# taz.de -- Debatte Organspende: Feiges Parlament | |
> Die Vermittlung von Spenderorganen läuft bislang intransparent und | |
> unkontrolliert. Und die Politik tut alles dafür, damit das so bleibt. | |
Am Freitag wollen die Parlamentarier dem Volk aber mal so richtig zeigen, | |
dass sie, wenn es darauf ankommt, mehr können als Koalitionskrach, | |
Taktiererei und Machtspielchen. Wenn es darauf ankommt, und bei der | |
Organspende kommt es darauf an, dann spielen ideologische wie politische | |
Gegensätze keine Rolle mehr. Das jedenfalls suggerieren die beiden in | |
dieser Frage unzertrennlichen Fraktionschefs von Union und SPD, Volker | |
Kauder und Frank-Walter Steinmeier. Dann geht es nur noch um die Sache. | |
Und die Sache drängt. Angeblich. | |
Sie drängt so sehr, dass an diesem Freitag die Grünen und die FDP, die SPD | |
und die Linkspartei und selbst Horst Seehofers CSU und die CDU gemeinsam | |
gleich zwei Gesetze durchpeitschen wollen: die Neuregelung der Organspende | |
sowie die Reform des Transplantationsgesetzes. Ziel ist eine Verbesserung | |
der Spendebereitschaft. Ein gesundheitspolitisches Nischenthema rückt auf | |
in die erste Liga der Parlamentsdebatte. Weil es sich eignet für Pathos und | |
für Symbole. Weil es rührselige Geschichten erzählt von todkranken Kindern, | |
die plötzlich wieder ausgelassen über grüne Wiesen tollen können – dank d… | |
Herzens eines altruistisch Verstorbenen, und natürlich dank | |
lebenslänglicher Immunsuppressiva (die zu erwähnen an einem solchen Tag | |
sicher als ketzerisch geahndet würde). Und weil es den Politikern | |
ermöglicht, sich als Menschen zu profilieren. Wer wollte da nicht | |
mitmachen? | |
## Ohne öffentliche Anhörung | |
So eilig hat es die große Mehrheit der Abgeordneten, ihre Gesetze zu | |
verabschieden, dass sie sogar auf eine öffentliche Anhörung verzichten | |
will. Das ist nicht nur ein Affront gegen die Demokratie und unüblich, | |
insbesondere bei sensiblen, emotional besetzten bioethischen Themen. | |
Sondern konkret ist der bewusste Verzicht vor allem: grob fahrlässiges | |
politisches Handeln. Zu Lasten der dringend auf eine Spenderleber oder | |
-niere wartenden Menschen, denen die Politiker vorgeben helfen zu wollen. | |
Eigene Organe spenden zu wollen, damit andere besser oder länger leben | |
können, ist eine selbstlose und uneigennützige, damit aber auch fragile | |
Entscheidung. Nur der Anschein von Unregelmäßigkeiten kann sie ins Wanken | |
bringen. Sie setzt Vertrauen voraus in die Institutionen, die diese Organe | |
akquirieren, entnehmen und verteilen. Sie verlangt die Gewissheit, dass | |
diese Institutionen transparent agieren. Und sie gründet auf der Annahme, | |
dass diese Institutionen demokratisch legitimiert sind und von Unabhängigen | |
kontrolliert werden. | |
Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) genügt keinem dieser | |
Parameter. Das ist misslich, denn die DSO ist der zentrale Akteur der | |
Organspenden: Sie koordiniert die Vorbereitung, Abläufe und Durchführung | |
aller postmortalen Spenden. Seit Monaten steht die Stiftung in der Kritik; | |
einer ihrer beiden Vorstände ist mittlerweile zurückgetreten, es ging um | |
Vetternwirtschaft und das Verprassen von Krankenkassengeldern. Der andere | |
Vorstand, dem weder der Respekt vor Mitarbeitern noch vor medizinethischen | |
