# taz.de -- Wie gesund ist Biokost?: Dem Acker geht es besser | |
> Was Vitamine, Mineralien und Proteine angeht, stehen konventionelle | |
> Lebensmittel Bio in nichts nach. Bei Pestiziden und Antibiotika sieht es | |
> anders aus. | |
Bild: Ob bio oder nicht, das können wir von hier oben nicht erkennen. | |
Ist Biokost gesünder als konventionelle Ware? Können wir uns mit | |
Öko-Radieschen ein langes Leben sichern, fit und froh? Eine neue, breit | |
angelegte Meta-Analyse von WissenschaftlerInnen der Universität Stanford | |
will die immer wieder gestellte Frage neu beantworten. Die Studie hat 237 | |
Untersuchungen aus fünf Jahrzehnten ausgewertet – die bisher umfangreichste | |
Analyse überhaupt. | |
Ernüchterndes Ergebnis: „Es bestehen kaum Unterschiede zwischen biologisch | |
und konventionell erzeugten Lebensmitteln.“ Dies betrifft vor allem die | |
inneren Werte wie Vitamin- und Mineralstoffe, Fette, Proteine und andere | |
Nährstoffe. Allerdings wäre es auch naiv gewesen, hier messbare Vorteile | |
von Bio zu erwarten, zumal die Nährstoffgehalte in sturer Regelmäßigkeit | |
immer wieder – ergebnislos – verglichen wurden. | |
Relevante Unterschiede wurden dagegen bei Pestiziden und Antibiotika | |
gefunden. Konventionelle Lebensmittel enthielten mehr Pestizidrückstände. | |
Doch die gesundheitliche Bedeutung dieses Befunds bleibt in der Studie | |
unklar. Die Forschergruppe um Dena Bravata räumt den Pestiziden keine große | |
Bedeutung ein, weil die Rückstände nicht alarmierend hoch waren. Gleiches | |
gilt für die leicht geringere Belastung mit antibiotikaresistenten | |
Bakterien in der Biokost. Beides führt dazu, dass die Nachrichtenagenturen | |
schüchtern bilanzieren, Biokost sei „ein wenig“ gesünder. Angesichts der | |
hohen Erwartungen an Bio wird daraus aber ein negativ gefärbtes „nur ein | |
wenig gesünder“. | |
Die meisten der in der Stanford-Studie ausgewerteten Untersuchungen | |
fixieren sich auf Nährstoffanalysen von Bio- und Normalkost. Lediglich in | |
17 Studien wurden unterschiedliche Esser-Kohorten unter die Lupe genommen, | |
die sich entweder biologisch oder herkömmlich ernährten. Die | |
Untersuchungszeiträume reichten von zwei Tagen bis zu zwei Jahren. | |
Eine echte Langzeitstudie, die gesundheitliche Effekte wie Krebs, | |
Langlebigkeit oder allgemeinen Gesundheitszustand über viele Jahre | |
betrachtet hätte, existiert dagegen bis heute nicht und konnte auch nicht | |
in die Meta-Analyse einfließen. Eine solche Studie wäre allerdings sehr | |
aufwendig und schwierig, weil es fast unmöglich ist, die Gesundheit von | |
allen anderen Einflussfaktoren wie Rauchen, Bewegung, Bildung, Einkommen, | |
Lebensstil zu befreien und am Ende wirklich nur die Ernährung zu | |
betrachten. | |
## Wenig überraschend | |
So bleibt das Ergebnis der Stanford-Studie wenig überraschend und fast | |
banal. Für den Potsdamer Epidemiologen Heiner Boeing vom Deutschen Institut | |
für Ernährungsforschung ist die Fragestellung eigentlich eine ganz andere: | |
„Nicht die Herstellungsmethode, sondern die Auswahl der Lebensmittel spielt | |
gesundheitlich die entscheidende Rolle – esse ich viel Gemüse, Vollkorn, | |
Ballaststoffe, habe ich einen moderaten Fleischkonsum?“ Das seien die | |
wirklich wichtigen Fragen. Boeing selbst ist allerdings ebenfalls | |
Biofreund, weil er „den gesellschaftlichen Nutzen“ der ökologischen | |
Landwirtschaft sieht. | |
In der Tat werden die positiven Auswirkungen auf Klima und Umwelt, | |
Tierwohl, Gewässer und Bodenfruchtbarkeit von der Studie nicht infrage | |
gestellt. All diese Gründe spielen bei der Kaufentscheidung für Bio eine | |
wichtige Rolle, wie Umfragen zeigen. Die Blick auf die eigene Gesundheit | |
ist bei den Biokäufern offenbar weniger stark ausgeprägt als bei manchen | |
Kommentatoren der Studie, die den „Bio-Mythos entlarvt“ sehen. Das passt | |
zum Bio-Bashing, das offenbar gerade ein wenig in Mode ist. Die | |
Biolandwirtschaft selbst hat die Gesundheit nie in den Vordergrund | |
gestellt, hat allerdings die Illusionen mancher Verbraucher gern genährt. | |
Die Stanford-Studie wird sicher einige Biokäufer irritieren. Und womöglich | |
auch die Biobranche ein wenig aufschrecken. Deren Defizite liegen, wie die | |
wissenschaftlichen Tagungen der Branche zeigen, weniger in fehlenden | |
Unterschieden bei den Nährstoffgehalten als zum Beispiel in den falschen | |
Tierrassen. Noch immer gibt es nur dürftige Ansätze einer eigenen | |
Öko-Tierzucht, die endlich robustere, gesündere Rassen in die Ställe | |
bringen könnte. | |
Auch der hohe Kupferverbrauch der Branche für den Pflanzenschutz wird vom | |
Umweltbundesamt immer wieder gerügt. Zugleich bringt die Freilandhaltung | |
der Tiere eine Reihe von Problemen mit sich: So haben Ökoschweine mehr | |
Parasiten als nur im Stall gehaltene Tiere, dafür leiden letztere öfter an | |
Atemwegskrankheiten. Und Hühner, die draußen rumspazieren und sich dabei | |
wohl fühlen, schleppen mehr Keime in den Stall. | |
„Wir sind uns bewusst, dass wir auf einem langen Weg sind“, sagt Felix | |
Prinz zu Löwenstein, Vorstandsvorsitzender des Bunds Ökologischer | |
Lebensmittelwirtschaft, und räumt ein, dass in Sachen Tierhaltung und | |
-rassen noch viel zu tun sei, dass Bio immer noch besser werden könne. Aber | |
klar sei auch, dass „die konventionelle Landwirtschaft unsere Zukunft | |
vernichtet und keine Alternative ist“. Ob Bio gesünder ist, sei | |
wissenschaftlich schwer zu belegen, räsoniert Löwenstein. Dass Bio besser | |
ist, zeige schon die Bodenfruchtbarkeit und Biodiversität. Tatsächlich | |
findet man auf Ökoflächen mehr Vögel, Gewürm und sonstiges Getier. | |
Zumindest der Acker ist deutlich gesünder. | |
4 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Manfred Kriener | |
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