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# taz.de -- Debatte Energiewende USA: Ein deutscher Sonderweg
> Wer Amerikanern die Energiewende erklärt, stößt auf eine Wand von
> Vorurteilen. Sie gilt selbst bei Liberalen als Werk verbohrter Ökofreaks.
Bild: Von Energiewende will der bestimmt nix hören.
Die deutsche Energiewende den US-Amerikanern erklären zu wollen, ist eine
äußerst ärgerliche und undankbare Aufgabe. Ganz gleich, ob es sich um
Demokraten oder Republikaner handelt: Man läuft gegen eine Wand voller
Unverständnis. Zu großen Teilen ist dies eine Folge von Fehlinformationen,
an deren Verbreitung die Medien einen großen Anteil haben.
Da ist zunächst die Wahrnehmung, dass es sich beim deutschen Übergang zu
den Erneuerbaren um ein gigantisches Regierungsprogramm handelt; eine
Vision, die sie sich in den Zentralen der Macht erträumt haben, mit
Unmengen an Steuergeldern finanziert und von einer einzigen
Regierungsbehörde nahtlos in die Wirklichkeit umgesetzt.
Amerikaner neigen dazu, sich unter der Energiewende so etwas Ähnliches wie
die Finanzierung der US-Solarindustrie vorzustellen, nur in viel größerem
Umfang. Die Energiewende ist in dieser Wahrnehmung ein den Steuerzahlern
aufgezwungener subventionierter Koloss – und ebenso zum Untergang verdammt,
wie es der US-Solarhersteller Solyndra war.
Diese Fehlwahrnehmung zieht sich durch das gesamte politische Spektrum,
wenn sie auch natürlich besonders ins Weltbild des antistaatlichen rechten
Flügels passt. Aber selbst moderate Stimmen fallen auf dieses
Schreckgespenst herein. Angela Merkel müsse die Gelder für die Energiewende
doch bestimmt wegen der Eurokrise einsparen, werde ich gefragt. Oder mir
wird erzählt, dass der deutsche Steuerzahler bald Widerstand gegen die
Zahlungen für Windräder und Solaranlagen leisten werde.
## Ein Schreckgespenst
Ich versuche dann regelmäßig zu erklären, dass der Anstoß für die
Energiewende von einer breiten Massenbewegung ausging; dass einzelne
Investoren, Bauern, lokale Genossenschaften sowie kleine und mittlere
Betriebe das Ganze seit mehr als zehn Jahren vorangetrieben haben; dass
Kommunalverwaltungen ebenso daran beteiligt sind wie die Bundesregierung;
dass der Einspeisetarif keine staatliche Subvention ist; dass der Staat
sogar an den Gewinnen der Erneuerbaren-Industrie verdient und dass es ein
viel zu großes Unterfangen sei, als dass es zusammengestrichen werden
könne.
Das zweite große Missverständnis lautet, dass ein deplatzierter grüner
Utopismus hinter dem Projekt stehe. Mit anderen Worten: Eine Reihe von
Ökofreaks hätten sich ein Wolkenkuckucksheim ausgedacht, in dem
Wunschdenken vor der Realität komme. Die Redakteurin eines New Yorker
Verlags etwa, eine Bekannte von mir, äußerte erst kürzlich ihre Zweifel und
vermutete, ich sei „Opfer von ziemlich viel Ideologie“ geworden. Und eine
frühere Redakteurin von mir an der Westküste sinnierte, als ich ihr von der
Energiewende erzählte: „Ich denke, dass könnte einige amerikanische Grüne
interessieren.“
## Moralischer Kreuzzug
Diese Art von Kommentaren ist Folge einer Wahrnehmung, nach der die
Energiewende zuallererst einen moralischer Kreuzzug darstellt. Wenn ich
antworte, dass die Erneuerbaren in Deutschland 380.000 Jobs geschaffen
haben, dass zutiefst konservative bayerische Bauern Solarpaneele auf ihren
Scheunen befestigen – nicht weil sie Müsli-mampfende Petra Kellys (an die
sich viele Amerikaner noch erinnern) sind, sondern weil sie damit eine
Menge Geld verdienen, schütteln meine Bekannten den Kopf. Das Ziel, Gewinn
zu machen, ist die treibende Kraft hinter der Energiewende. Das müsste
eigentlich in einem Land, das an den freien Markt glaubt, gut ankommen.
Die dritte falsche Fährte besteht in einem abschätzigen Klischee über die
Deutschen von heute. Die seien immer noch so sehr vom Zweiten Weltkrieg
traumatisiert, dass sie schnell von Panik ergriffen würden. „Panik“ ist das
Wort, mit dem im Internet und den US-Medien über Angela Merkels
Kehrtwendung in der Atomfrage nach Fukushima geschrieben wurde: „eine
Panikattacke“, eine „irrationale“, „reflexartige“ Antwort auf die
japanische Katastrophe. Auch die Tatsache, dass Merkel Physikerin ist,
ändert nichts daran. Die angstbesetzten Deutschen gelten als „Sonderfall“
und ihre Sonderwege als Modell für niemand – weder damals noch heute.
Und schließlich ist die Atomfrage entscheidend. Auch amerikanische Linke,
einschließlich der Obama-Administration, sind eher pro Atomkraft. Und zwar
besonders diejenigen, welche die Klimaerwärmung für ein reales Problem
halten. Obamas Hin und Her in der Atomfrage (früher war er mal dagegen) hat
die Pro-Atomkraft-Einstellungen unter Linken noch verstärkt.
Mittlerweile hat er die Darlehen für den „Bau einer neuen Generation von
sicheren, sauberen Atomkraftwerken in diesem Land“ verdreifacht. Auch Obama
hat einen Physiker in seiner Regierung, nämlich Energieminister Steven Chu,
einen lautstarken Befürworter von Atomkraftwerken: „Ich würde lieber neben
einem Atomreaktor leben als einem Kohlekraftwerk“, sagt Chu.
## Atomkraft fürs Klima
Woher kommt diese Überzeugung? Sie könnte von den engen Verbindungen der
Obama-Administration mit dem Chicagoer Energieversorger Exelon herrühren,
dem 17 Atomkraftwerke gehören. Und Chu war einst Direktor einer
Atomforschungseinrichtung der US-Regierung in Kalifornien. Aber vermutlich
weitaus zutreffender zur Erklärung von Obamas Pro-Atomkraft-Position ist,
dass sie Teil eines Deals mit den Republikanern aus dem Jahr 2009 war, um
Unterstützung für Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels zu erhalten:
Zustimmung zu Atomkraft und Erdölförderung im Gegenzug zum Ja für den
Emissionshandel.
Dabei haben sich die Republikaner gar nicht an ihren Teil der Abmachung
gehalten – aber Obama an seinen. „Einige US-Umweltschützer glauben, dass
Atomkraft die bittere Pille ist, die sie schlucken müssen, um Fortschritte
in der Klimawandelfrage zu erreichen“, sagt Sascha Müller-Kraenner,
Europarepräsentant der Organisation „Nature Conservancy“.
Die deutsche Energiewende ist ein komplexes und einzigartiges Unternehmen.
Aber sie ist nicht so kompliziert. Jeder, der an ihrer Vermittlung an die
Außenwelt beteiligt ist – ob Journalisten, Offizielle, die
Erneuerbaren-Industrie – muss besser darin werden, sie in einfachen Worten
zu erklären.
20 Aug 2012
## AUTOREN
Paul Hockenos
## TAGS
Schwerpunkt USA unter Donald Trump
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