# taz.de -- Debatte Gentrifizierung: Permanente Verteuerung | |
> Die Stadtverwaltungen sind aufgewacht, sozialer Wohnungsbau ist kein Tabu | |
> mehr. Das ist prima. Das Problem lösen werden sie nicht. | |
Bild: Protest in Berlin. | |
In den deutschen Großstädten schießen die Immobilienpreise durch die Decke | |
– und die Wohnungspolitik hat sich die politische Bühne zurückerobert. In | |
Hamburg und einzelnen Berliner Bezirken wurden „Bündnisse für Wohnen“ | |
gegründet. In der bayerischen Landeshauptstadt koppelt das „München-Modell�… | |
die Vergabe von öffentlichen Grundstücken und Baugenehmigungen an eine | |
Quote von Sozialwohnungen in den neuen Projekten. In Köln soll die „Soziale | |
Wohnraumförderung“ das Auslaufen der Bindungsfristen von Sozialwohnungen | |
durch neue Sozialwohnungen kompensieren. | |
Eigentlich wäre es zu begrüßen, dass Fragen der Mietentwicklung und | |
Verdrängung endlich auch von den städtischen Verwaltungen ernst genommen | |
werden. Eigentlich. Denn die wohnungspolitischen Initiativen bieten keine | |
Antwort auf die zentralen Probleme der Stadtentwicklung. Gemeinsamer Nenner | |
all dieser Programme und Strategien ist eine konsequente | |
Neubauorientierung, die von einer erstaunlich breiten Unterstützung | |
getragen wird: von der Deutschen Bauunion bis zu den Mieterorganisationen | |
sind alle relevanten Akteure dabei. | |
Die einen wünschen sich neue Aufträge, die anderen hoffen auf eine | |
Marktentspannung durch staatlich angekurbelte Bauaktivitäten. Aber so | |
richtig es ist, auch im Neubausektor soziale Wohnungsmieten einzufordern, | |
so hilflos erscheint diese gut gemeinte Orientierung angesichts der | |
aktuellen Prognosen über die Verdrängung aus den Innenstädten. | |
Die aktuellen Mieterproteste in Hamburg und Berlin richten sich ja nicht | |
gegen einen abstrakten Mangel an Wohnungen, sondern gegen die permanente | |
Verteuerung von bisher preiswerten Wohnungen. Eine Politik, die dennoch auf | |
Neubauförderung statt auf den Bestandsschutz preiswerter Wohnungen setzt, | |
folgt marktwirtschaftlichen Milchmädchenrechnungen von Angebot und | |
Nachfrage. Werden erst einmal möglichst viele Wohnungen gebaut, so die | |
naive Hoffnung, dann sinke der Nachfragedruck. Die Mieten würden sich | |
entspannen. Aber warum sollte jemand in einen Neubau investieren, wenn | |
anschließend die Mietpreise sinken? | |
Entspannte Wohnungsmärkte sind erst ab einem gewissen Umfang von neu | |
gebauten Wohnungen zu erwarten. In Berlin gehen Studien von einem Bedarf | |
von jährlich über 12.000 Wohnungen aus, etwa dem Dreifachen der aktuellen | |
Bautätigkeit. In den von Gentrifizierung betroffenen Innenstadtgebieten ist | |
der Platz aber beschränkt. Der neue soziale Wohnungsbau müsste auf die | |
Viertel ausweichen, in die schon jetzt niemand verdrängt werden will. Die | |
Preise in den Innenstadtgebieten würden hoch bleiben, die Verdrängung an | |
den Stadtrand nicht gestoppt werden. | |
## Die Versager unter sich | |
Dazu kommt die Kostenfrage: Wohnungsneubau ist teuer. Das | |
Heruntersubventionieren der Mietpreise neu gebauter Wohnungen auf ein | |
sozial verträgliches Niveau erfordert einen enormen Mitteleinsatz. So geben | |
Städte wie Köln oder Hamburg schon jetzt jährlich etwa 100 Millionen Euro | |
