# taz.de -- 20 Jahre nach Rio: Von der Graswurzel zum Atomausstieg | |
> Die „Lokale Agenda 21“ gilt als dröge. Zu Unrecht: Ohne „global denken, | |
> lokal handeln“ wäre zum Beispiel die Energiewende kaum zu machen. | |
Bild: Global gedacht, lokal gehandelt: Die Energiewende hinterlässt ihre Spure… | |
BERLIN taz | Es sind nur 5 Prozent. 5 Prozent aller ihrer Finanzrücklagen | |
legt die Stadt München nach ethisch-ökologischen Kriterien an. Das sind 57 | |
Millionen Euro, die mit einer Rendite von etwa zwei Prozent die Pensionen | |
der Mitarbeiter sichern, vermeldet die Stadtkämmerei. | |
Seit einem Beschluss des Stadtrats von 2008 ist München damit Vorreiter bei | |
der nachhaltigen Bewirtschaftung der Finanzen, lobt das „Institut für | |
Zukunftsstudien und Technologiebewertung“ (IZT). | |
5 Prozent sind ziemlich mickrig, könnte man sagen. Oder aber: Ein Anfang | |
ist gemacht. So geht es mit vielen Projekten der „Lokalen Agenda 21“. Die | |
ethischen Geldanlagen der bayerischen Landeshauptstadt sind eine konkrete | |
Folge dieses sonst oft nebulösen Prozesses. In der Abschlusserklärung von | |
Rio 1992 wurden die Städte und Gemeinden weltweit dazu aufgerufen, | |
nachhaltige Entwicklung zu definieren und durchzusetzen. | |
Denn die Konferenz ging davon aus, dass die meisten Probleme von Armut, | |
Energie, Wasserversorgung, Naturzerstörung, Krankenversorgung oder | |
Arbeitsplätzen, die die globale „Agenda 21“ lösen wollte, nur lokal | |
anzugehen seien. Für Maurice Strong, den Generalsekretär des Rio-Gipfels | |
1992, war „von den vielen Programmen, die aus dem Weltgipfel resultierten, | |
keines vielversprechender und wichtiger als dieses“. | |
20 Jahre wurde also in Tausenden Gemeinden global gedacht und lokal | |
gehandelt. In Deutschland sind die „Agendagruppen“ in fast 2.000 Gemeinden | |
aktiv, oft angestoßen von Bildungshäusern und Kirchengemeinden. Nach | |
anfänglicher Euphorie verlor die Bewegung an Schwung, ist aber heute aus | |
einem Deutschland von Energiewende und Wutbürgern nicht mehr wegzudenken. | |
## Keine Pflastersteine aus Kinderarbeit | |
Denn die kommunale „Green Economy“ wird allerorten geprobt, findet eine | |
Untersuchung des IZT: Erfurt gründete das „Ökoprofit“-Programm, mit dem | |
Energie und Ressourcen gespart und eine Bürgerstiftung gegründet wurde; | |
Dortmund, Bonn und Tübingen achten bei der öffentliche Beschaffung auf | |
nachhaltige Kriterien; im „Umweltpakt Bayern“ oder dem „Eine-Welt-Netz“… | |
NRW haben sich viele Kommunen gemeinsam organisiert. Anderswo werden | |
Pflastersteine aus Kinderarbeit verboten, die Feuerwehr bekommt Kleidung | |
aus fairem Handel und die Bürger werden gefragt, wenn die Gemeinde ihren | |
Finanzetat aufstellt. | |
Stark ist die LA-21-Politik vor allem im Energiebereich: Inzwischen haben | |
sich über 70 Städte oder Gemeinden mit acht Millionen Menschen in | |
Deutschland zu „100-Prozent-Regionen“ erklärt, die sich in der Zukunft | |
selbst mit heimischer Energie versorgen wollen. | |
Die LA21 in Deutschland sei einzigartig basisorientiert, sagt Stephan Kuhn | |
vom internationalen Städtebündnis ICLEI, das weltweit 1200 Kommunen aus 70 | |
Ländern mit 570 Millionen Menschen vertritt und gerade eine Bilanz der | |
Agenda-Arbeit weltweit erstellt hat. | |
## Ohne Rio kein Widerstand in Stuttgart | |
Während in anderen Ländern die Programme von Behörden oder ausländischen | |
Hilfsorganisationen ins Land kamen, wurde in Deutschland die Agenda-Arbeit | |
von Graswurzelinitiativen getragen. „Das war am Beginn oft nicht wirklich | |
relevant, denn die Unternehmer und der Stadtrat haben weiter die | |
Gewerbegebiete ausgekungelt, während die Initiativen über den Verkehrslärm | |
klagten“, bilanziert Kuhn. Doch mit der Zeit seien die Aktivisten in die | |
Politik, Verwaltung und Unternehmen gelangt und setzten dort ihre | |
Vorstellungen um. | |
Ohne die Vorarbeit der Agenda hätte es die Bereitschaft zum Atomausstieg | |
und zu erneuerbaren Energien nicht gegeben. Und auch nicht den Widerstand | |
gegen Großprojekte wie Stuttgart 21. „Darin haben die Leute jetzt 20 Jahre | |
Training.“ | |
Allerdings zeigte sich auch schon vor zehn Jahren bei einer Zwischenbilanz: | |
Die Belange der Jugend und einer gerechten Wirtschaftsordnung sind auf der | |
lokalen Ebene oft nur schwer zu erreichen. Und manchmal sind auch die | |
Widersprüche in der „Lokalen Agenda 21“ sehr lokal: Etwa wenn | |
Bürgerinitiativen mit dem Argument des Naturschutzes und der | |
Gesundheitsgefahr gegen Stromtrassen protestieren, die Strom aus | |
Windkraftanlagen durchs Land schicken. Auch wenn die Windräder den Bürgern | |
gehören. | |
11 Jun 2012 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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