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# taz.de -- Debatte Lebensmittel: Bio ist doch besser!
> Bio-Lebensmitteln wird vorgeworfen, nur ein moderner Ablasshandel zu
> sein. Unsinn! Ökolandbau bleibt besser als konventionelle Landwirtschaft.
Bild: Sauwohl solls ihnen gehen: Bioschweine aus Oberbayern.
Bio ist ein Mythos, ein Ablasshandel für Gutmenschen, reine
Verbrauchertäuschung – solche Thesen haben gerade wieder Konjunktur. Anlass
geben eine [1][Studie der Universität Stanford] über den geringen
gesundheitlichen Mehrwert von Ökoessen und eine [2][ARD-Sendung über
Missstände in der Biotierhaltung]. Da könnten Verbraucher glatt auf die
Idee kommen, kein Bio mehr zu kaufen.
Dabei ist die Stanford-Untersuchung kein Grund, auf Ökolebensmittel zu
verzichten. Ihre Autoren behaupten zwar wie zahlreiche Wissenschaftler
zuvor, dass es kaum Unterschiede zwischen ökologisch und konventionell
erzeugten Nahrungsmitteln gibt, „wenn es ausschließlich um die Gesundheit
geht“. Lebensmittel seien nicht „bedeutend“ nahrhafter, wenn sie nach den
Regeln des Ökolandbaus erzeugt wurden.
Allerdings können die Forscher nicht ausschließen, dass es vielleicht doch
gefährlich ist, konventionelle Produkte zu essen, die jeweils in geringen
Mengen, jedoch gleich mit mehreren Pestiziden belastet sind. Schließlich
wurde diese potenzielle Gefahr noch nicht genügend untersucht.
## Gekürzte Schwänzchen
Sich gesund ernähren zu wollen ist auch nur einer von vielen Gründen,
Bioware zu kaufen. Motiv Nummer eins der Biokonsumenten ist laut der
repräsentativen Umfrage „Öko-Barometer 2012“, eine artgerechte Tierhaltung
zu unterstützen. Umso bedrohlicher für die Branche sind Berichte wie die
vor Kurzem ausgestrahlte ARD-Sendung „Wie billig kann Bio sein?“. Die
Aufnahmen etwa aus Ökoschweinezuchtbetrieben wollen so gar nicht zum
Traumbild von einer artgerechten Haltung passen.
Sie zeigten Schweine, die einzeln in engen Käfigen leben, in denen sie sich
kaum bewegen können. Auslauf? Fehlanzeige. Für den Verein „die
Tierfreunde“, der die Bilder aufgenommen hat, steht deshalb fest: „Die
Lebensbedingungen der Tiere unterscheiden sich nicht wesentlich von denen
der Tiere in der konventionellen Massentierhaltung.“
Doch das ist ein Trugschluss: In der konventionellen Haltung ist es
Standard, Schweinen die Ringelschwänzchen mit einer Klinge zu kürzen – ohne
Betäubung. Dieses Kupieren soll verhindern, dass sich die Tiere in der
reizarmen Umgebung im Stall gegenseitig in den Schwanz beißen. Bei
Biohaltung ist das Schwanzkürzen dagegen eine Ausnahme, die bei den
Behörden beantragt werden muss. Nordrhein-Westfalen etwa hat dem
zuständigen Landesamt zufolge bisher keine einzige Genehmigung erteilt.
Zudem hat ein Bioschwein in der Mast je nach Gewicht gemäß EU-Ökoverordnung
mindestens 0,8 bis 1,5 Quadratmeter Platz im Stall und 0,6 bis 1,2
Quadratmeter zum Auslauf. Das sind mindestens 50 Prozent mehr, als die
deutsche Verordnung zum Tierschutz in der Landwirtschaft konventionellen
Betrieben vorschreibt. Zwar darf der Freilauf für Biotiere gesperrt sein,
wenn das Wetter oder der Zustand des Bodens zu schlecht ist, doch
konventionell gehaltene Schweine können nie an die frische Luft.
