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# taz.de -- Debatte Energiewende: Mehr grüner Ärger schadet nicht
> Umweltschützer übertreiben es mit ihrer Kompromissfreude und spielen so
> den Nachhaltigkeitsfuzzis in die Hände. Es fehlt die Schlagkraft, dabei
> kann man jetzt einiges reißen.
Bild: Zu harmoniebedürftig: der Öko-Bewegung fehlt zur Zeit die alte Protestk…
Hört auf mit Versöhnung, liebe Umweltschützer. Sie bringt nichts. Gestern
lud die Kanzlerin zum Energiegipfel, und wo war der Protest, dass es mit
der Umsetzung hapert, dass die konventionelle Wirtschaft blockiert und
blockiert? In knapp einem Monat steht in Rio de Janeiro der nächste
Erdgipfel an. Die Staats- und Regierungschefs wollen der „nachhaltigen
Entwicklung neuen Schwung verleihen“.
Von Protest rund um das Treffen keine Spur. Wie viele Kuschelgipfel soll es
noch geben? Sicher, den Planeten nicht zu ruinieren, die Gesellschaft
gerechter zu gestalten, dabei aber das ökonomische Wachstum nicht zu
vergessen – dies alles drei zu haben wäre ungeheuer schön. Das Anliegen,
das inzwischen allgemein mit dem Wort Nachhaltigkeit gelabelt wird, hat
nichts an Berechtigung verloren.
Nur: Der Begriff erweist sich inzwischen als kontraproduktiv. Zu viel
Harmonie auch. Der Ausstoß der gefährlichen Treibhausgase steigt und
steigt. Riesige Flächen tropischer Wälder werden jeden Tag vernichtet. Der
Fang von frei lebenden Fischen nimmt ab, denn ein Drittel der weltweiten
Bestände gilt als überfischt.
Nötig sei eine tiefgreifende sozial-ökologische Transformation, forderte
auch Ulrich Brand. Der Professor für internationale Politik an der
Universität und Mitglied der Wachstums-Enquete des Deutschen Bundestags hat
recht. Aber was heißt das praktisch? Wie kommt man voran? Selbstkritik tut
not, und zwar von allen, die sich als Ökologen verstehen.
## Rüstungs- und Ölindustrie finden sich nachhaltig
Jürgen Maier vom Forum Umwelt & Entwicklung sagt: „Wir müssen wieder
aggressiver und kritischer werden.“ Man sollte auf ihn hören. Das
Versprechen, das Staats- und Regierungschefs auf dem Erdgipfel in Rio de
Janeiro 1992 abgaben, war so verlockend. Die globalisierte Welt sollte eine
gerechte werden, in der es sich auch in Zukunft noch gut leben lässt. Alles
rechne sich. Alles werde partner-schaftlich. Die Idee nutzt sich ab.
Zwanzig Jahre später, zur Rio+20-Konferenz, findet sich die
Rüstungsindustrie nachhaltig. Die Ölindustrie auch. Herzlichen Glückwunsch.
Die Gegenseite vereinnahmt den Begriff erfolgreich für sich. Sie macht
glauben, dass nachhaltig sei, wenn Ökologie, Ökonomie und Soziales
gleichrangig behandelt werden. Dass der Begriff einst der Forstwirtschaft
entlehnt wurde, die der Natur den Vorrang lassen muss, um langfristig zu
überleben, spielt keine Rolle mehr.
Die Umweltgemeinde hat in dem Moment verloren, in dem sie sich dem
Drei-Säulen-Modell nicht laut genug widersetzt und klarmacht, dass die
Ökologie den Rahmen setzt, in dem ökonomische und soziale Ziele
verwirklicht werden. Den Umweltschützern ist die Hierarchie
abhandengekommen und auch die Schlagkraft, Dabei waren sie so erfolgreich
im Kampf etwa gegen die Müllberge, die Dünnsäureverklappung auf hoher See
oder den sauren Regen. Waren.
