| # taz.de -- „Vegetable Orchestra“: Zum Beat der Möhren | |
| > Das Vegetable Orchestra trommelt auf Selleriebongos und raschelt mit | |
| > Petersilie. Wie das klingt? Wie Regentropfen oder Vinyl. Lecker ist es | |
| > auch. | |
| Bild: Krautrock – der Name ist Programm bei den GemüsemusikerInnen aus Wien. | |
| Nachdem Ingrid Schlögl die Möhre längs mit einem Bohrer durchstoßen hat, | |
| dreht sie sie und setzt erneut an. Der Bohrer summt nochmals auf – als das | |
| Geräusch schriller wird, ist die Möhre quer ausgehöhlt. Im Berghain, nicht | |
| in irgendeinem Berliner Club, sondern einem, über den jeder schon eine | |
| Geschichte gehört hat, die er unglaublich findet, aber gern glauben will, | |
| zehn Uhr morgens. | |
| In einem fensterlosen Raum mit rotem Linoleumboden sind zwei Tische | |
| zusammengeschoben worden, darauf liegen fünf Bohrmaschinen und stehen fünf | |
| Metallschüsseln. Auf dem Boden: Tomaten, Paprika, Zucchini, Kohl und | |
| Möhren, sorgfältig abgepackt in Kisten. | |
| Gerade bereitet das Wiener Vegetable Orchestra seine Instrumente für die | |
| Abendshow vor. 1998 gegründet, ist es das einzige Gemüseorchester der Welt | |
| geblieben. Drei Alben hat es herausgebracht, das letzte trägt den Titel | |
| „onionoise“. Komponiert von einem Ensemble aus elf Menschen. Ingrid Schlögl | |
| ist eine davon. Seit acht Jahren macht sie mit. | |
| Sie hält die Möhre in der Hand, an der sie vorhin gebohrt hat. Jetzt pustet | |
| sie durch sie durch. Ein dumpfes „Plopp“, und Reste des Karottengemetzels | |
| fallen heraus. „Vor allem Karotten eignen sich als Flöten“, sagt sie. In | |
| Berlin wurde ein Einkäufer losgeschickt, mit genauen Maßangaben. Das Gemüse | |
| stammt immer von einem lokalen Markt, damit es frisch ist. | |
| Schlögl, in Schwarz gekleidet und die Haare bis zum Kinn, konzentriert | |
| sich. Beim Instrumentenbau muss sie präzise sein. Denn dass die Bohrlöcher | |
| sauber sind, sei wichtig, erklärt sie. „Ich nehme immer einen | |
| 16-Millimeter-Aufsatz.“ Warum? „Ich habe lieber kleinere Löcher, dann kann | |
| ich die Lippenspannung besser halten.“ | |
| ## Paprikatröten und Rettich-Digeridoos | |
| Die Hektik nimmt zu, jeder bereitetet das eigene Instrument vor. Immer | |
| wieder Bohrgeräusche, zwischendurch Töne, mit denen man nicht gerechnet | |
| hat. Flöten, die an Pan erinnern. Die Schüsseln füllen sich mit | |
| Gemüseresten. Die fertigen Instrumente werden zur Seite gelegt: | |
| Lauchgeigen, Möhrenxylophone, Paprikatröten und Rettich-Didgeridoos. | |
| Schlögl nimmt einen Knollensellerie in die Hand, höhlt auch ihn aus, | |
| schlägt dann mit einer Möhre darauf. „Die Selleriebongo muss ich noch | |
| tunen.“ Mit einem Hobel bearbeitet sie die Innenwände. Damit vergrößert sie | |
| den Resonanzraum für einen tieferen Klang. Nikolaus Gansterer hat seine | |
| Instrumente schon fertig. Lauchgeige spiele er besonders gern, dafür | |
| streicht er mit einer Lauchstange über eine zweite. Sie habe so etwas | |
| Schnatteriges und könne so schön klagen und jammern. | |
| Es gibt Fragen, die möchte niemand aus dem Orchester mehr beantworten. Zum | |
| Beispiel, ob es angesichts des Welthungers nicht verwerflich ist, mit | |
| Gemüse zu spielen. Gansterer, der auch als Bildhauer arbeitet, ist ein | |
| großer, hagerer Mann und seit der Gründung des Orchesters dabei. Ernst | |
| klingt er, wenn er sagt, die Lust am Experiment treibe ihn an und dass er | |
| versucht, „den Begriff von Musik, den ich für mich definiert habe, an die | |