## Mehr Kontrollen
Natürlich gibt es auch in der Ökohaltung Missstände. Manche Bauern zum
Beispiel verstoßen gegen die Vorschriften. Aber die Bio-Kontrollstellen
überprüfen jeden Betrieb mindestens einmal im Jahr – konventionelle werden
seltener kontrolliert. In einigen Punkten sind die EU-Ökoregeln auch zu
lasch. 3.000 Hühner in einer Gruppe etwa sind zwar weniger als in
konventionellen Betrieben, aber für artgerechte Haltung immer noch zu viel.
Es ist gut, dass Recherchen auf solche Probleme hinweisen und damit den
Reformdruck in der Branche aufrechterhalten. Doch das sollte nicht über die
Vorteile der Biohaltung insgesamt hinwegtäuschen. Auch Ökotierhaltung hat
Mängel – aber konventionelle Tierhaltung ist schlimmer.
Gruppen wie die „Tierfreunde“ ziehen daraus die Konsequenz, auf Produkte
tierischen Ursprungs zu verzichten, also vegan zu leben. Da können
Biobauern ihre Tiere noch so gut behandeln – Veganer werden sie nie
zufriedenstellen. Es ist aber auf absehbare Zeit unrealistisch, dass sich
die Mehrheit der Bevölkerung vegan ernähren will. Deshalb sind die
Fortschritte in der Biohaltung gegenüber der konventionellen Konkurrenz so
wichtig.
Bei aller Kritik an diesem Segment der Biobranche sollte man auch nicht
vergessen, dass der Ökolandbau, anders als der gesamte Landbau, seine
höchsten Verkaufserlöse nicht mit Fleisch, sondern mit Obst, Gemüse und
Kartoffeln erzielt. Wer Pflanzen biologisch anbaut, verzichtet auf
chemisch-synthetische Pestizide und leicht lösliche Mineraldünger. Beide
Stoffe tragen durch ihre giftige Wirkung oder zu viel Nährstoffe dazu bei,
dass immer mehr Tier- und Pflanzenarten auf den Äckern und in deren
Umgebung aussterben. Die Chemikalien landen oft auch in den Brunnen von
Wasserwerken – und werden zum Gesundheitsrisiko für den Menschen.
## Vorteilhafter Neuseeland-Apfel
Dazu kommt der Schaden für das Klima: Um Pestizide und Mineraldünger
herzustellen, ist viel Energie nötig, was zu einem hohen Ausstoß des
Treibhausgases Kohlendioxid führt. Weil die Ökolandwirtschaft ohne die
Chemikalien auskommt, verursacht sie weniger CO2-Emissionen: Je nach
Untersuchung liegen sie, auf den Ertrag bezogen, 20 bis 50 Prozent unter
denen der konventionellen Konkurrenz.
Diese Vorteile gelten sogar für den viel kritisierten Bioapfel aus
Neuseeland – einmal davon abgesehen, dass einer Studie der Universität
Gießen zufolge Äpfel aus Übersee eine bessere Klimabilanz haben als
heimische Äpfel, wenn letztere monatelang im Kühlhaus gelagert werden.
Kritiker wenden gern ein, dass Biolandwirte ihre Pflanzen mit Kupfer vor
Krankheiten schützten. Das Schwermetall reichert sich im Boden an und
schädigt zum Beispiel Regenwürmer. Doch hier geht es nur um einen Teil der
Biopflanzenproduktion, vor allem um Obst und Wein. Im Übrigen: Auch
konventionelle Landwirte benutzen kupferhaltige Pestizide.
Insgesamt muss die Losung also lauten: Esst weiter Bio! Lebensmittel zu
erzeugen hat immer negative Folgen für die Umwelt und oft auch für Tiere.
Aber Ökobauern richten in der Gesamtbilanz weit weniger Schaden an als ihre
konventionell arbeitenden Konkurrenten.
20 Sep 2012
## LINKS
[1] /Bio-Essen-ist-kaum-gesuender/!100949/
[2] /Reportage-Reihe-in-der-ARD/!100886/
## AUTOREN
Jost Maurin
## TAGS
Landwirtschaft
Bioland
Massentierhaltung
Outdoor
Berghain
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