Wie das passieren konnte? Man wollte es einfach zu gerne glauben: Der
Planet werde sich durch kluge Technik retten, der Einsatz von Rohstoffen
vom Wachstum abkoppeln lassen. Die Politik werde klüger. Ende der neunziger
Jahre begännen rot-grüne Zeiten.
## Kompromisspapiere
Tatsächlich beschäftigt Öko das politische Tagesgeschäft und Umweltschützer
sitzen im Nachhaltigkeitsrat der Regierung. Sie schreiben mit an den
Kompromisspapieren für die weltweiten Klimaverhandlungen. Doch die von den
Konservativen laut verkündete Energiewende ist keine.
In Rio hatten alle, die sich zur Nachhaltigkeit bekannten, schließlich auch
den Auftrag gegeben, den Kampf gegen die Erderwärmung in einem
völkerrechtlichen Vertrag festzuschreiben. Doch die Diplomaten sitzen immer
wieder zusammen und beschließen – zu wenig. Die Welt heizt mit Öl, Kohle,
Gas die Erderwärmung weiter an. Die Regierungen räumen der Ökologie keine
Priorität ein, der alten Wirtschaft schon.
Und die Umweltschützer? Sie sind ja selbst verstrickt in die
Verhandlungsprozesse. Wer aber grün nicht nicht radikal denkt, sondern den
politischen Formelkompromiss schon vorwegnimmt, muss im Kampf mit denen
verlieren, die beliebige ökonomische Belange in Stellung bringen. Es geht
eben nicht ohne Streit.
Öko fordern. Sich außerhalb stellen. Sich Gehör verschaffen. Das ist
anstrengend – zumal der Klimawandel, die Energiewende, die Weltenrettung
für schlichte Schwarz-Weiß-Botschaften zu kompliziert sind. Windräder
drehen sich in der Landschaft, Stromtrassen werden durch die Natur gelegt.
## Erneuerung der Energieversorgung
Ökologen müssen Zielkonflikte aushalten. (T. C. Boyle hat das in seinem
neuesten Roman, „Wenn das Schlachten vorbei ist“, beschrieben. Darf man
tausende Ratten töten, um auf einer Insel das ökologische Gleichgewicht
wiederherzustellen?) Angela Merkel hat ihre einstige Rolle als
Klimakanzlerin unter dem Eindruck der weltweiten Finanzkrise längst
abgegeben.
Die Rio+20+Konferenz schenkt sie sich gleich ganz. Sie will zwar
„nachhaltiges“ Wachstum, meint damit aber noch nicht einmal grün, sondern
einfach langfristig. Die Umwelt braucht den Ohne-Wenn-und-Aber-Fürsprecher.
Die Umweltlobby kann jetzt was reißen, nicht auf der kommenden
Rio-Konferenz, aber zu Hause.
Sie muss zeigen, dass die Erneuerung der Energieversorgung – weg von Atom,
Kohle und Öl, raus aus der Abhängigkeit von wenigen großen Konzernen –
funktionieren kann, dass es Platz gibt für neue Hochspannungsleitungen oder
Windkraftanlagen, dass Fehlentwicklungen vermieden werden.
## Effizientere Fernseher reichen nicht
Denn es könnte die Politik in anderen Ländern verändern, wenn eine starke
Industrienation den Umstieg schafft. Die Lobbyisten müssten sich dafür aber
auch mal unbeliebt machen. Ja, es kann sein, dass die Strompreise steigen.
Ja, nur mit effizienteren Fernsehern ist es nicht getan. Und ja, es ist
unklar, wie sich das langfristig auf das Bruttosozialprodukt auswirkt.
Umweltschützer sind zuallererst für die Umwelt da. Die Abwägung mit anderen
Lobbyisten muss die Politik treffen und sich für ihre Entscheidungen vor
den Wählern rechtfertigen. Mit netten, leisen Worten kommt in der Politik
niemand weiter.
24 May 2012
## AUTOREN
Hanna Gersmann
## TAGS
Bund
Konferenz
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