| Grenzen zu bringen“. | |
| Im Grunde könnte es auch etwas anderes sein, sagt er, sie hätten sich aber | |
| für Gemüse entschieden. Ein selbst auferlegtes Dogma sei es. Aber wie sieht | |
| das aus? Wie klingt das eigentlich? Zwölf Stunden später, Scheinwerferlicht | |
| am Abend, zweiundzwanzig Uhr: Fünf Männer und fünf Frauen sitzen auf der | |
| Bühne im großen Saal des Berghain, diesmal alle in Schwarz. | |
| Hochsensible Mikrofone sind vor ihnen aufgebaut und Notenständer. Ein | |
| klassisch anmutendes Ambiente, wäre da nicht diese Unzahl von Gemüse. Auf | |
| dem Programm stehen vielversprechende Songtitel wie „Scoville“ oder „Le | |
| Massacre du Printemps“. Los geht es aber mit „Pocket Stampede“: Petersilie | |
| wird in das Mikro geraschelt. Ein Rettich wird mit zwei Schlagzeugschlegeln | |
| betrommelt. | |
| ## Absurdität der Situation | |
| Das klingt nach Regentropfen, die auf ein Fensterbrett prasseln. Dann wird | |
| eine Möhre geraspelt – der Moment, in dem sich die Absurdität der Situation | |
| bemerkbar macht, man im Publikum beginnt, den Kopf zu schütteln. Manche | |
| lachen. Entschieden dagegen: die Gesichter der Band. Sie machen wirklich | |
| Musik mit Gemüse. | |
| Dann, bei Scoville, bewegt sich das Publikum. Der Kürbis gibt den Takt vor. | |
| Auberginenhälften werden zusammengeklascht. Die Paprikatröten kommen zum | |
| Einsatz. Und wenn Salatköpfe aneinandergerieben werden, hört sich das an, | |
| als scratche jemand auf Vinyl. Ein Housesong, gut tanzbar. Andere Songs | |
| erinnern eher an Urwald, an Geräusche von Tieren, die man nicht kennt. | |
| Der Begriff „organische Musik“, von dem Gansterer spricht, wird jetzt mit | |
| einer Vorstellung gefüllt. Auf der Homepage des Orchesters steht, es sei | |
| von zeitgenössischer, experimenteller Musik und Popmusik inspiriert. Nun | |
| gibt es eine Interpretation von „Radioaktivität“, dem Song von Kraftwerk. | |
| Und weiterhin Skurriles. | |
| Krautrock nämlich, angekündigt mit den Worten: „Der Name ist Programm.“ | |
| Mehr Erklärung braucht es auch nicht. In Rockermanier werden Salatköpfe | |
| brutal zerfetzt, die Töne schrill. Die erste Reihe tritt etwas zurück. Ein | |
| paar ziehen sich Grünzeug aus den Haaren. Schlögl wirft sich auf die Knie | |
| und rockt, bis nichts mehr bleibt vom Salat. Der Gemüsegeruch wird stärker. | |
| Und das Ende des Konzerts steigert sich ins Dramatische. Über eine Rampe | |
| rutschen Gemüsesorten in die Menge. | |
| ## Das Ergebnis ist frisch | |
| Auch das ist Teil dieser Komposition, die schwer anders zu beschreiben ist | |
| als so: Man hört eine Zwiebel, die über eine Rampe rollt und auf den Boden | |
| fällt. Oder eben: eine Tomate. Zum Abschluss gibt es Suppe. Aus Bauresten, | |
| aus Gemüse. Das eben wird wieder zu dem, was es ursprünglich war: Essbares. | |
| Die Schlange ist lang, das Ergebnis frisch, klar, nahrhaft und gut – nach | |
| anfänglicher Skepsis: Endet so Musik? | |
| Nikolaus Gansterer hat da Visionen: „Wir machen eine Komposition, und die | |
| beginnt, wenn wir den Samen in die Erde setzen. Und dann ziehen wir das | |
| Gemüse groß, pflegen es, ernten es, bis hin zu dem Punkt, an dem wir das | |
| gebaute Instrument auf der Bühne spielen und wir uns fragen: Wo fängt Musik | |
| an und wo hört sie auf?“ Sein Verhältnis zu Gemüse habe sich gebessert, | |
| sagt er und lacht. | |
| 19 Oct 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Jasmin Kalarickal | |
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