| # taz.de -- Vorraussetzungen für Organspende: Das System Hirntod | |
| > Voraussetzung für eine Organentnahme ist der Tod des „Spenders“. Doch | |
| > wann ein Mensch tot ist, darüber gehen die Meinungen auch bei den | |
| > Experten auseinander. | |
| Bild: Die Bereitschaft zur Organspende in der deutschen Bevölkerung sinkt. Die… | |
| BERLIN taz | „Sehr nachdrücklich“, ließ Gesundheitsminister Daniel Bahr | |
| (FDP) kürzlich eine Runde von Journalisten wissen, sollen die Bürger | |
| demnächst aufgefordert werden, sich in Sachen Organspendebereitschaft zu | |
| erklären. | |
| Geht es nach Willen der Vertreter des interfraktionellen Gruppenantrags, | |
| der demnächst die geltende erweiterte Zustimmungsregelung ersetzen soll, | |
| werden sich Bürger und Bürgerinnen künftig wiederholt genötigt sehen, sich | |
| „zu entscheiden“, ob sie im Falle ihres Hirntods ihre Organe spenden wollen | |
| oder nicht. | |
| Weil die Dokumentation dieser Entscheidung an die nicht unumstrittene | |
| elektronische Gesundheitskarte gekoppelt wird, befasst sich die aktuelle | |
| Diskussion über die Organspende allerdings fast nur noch mit | |
| datenschutzrechtlichen Problemen. Abgelenkt wird damit nicht nur von der in | |
| die Kritik geratene Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO), sondern | |
| auch von den problematischen Voraussetzungen des ganzen Systems, dem | |
| Hirntod. Denn erst der für hirntot erklärte Mensch erlaubt es, Organe zur | |
| Transplantation zu entnehmen. | |
| Gemessen an der aufgeregten Debatte, die vor der Verabschiedung des | |
| Transplantationsgesetzes (TPG) 1997 um den Hirntod kreisten, ist das | |
| erstaunlich. Das könnte ein Indiz dafür sein, dass sich das Todeskriterium | |
| als „evident“, also stimmig erwiesen hat, wie der mittlerweile verstorbene | |
| Hirnforscher Detlef B. Linke damals forderte; oder die Gleichgültigkeit | |
| verweist darauf, dass der Hirntod als Mindestvoraussetzung, um einen | |
| Menschen für tot zu erklären, inzwischen allgemein so akzeptiert wird. | |
| Von beidem kann aber nicht ausgegangen werden, denn die sinkende | |
| Organspendebereitschaft, durch die sich die Politik zum Handeln veranlasst | |
| sieht, spricht für die zunehmende Skepsis in der Bevölkerung. Und diese | |
| wiederum wird auch genährt durch eine zunächst abseits geführte, inzwischen | |
| öffentlich werdende fachwissenschaftliche Diskussion, in deren Rahmen das | |
| Hirntodkonzept zunehmend in Misskredit gerät. | |
| ## Verzweckung von Organen | |
| In Verdacht stand es von Anfang an ohnehin, weil die berühmte Definition | |
| des Harvard Ad Hoc Committee on Brain Death zeitlich zusammenfiel mit der | |
| weltweit ersten Herztransplantation Christiaan Barnards in Südafrika. Der | |
| Zusammenhang zwischen der neuen Bestimmung von Tod und der Verzweckung von | |
| Organen für auf der Warteliste stehende Patienten schien so auffällig, dass | |
| in Vergessenheit geriet, dass es eigentlich eine medizinische Innovation | |
| war, die dazu nötigte, den Umgang mit sterbenden Menschen neu zu regeln. | |
| Dass ein Patient trotz irreversibel ausgefallener Hirnfunktionen mittels | |
| einer Herz-Lungen-Maschine auf unabsehbare Zeit am Leben erhalten werden | |
| konnte, forderte das medizinische Personal heraus. Handelt es sich nur noch | |
| um einen künstlich belebten Körpersack, dem alles, was ihn zum Menschen | |
| machte, schon abhanden gekommen war? Und darf man sich dann des Leibes | |
| bemächtigen und Teile zur Wiederverwendung entnehmen? | |
| Im Laufe der Zeit entwickelten sich abgestufte Hirntodkonzepte. Während | |
| sich zum Beispiel in Großbritannien eine relativ weit vorgeschobene | |
