# taz.de -- Transplantationen ohne wirksame Kontrolle: „Probleme der Qualitä… | |
> Bei der Verteilung von Organspenden kommt es gelegentlich zu | |
> Unregelmäßigkeiten. Die Kontrollkommissionen bei der Bundesärztekammer | |
> können kaum eingreifen. | |
Bild: Viele Staatsrechtler halten es für eine originäre Aufgabe der Politik z… | |
Wer wissen will, ob es im Transplantationswesen stets mit rechten Dingen | |
zugeht, soll den Tätigkeitsberichten der Bundesärztekammer (BÄK) vertrauen. | |
Das aktuelle Exemplar für 2011 bilanziert auf etwas mehr als einer Seite | |
die Arbeit der sogenannten Prüfungskommission; dieses bei der BÄK | |
angesiedelte Gremium hat gemäß Transplantationsgesetz (TPG) den offiziellen | |
Auftrag, Auffälligkeiten bei der Vermittlung menschlicher Organe zu | |
untersuchen. | |
Das tun die Prüfer nach eigener Darstellung „in regelmäßigen Abständen | |
stichprobenartig“, seit ihrer Einrichtung im Jahr 2000 seien der Kommission | |
insgesamt 119 klärungsbedürftige Vorgänge bekannt geworden; 115 davon habe | |
sie „abschließend beurteilt“, in der „überwiegenden Zahl der Fälle“ … | |
sie „Probleme der Qualitätssicherung“ festgestellt. | |
Außerdem liest man: „In einem der noch anstehenden Fälle ermittelt die | |
Kommission allerdings wegen erheblicher Richtlinienverstöße.“ Was genau | |
passiert ist, welche Patienten wie warum benachteiligt wurden, wo und wer | |
in Transplantationszentren wie oft an welchen Rechtsbrüchen beteiligt war, | |
ob es Konseqenzen gab – all dies erfährt die deutsche Öffentlichkeit nicht | |
von Bundesärztekammer und zuständiger Kommission, in der neben Medizinern | |
und Juristen auch Vertreter der gesetzlichen Krankenversicherung mitwirken. | |
Noch kürzer im aktuellen BÄK-Bericht sind die Ausführungen über ein zweites | |
Gremium, bezeichnet als „Überwachungskommission“. Dort sitzen dieselben | |
Personen wie in der Prüfungskommission, überwachen sollen sie unter | |
anderem, ob die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) auch korrekt | |
arbeitet. | |
## Festschrift „Medizin und Haftung“ | |
Erwähnt wird, dass die DSO, deren Wirken ja seit Oktober 2011 massiv von | |
recherchierenden Medien kritisiert wird, im November durch die zuständigen | |
Kontrolleure besucht worden ist. Ob bei dieser „Jahresvisitation“ womöglich | |
Unregelmäßigkeiten bemerkt wurden, steht nicht im BÄK-Bericht. | |
Wer zumindest eine Ahnung von grundlegenden, strukturellen Mängeln im | |
Kontrollwesen gewinnen will, sollte eine Festschrift namens „Medizin und | |
Haftung“ studieren, erschienen 2009, gewidmet dem renommierten Göttinger | |
Rechtsprofessor Erwin Deutsch zu seinem 80. Geburtstag. | |
Gratuliert wurde in akademisch gebührender Weise mit vielen | |
wissenschaftlichen Aufsätzen; das dicke Buch kostet, soweit nicht | |
vergriffen, 159,95 Euro im Handel. Einer der Autoren ist Hans Lilie, | |
Professor für Strafrecht an der Universität Halle-Wittenberg und außerdem | |
seit Ende 2006 Vorsitzender der Ständigen Kommission Organtransplantation | |
der BÄK. | |
Diese Stäko ist das mächtigste Gremium im deutschen Transplantationswesen, | |
hier reden und gestalten viele Fachleute mit, auch solche, die ihr Geld in | |
diesem Zweig der Medizin verdienen. | |
## Chronisch knappe Organe | |
Der Gesetzgeber hat die BÄK (und diese wiederum die Stäko) beauftragt zu | |
tun, was viele Staatsrechtler für eine originäre Aufgabe der Politik | |
halten: zu definieren, nach welchen Kriterien Organwartelisten geführt und | |
die – gemessen an diesen Listen – chronisch knappen Nieren, Lebern, Lungen, | |
Herzen, Dünndärme und Bauchspeicheldrüsen hirntoter Patienten an schwer | |
Kranke zugeteilt werden dürfen. | |
Hans Lilies Geburtstagsgabe für Erwin Deutsch trägt den Titel „Überwachung | |
und Prüfung der Transplantationsmedizin“, seine 11-seitige Bestandsaufnahme | |
informiert völlig anders als die Verlautbarungen, die BÄK, DSO, | |
Krankenkassen und Politiker verbreiten. | |
Laut Lilie hat die Tätigkeit der beiden Kommissionen zur Prüfung und | |
Überwachung gezeigt, dass die Kontrollbefugnisse und Eingriffsrechte, die | |
der Gesetzgeber ihnen gewährt habe, „nur sehr mangelhaft ausgestaltet“ | |
sind. Eine klare gesetzliche Vorgabe, „im Einzelfall konkret das Verhalten | |
