# taz.de -- Psychotricks bei der Organspende: Beratung mit der Moralkeule | |
> Die Zahl der Organspender geht zurück. Deshalb nutzt die Stiftung | |
> Organtransplantation umstrittene Verkaufsstrategien, um Angehörige von | |
> Hirntoten zur Spende zu überreden. | |
Bild: Ärzte bei der Nieren-Transplantation: Wurde sie wirklich aus freien Stü… | |
BERLIN taz | Um die Organspenderate in Deutschland zu steigern, unterstützt | |
der Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) offenbar | |
seit Jahren manipulative Methoden der Gesprächsführung im Umgang mit | |
Angehörigen von Hirntoten. Dazu finanziert die DSO nach Recherchen der taz | |
seit etwa Ende 2006 für ihre Mitarbeiter sowie für Krankenhauspersonal | |
Kommunikationsseminare nach der umstrittenen Methode des | |
Neurolinguistischen Programmierens (NLP). | |
NLP zielt auf erfolgsorientierte Kommunikation und wird gern in der | |
Verkaufsförderung eingesetzt. Als ungeeignet, weil pietätlos gilt NLP | |
dagegen für Gespräche mit trauernden, überforderten Menschen, bei deren | |
Angehörigen der Hirntod diagnostiziert wurde und die nun binnen Stunden | |
entscheiden sollen, ob eine Organspende im Sinne des Verstorbenen wäre. | |
Dennoch fördern die Vorstände der DSO, Günter Kirste und Thomas Beck, | |
NLP-Seminare, unter anderem solche der Nürnberger NLP-Trainerin Barbara | |
Schott - aus dem DSO-Budget. Dieses wird von der gesetzlichen | |
Krankenversicherung finanziert und soll laut Transplantationsgesetz für die | |
Organentnahmen bundesweit verwendet werden. Wie viel Geld geflossen ist und | |
wie viele DSO-Beschäftigte, Ärzte und Pfleger nach NLP ab 2006 geschult | |
wurden, dazu verweigert die DSO die Auskunft. | |
Alexander Kiss, Professor für Psychosomatik am Universitätsspital Basel, | |
und Fritz Muthny, Leiter des Instituts für Medizinische Psychologie an der | |
Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, erklärten gegenüber der taz, | |
bereits 2006 und 2008 in Briefen dem DSO-Vorstand nahegelegt zu haben, sich | |
im Interesse des Ansehens der Organspende, als deren vehemente Befürworter | |
Kiss und Muthny gelten, von NLP zu distanzieren. | |
In einem Brief vom 15. Dezember 2006 zeigt sich Alexander Kiss "entsetzt | |
und empört" über eine NLP-Präsentation der Trainerin Barbara Schott, mit | |
der Kiss zunächst hatte zusammenarbeiten sollen. Wörtlich heißt es in dem | |
Brief, der der taz vorliegt: "In meiner Wahrnehmung propagiert Frau Schott | |
ein das Gegenüber manipulierendes Verkaufskonzept." | |
Er, Kiss, hingegen lege Wert darauf, dass "mein Ziel primär nicht die | |
Steigerung der Organspenderate ist. Vielmehr ist mein Ziel, zu üben, wie | |
die Angehörigen dabei unterstützt werden können, einen stabilen Entscheid | |
zu treffen. (…) Dies sollte gänzlich unabhängig davon sein, ob die | |
Angehörigen einer Organspende zustimmen." | |
## Eine Entscheidung "pro Spende" | |
Kirste, sagt Kiss heute, habe auf seinen Brief und seine damit verbundene | |
Absage an jede weitere Kooperation mit einem lapidaren "schade" reagiert. | |
Ähnlich wurde offenbar die Zusammenarbeit mit Fritz Muthny aus Münster | |
beendet. Muthny hatte bis 2006 fast elf Jahre lang im Auftrag der DSO | |
Klinikpersonal im Umgang mit Angehörigen von Hirntoten geschult - nach dem | |
European Donor Hospital Programme (EDHEP), einem "ergebnisoffenen" | |
Programm, wie er betont. | |
"2006 aber gab es innerhalb der DSO einen Politikwechsel, vermutlich, weil | |
die Spendezahlen zurückgingen", erinnert sich Muthny, "plötzlich sollten | |