Grundsätzen am Herzen zu liegen scheint, soll noch ein paar Monate | |
weitermachen dürfen, bis er ohnehin altersbedingt ausscheidet. | |
Doch das Problem ist nicht personell, sondern strukturell. Hiervor | |
verschließt das Parlament die Augen – in der Hoffnung, winkt man jetzt die | |
Gesetze rasch durch, dann werde schon Ruhe einkehren in der Öffentlichkeit. | |
Nicht nur bei der DSO, sondern auch bei der Frage, wieso das Parlament | |
überhaupt erst Rahmenbedingungen geschaffen hat, die solche Strukturen | |
hervorbringen: weswegen also eine staatliche Aufgabe einer privaten | |
Organisation überantwortet wurde. Und warum jetzt, wo Gelegenheit wäre zur | |
Reform, nichts passiert. Ruhe? Steigerung der Spenderzahlen? Das Gegenteil | |
steht zu befürchten. | |
## Stiftung ohne Legitimation | |
Die DSO leidet unter einem massiven Kontrolldefizit: Als privatrechtliche | |
Stiftung entzieht sie sich der staatlichen Aufsicht und Regulierung. Die | |
Besetzung ihres obersten Kontrollgremiums, des Stiftungsrats, ist ebenso | |
willkürlich wie wenig demokratisch legitimiert wie die Stiftung selbst: Die | |
obersten Kontrolleure über die Organakquise sind ausgerechnet führende | |
Köpfe der Deutschen Transplantationsgesellschaft, einer medizinischen | |
Fachgesellschaft, die ein maximales Interesse an den Organen hat. Denn | |
diese sichern das ökonomische Überleben ihrer Chirurgen ab. Kontrollieren | |
aber kann nur, wer unabhängig ist und nicht profitiert. Solange sich hieran | |
nichts ändert, bleibt die DSO ein System, das sich unweigerlich selbst | |
reproduziert. Es sei denn, ein Akteur von außen schritte ein. Dieser Akteur | |
kann nur der Gesetzgeber sein. | |
Doch das Parlament schweigt. Es drückt sich vor der Frage, wie denn zu | |
verfahren sei mit dem knappen Spenderaufkommen. Weil jede Entscheidung über | |
die Kriterien hierzu immer auch eine Entscheidung über Leben und Tod ist. | |
Über Jahre wurde diese Frage feige auf die Stiftung abgewälzt. Sich selbst | |
angreifbar zu machen, das waren 12.000 potenzielle Wählerstimmen auf der | |
Organwarteliste den Politikern dann doch nicht wert. Das rächt sich nun. | |
Anstatt wenigstens den Rechtsstatus der Koordinierungsstelle zu verändern, | |
um sie besser kontrollierbar zu machen, anstatt ihren Auftrag öffentlich | |
auszuschreiben, wie es bei jedem schnöden Verkehrsprojekt üblich ist, | |
bleibt das Parlament erneut untätig. Schlimmer noch: Es will die Macht der | |
DSO zementieren. Sie wird künftig explizit Bestandteil des Gesetzes und | |
erhält mehr Kompetenzen. So soll sie Richtlinien erlassen dürfen, wie in | |
Kliniken mit Organspendern zu verfahren ist und unter welchen Bedingungen | |
Entnahmen stattfinden. Dinge, die bisher der Bundesärztekammer vorbehalten | |
waren und eigentlich Sache des Gesetzgebers wären. Das stärkt das Monopol | |
der DSO und erhöht die Wahrscheinlichkeit weiterer Intransparenz und | |
Verfehlungen. | |
Dies wird dazu führen, dass die Organspenderrate weiter sinkt. Schuld daran | |
ist aber nicht einzig die Stiftung, sondern auch ein Parlament, das aus | |
Angst vor Konflikten bei der Entscheidung über Leben und Tod nicht den Mumm | |
hatte, sich seiner Verantwortung zu stellen. | |
24 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Heike Haarhoff | |
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