| Fixierung des Todes (der Teilhirntod durch Ausfall des Hirnstamms) | |
| durchsetzte, nahm die Bundesärztekammer 1982 den Ganzhirntod, der dann auch | |
| Eingang ins Transplantationsgesetz fand, als Todeskriterium in seine | |
| Empfehlungen auf. | |
| Dass fünf Jahre vor Verabschiedung des TPGs der angeblich tote Körpersack | |
| von Marion Ploch in Erlangen noch ein Kind auf die Welt zu bringen in der | |
| Lage war, beunruhigte nur die Kritiker. Für eine Weile schien die Debatte | |
| abgekühlt. Es waren dann ausgerechnet der Medizinkritik unverdächtige | |
| Wissenschaftler, die das Thema wieder auf die Agenda setzten und neue | |
| Regeln für die Transplantation forderten. | |
| ## Spezifischer als die herkömmliche Hirntoddiagnostik | |
| Durch die Entwicklung der bildgebenden Verfahren wie die | |
| Positronen-Emmissions-Tomografie und die Magnetresonanztomografie lässt | |
| sich die Aktivität des Gehirns, die Auskunft über zum Beispiel Schmerzreize | |
| geben, nun spezifischer nachweisen als mit der herkömmlichen | |
| Hirntoddiagnostik. Verschiedene Studien zeigen, dass Patienten mit | |
| minimalem Bewusstseinszustand (Minimal Conscious State, MCS) auf | |
| sensorische Reize, Gesichter oder Sprache reagieren. | |
| Britische Anästhesisten forderten im Jahr 2000 deshalb eine Totalnarkose | |
| von hirntoten Organspendern, um mögliche Schmerzempfindungen zu vermeiden. | |
| Rückenmarksreflexe sind Transplantationsteams auch hierzulande bekannt, | |
| deshalb werden hirntoten Patienten bei der Organentnahme häufig Relaxantien | |
| verabreicht. | |
| Unter Druck gerät der Hirntod aber auch von anderer Seite. Immer | |
| fragwürdiger scheint nämlich die Annahme, dass das Gehirn den | |
| Hauptintegrator für den Gesamtorganismus darstellt und dieser mit dessen | |
| Ausfall zusammenbricht. Aber wie schon der reine Augenschein zeigt, ist der | |
| Organismus, wenn auch mit Unterstützung, auch ohne Gehirn noch in der Lage | |
| zur Wundheilung oder zur Temperatursteuerung – oder eben auch zur | |
| Schwangerschaft. | |
| Das amerikanische President’s Council of Bioethics hat 2008 in einem White | |
| Paper deshalb festgehalten, „dass der anhaltende Dissens“ im Hinblick auf | |
| das Hirntodkriterium und die neuen empirischen Ergebnisse „eine erneute | |
| Debatte über den Hirntod“ erforderten. Es hat Jahre gedauert, bis | |
| Einzelstimmen, die von diesen Debatten berichteten, in Deutschland Gehör | |
| fanden – wenn auch nicht in der Politik. | |
| ## Spende nach Herzstillstand | |
| Die erneute Hirntoddebatte ist allerdings nicht ganz unproblematisch. Alan | |
| Shewmon, der vom Ethikrat geladene Hirntodkritiker etwa fordert, die | |
| Grundlagen für Organspenden ganz grundsätzlich zu überdenken. | |
| In manchen Ländern nämlich wird seit den 90er Jahren zunehmend auch die – | |
| in Deutschland verbotene – Spende nach Herzstillstand praktiziert. Das Herz | |
| hat zwar nicht unwiderruflich zu schlagen aufgehört, aber es scheint nicht | |
| sinnvoll, es wieder in Ganz zu setzen. Die verbesserten Möglichkeiten, die | |
| Funktionen der Organe möglichst lang zu erhalten, ermöglichen dann eine | |
| Entnahme. | |
| Mittlerweile gibt es sogar Stimmen, die die Organentnahme völlig von einem | |
| bestimmten Todeskriterium lösen wollen, vorausgesetzt, der Patient trifft | |
| vorab entsprechende Entscheidungen. Wenn aber jeder für sich bestimmt, wann | |
| er tot ist, und nach Belieben über seine Körperteile verfügt, werden wir | |
| ethisch in ganz neue Fahrwasser geraten. | |
| 22 Mar 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrike Baureithel | |
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