die Gespräche ergebnisorientiert geführt werden, das hat mir Bauchweh | |
gemacht." Zwar sei NLP nicht "grundsätzlich zu verteufeln", sagt Muthny. | |
"Aber schon der Geruch nach Verkaufsstrategie scheint mir der Situation der | |
Organspende nicht angemessen." | |
Die DSO indes erklärt das Ende des EDHEP-Programms so: "Insbesondere die | |
Ärzte, die die Gesprächsführung mit den Angehörigen verantworten, fanden | |
die Inhalte unzureichend. Aus diesem Grund hat sich die DSO entschlossen, | |
dieses Programm nicht mehr fortzusetzen." Fragen zu NLP und der Kritik | |
daran ignoriert sie. | |
Auskunftsfreudiger sind Ex-DSO-Mitarbeiter. Die DSO-Vorstände Beck und | |
Kirste hätten Kollegen, die mit Angehörigengesprächen betraut waren, dazu | |
angehalten, "quasi die Moralkeule herauszuholen und auf die lange | |
Organ-Warteliste zu verweisen", berichtet eine Ehemalige: "Es wurde uns | |
seitens des Vorstands an die Hand gegeben, dass eine Entscheidung pro | |
Organspende wünschenswert ist", berichtet sie. | |
Ein anderer Ex-DSOler, der heute als Arzt auf einer Intensivstation | |
arbeitet, erklärt, er lasse "generell keine DSOler teilnehmen an | |
Angehörigengesprächen". Die Gefahr, dass ein Mitarbeiter dieser | |
Organisation interessengeleitet argumentiere, sei groß - egal ob mit oder | |
ohne NLP-Coaching. | |
29 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Heike Haarhoff | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Anzeige wegen unerlaubter Organentnahme: Die Stiftung ist uneinsichtig | |
Monatelang duldete die Deutsche Stiftung Organtransplantation offenbar | |
Operationen durch Ärzte ohne Approbation. Die Staatsanwaltschaft prüft nun | |
die Vorwürfe. | |
Vorraussetzungen für Organspende: Das System Hirntod | |
Voraussetzung für eine Organentnahme ist der Tod des „Spenders“. Doch wann | |
ein Mensch tot ist, darüber gehen die Meinungen auch bei den Experten | |
auseinander. | |
Ethikrat debattiert über Hirntod-Konzept: Das funktionelle „Nichts“ | |
Der Deutsche Ethikrat holte sich für sein Forum „Hirntod und Organentnahme“ | |
einen Kritikerstar aufs Podium. Angehörige und Pflegekräfte wurden nicht | |
gefragt. | |
Reform des Transplantationsgesetzes: Mehr Rechte für Organspender | |
Wer seine Niere spendet, wird in einem von zehn Fällen danach krank. Bald | |
bekommen Lebendspender gesetzliche Ansprüche auf Reha und Krankengeld. | |
Neue Organspende-Regelung: „Ja“, „Nein“ oder ignorieren | |
Per Brief wird jeder Erwachsene in Deutschland künftig aufgefordert, sich | |
für oder gegen eine Organspende zu entscheiden. Doch es bleiben | |
Datenschutzbedenken. | |
Kommentar Organspenden: Das feige Parlament | |
Es gibt unbestritten einen Organmangel in Deutschland. Das Parlament scheut | |
diesen Konflikt und hat die Verantwortung feige an nichtstaatliche Akteure | |
abgegeben. | |
Debatte Organspende: Der deutsche Patient | |
Die Regeln zur Verteilung von Organen sind ein Tumor im Gewebe des | |
Rechtsstaats. Über Leben und Tod wird im Hinterzimmer entschieden. | |
Organspende via Facebook: Neue Niere? Gefällt ihm! | |
Mit einem Aufruf auf Facebook ist es dem schwer kranken Damon Brown | |
gelungen eine Organspenderin zu finden. Noch in dieser Woche soll er eine | |
neue Niere bekommen. | |
König der Organ-Akquise: Keiner, der die Klappe hält | |
Claus Wesslau verficht die Organspende leidenschaftlich. Wenn sich etwas | |
ändern soll, müsse der Bruch mit dem gesellschaftlichen Konsens gewagt | |
werden, sagt der Mediziner. |