kann. | |
1 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Klaus-Peter Görlitzer | |
## TAGS | |
DSO | |
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