der Transplantationszentren selbst zu überprüfen“, gebe es nicht, bemängelt | |
Lilie. | |
Beide Kommissionen sollten zwar kontrollieren, es stünden „ihnen aber | |
keinerlei Kontrollmechanismen zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben zur | |
Verfügung“. Andererseits habe der Gesetzgeber „praktisch jede staatliche | |
Einflussnahme auf die Kontrolltätigkeit dieser wichtigen Kommissionen | |
ausgeschlossen“. | |
## „Lediglich Berichtspflichten“ | |
Die DSO zum Beispiel könne von der Überwachungskommission nicht wirklich | |
durchleuchtet werden: Sie habe, so Lilie, „lediglich Berichtspflichten“ und | |
sei „gehalten, den Jahresabschluss vorzulegen“. Fordere die Kommission | |
selbst Unterlagen ein, müsse die DSO nur solche Dokumente offenbaren, die | |
als „erforderlich“ gelten. | |
Der Begriff der „erforderlichen Auskünfte“ sei „angesichts der zu | |
kontrollierenden Tatsachen freilich recht vage“, stellt Lilie klar, in der | |
Praxis bestimme die DSO wohl selbst, was sie offenbaren und was sie | |
verschweigen wolle. Ähnlich stehe es um die Auskunftspflichten der | |
Organverteilungszentrale Eurotransplant. | |
Eine unmittelbare Durchsetzungsmöglichkeit gegenüber dieser Stiftung, die | |
im niederländischen Leiden beheimatet ist und Organe auch nach Deutschland | |
vermittelt, bestehe „gerade nicht“, bemerkt Lilie. Sein Fazit: „Am Ende i… | |
die Kontrolltätigkeit im Wesentlichen von der Kooperationsbereitschaft der | |
zu kontrollierenden Institution abhängig.“ | |
Dabei laufe in der Transplantationslandschaft längst nicht mehr alles so | |
harmonisch: „Kostendruck und Wettbewerb“, so Lilies Einschätzung, „schei… | |
den Vorwand für Eingriffe in das System zu fördern.“ In seinem Aufsatz | |
skizziert der Strafrechtler denn auch konkrete Rechtsverstöße. | |
## Rechtswidrige Umgehung der Warteliste | |
Etwa den Fall einer Transplantation in Berlin, wo die Niere eines hirntoten | |
Mannes auf seine Gattin übertragen worden war – unter bewusster Umgehung | |
der Organwarteliste, rechtswidrig, aber vollzogen mit ausdrücklicher | |
Zustimmung der Verantwortlichen von BÄK, DSO, Eurotransplant sowie der | |
operierenden Chirurgen. | |
Im Jahr 2009, als er seinen erhellenden Aufsatz schrieb, sah Professor | |
Lilie „Regelungsbedarf“, das System zur Einhaltung des | |
Transplantationsgesetzes und der dazu verfassten BÄK-Richtlinien bedürfe | |
einer „konsequenten und harten Kontrolle“. Anregungen biete eine | |
„Rechtsvergleichung“ mit der Schweiz. | |
Das dort geltende Transplantationsgesetz sehe zum Beispiel vor, dass das | |
Bundesamt für Gesundheit beaufsichtigt, ob die gesetzlichen Vorgaben | |
eingehalten werden. Zu diesem Zweck dürfe die Behörde auch, was dem | |
deutschen TPG „völlig fremd“ sei: „periodische Inspektionen durchführen… | |
erklärt Lilie. | |
Besonders weitgehend sei, dass das Schweizer Bundesamt auch unangemeldet | |
Grundstücke, Betriebe, Räume und Fahrzeuge betreten dürfe – sogar dann, | |
wenn kein Durchsuchungsbefehl vorliegt. Bei Gesetzesverstößen gibt es in | |
der Schweiz diverse Sanktionsmöglichkeiten, die in der Bundesrepublik | |
Deutschland praktisch Neuland wären. | |
## Änderungsantrag steht nicht zur Wahl | |
Die Palette reicht laut Lilie von förmlichen Beanstandungen über | |
Beschlagnahmen von Körperstücken bis zur Schließung von | |
Transplantationszentren. So weit wie der Schweizer Gesetzgeber will | |
BÄK-Berater und Strafrechtler Lilie aber nicht gehen. | |
Denn er hält eine Aufsicht durch Ministerien und Verwaltungsbeamte für | |
weniger effektiv als „strikte berufsrechtlich orientierte Kontrolle“ – | |
vorausgesetzt, die Befugnisse der beiden Kommissionen zur Prüfung und | |
Überwachung würden erweitert. | |
Von BÄK-Vorstand und Deutschem Ärztetag gab es bisher keine öffentliche | |
Unterstützung für Lilies Linie aus der schönen, teuren Festschrift von | |
2009. Gemäß aktuellem Zeitplan der Fraktionschefs soll der Bundestag am 25. | |
Mai über die TPG-Reform abstimmen. Ein Änderungsantrag mit dem Ziel, | |
wirksame Kontrollen und mehr Transparenz zumindest mal möglich zu machen, | |
steht bislang nicht zur Wahl. | |
18 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Klaus-Peter Görlitzer | |
## TAGS | |
DSO | |
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