für ihre neuen Förderprogramme aus. Mit den damit errichteten jeweils 1.000 | |
Sozialwohnungen können sie nicht einmal vollständig die Wohnungen | |
kompensieren, deren Förderung aus der früheren Förderperiode ausläuft. | |
Unterm Strich heißt das: Viel Geld wird ausgeben, um das Niveau der | |
Versorgung mit Sozialmietwohnungen annähernd stabil zu halten. | |
Drittes Problem: die politische Glaubwürdigkeit. Mit den städtischen | |
Behörden und den Wohnungsunternehmen treten nun ausgerechnet die | |
wohnungspolitischen Versager der vergangenen Jahrzehnte an, uns mit einer | |
sozialen Wohnungspolitik zu beglücken. Dabei wiederholen sie die fatale | |
Allianz von staatlicher Subventionierung und marktwirtschaftlichen | |
Verwertungskalkülen, die im Berliner sozialen Wohnungsbau noch zu | |
Mauerzeiten zu Filz und hohen privaten Gewinnen bei gleichzeitig hohen | |
staatlichen Ausgaben geführt hat. | |
Die Anschlussförderung, mit der die Mieten in den so errichteten Beständen | |
subventioniert wurden, kappte der Berliner Senat 2003, da er einen | |
künftigen Mangel an einfachen Wohnungen als unwahrscheinlich erachtete. Die | |
Mieten in den betreffenden Wohnungen steigen derzeit zum Teil höher als in | |
den privaten Altbaubeständen und tragen zur Verdrängung aus den | |
Innenstädten bei. Sozialer Wohnungsbau hat nur dann Sinn, wenn auf nicht | |
profitorientierte Bauträger gesetzt wird. | |
## Preiswerte Altbaumieten | |
Eine soziale Wohnungspolitik ist nur gegen die Marktlogik durchzusetzen und | |
müsste zuallererst das Spekulieren auf Mietsteigerungen unterbinden. | |
Solange in den Städten Grundstücke und Wohnhäuser weiter zum Höchstpreis | |
gehandelt werden, solange Sozialwohnungen nach Ablauf der Förderphase zu | |
Marktpreisen vermietet werden dürfen und solange Mieter und Mieterinnen | |
nahezu ungeschützt mit den Modernisierungsumlagen von energetischen | |
Sanierungen konfrontiert werden, wird jedes Neubauprogramm zum berühmten | |
Tropfen auf den heißen Stein. | |
Soziale Stadtentwicklung basiert auf preiswerten Altbaumieten, den Häusern | |
im kommunalen Besitz und den in der Vergangenheit geförderten Wohnungen. | |
Kommunale Wohnungspolitik könnte z. B. versuchen, den Handel mit bebauten | |
Grundstücken durch erhöhte Grunderwerbsteuern für die Glücksritter des | |
Immobilienkapitals so unattraktiv wie möglich zu gestalten. Öffentliche | |
Wohnungsunternehmen müssten zu einer Bewirtschaftung im öffentlichen | |
Interesse gezwungen werden. | |
Nötig sind zudem breitere Strategien für eine Organisation der | |
Wohnungsversorgung jenseits des Marktes. Für dauerhaft soziale Mieten sind | |
beispielsweise revolvierende Fonds zur Kommunalisierung von geförderten | |
Wohnungsbeständen oder ihre Überführung in gemeinnützige Trägerschaften | |
denkbar. Statt in die Kassen von privaten Wohnungsunternehmen und Banken | |
würden die Mietüberschüsse dann zur Refinanzierung und Ausweitung der | |
sozialen Wohnungsbestände genutzt. Die Modelle dafür liegen seit Jahren | |
vor, sie müssen nur politisch gewollt und umgesetzt werden. | |
11 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Andrej Holm | |
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Schwerpunkt Schillerkiez in Berlin | |
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