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# taz.de -- Gentrifizierung und Stadtrand: „Urbanität kann man nachrüsten“
> Der Run auf die Innenstädte ist ungebrochen. Was aber wird aus den
> Stadträndern? Ein neues Zuhause für Verdrängte? Der Stadtplaner Aljoscha
> Hofmann hofft das.
Bild: Gibt es Kaffeekultur auch bald am Stadtrand?
taz: Herr Hofmann, in München, Hamburg oder Berlin gibt es einen
regelrechten Run auf die Innenstadt. Was macht Quartiere wie Ottensen oder
Kreuzberg so attraktiv?
Aljoscha Hofmann: Wir erleben seit einigen Jahren eine Renaissance der
Innenstadt. Das hat mit neuen Lebensentwürfen und einer Differenzierung der
Lebensstile zu tun. Es gibt neben den klassischen Familienhaushalten immer
mehr Singles. Die zieht es in die Innenstädte, die natürlich auch wegen des
Angebots, der Infrastruktur und der Nähe zum Arbeitsmarkt attraktiv sind.
Das gibt es in der Reihenhaussiedlung weniger.
Innenstädte und Gründerzeitquartiere haben wir auch vor Augen, wenn wir an
Stadt und Urbanität denken.
Das Bild der Städte wird nach wie vor von den Zentren geprägt. Dazu gehören
auch die Gründerzeitquartiere, die rund um die Zentren entstanden sind. Das
sind auch die Bereiche, die man zu Gesicht bekommt, wenn man als Tourist
eine andere Stadt besucht.
Sie und Ihre Initiative „Think Berlin“ wollen mehr Aufmerksamkeit für die
Stadtränder. Warum?
In Berlin lag die Aufmerksamkeit in den vergangenen Jahren fast
ausschließlich auf der Innenstadt. Das war notwendig, galt es doch, ein
neues, gemeinsames Berliner Zentrum zu finden. Gleichzeitig leben aber zwei
Drittel der Berliner außerhalb der Innenstadt. Die Konzentration auf die
Innenstadt, also Geld, Aufmerksamkeit, Planwerke, richtete sich nur auf ein
Drittel der Berliner Bevölkerung. Das muss sich ändern.
Wie kann der Stadtrand attraktiver gemacht werden?
Ein wichtiger Punkt ist Mobilität. Wie erreichen wir die Ränder? Wie kommen
die Bewohner in die Innenstadt, wo sie arbeiten und wo es die kulturelle
Infrastruktur gibt? Der zweite Punkt kann durchaus Verdichtung sein. Wobei
es nicht darum geht, in eine Großsiedlung Altbaustrukturen zu kopieren.
In zahlreichen Fernseh- und Kinofilmen steht das Leben in den Vorstädten
für Tristesse, oft sogar für ein Ghetto. Wird sich das mit zunehmender
Aufmerksamkeit ändern?
Zunächst: In Deutschland gibt es keine Ghettos. Es gibt aber extrem
problematische Quartiere. Da müssen wir ansetzen. Bislang sind solche
Quartiere stigmatisiert. Wenn ich aus der Innenstadt verdrängt werde und
mir als einziger Ausweg die Plattenbausiedlung bleibt, ist das wegen dieser
Stigmatisierung ein Abstieg. Eine Aufwertung der Vorstadt ist deshalb sehr
wichtig.
Latte macchiato also auch in Köln-Chorweiler?
Warum nicht. Man kann Urbanität auch nachrüsten. Wenn ich als Freiberufler
oder Akademiker in die Gropiusstadt ziehe, möchte ich ein gewisses
kulturelles Angebot vorfinden. Ich möchte schnell auf der Straße sein und
dort einkaufen. Ich will Kaffee trinken und mich mit Bekannten treffen. Und
zwar im Nahraum, ohne also dafür extra in die Innenstadt fahren zu müssen.
Dafür braucht man belebte öffentliche Räume. Das muss nicht zwingend eine
Korridorstraße sein. Aber es müssen Orte sein, in denen ich sehe und
gesehen werden kann. Ein Kollege sagte dazu mal, man müsse den
Cappuccino-Belt ausweiten.
Nun gibt es in den Innenstädten wachsende Proteste gegen Gentrifizierung
und Verdrängung. Bereiten Sie dieser Verdrängung mit der Aufwertung der
Stadtränder das Feld?
Diesem Vorwurf sind Sie überall ausgesetzt, wo Sie nachsteuern. Aber das
kann ja nicht heißen, nichts zu machen. Dann würden wir mittelfristig die
Stadtränder tatsächlich zu Ghettos verkommen lassen. Damit lösen wir die
Probleme in der Innenstadt auch nicht. Wir müssen uns damit
auseinandersetzen, dass sich faktisch immer mehr Menschen die Innenstadt
nicht mehr leisten können. Dass sie auch nicht groß genug ist, alle
aufzunehmen, die in der Innenstadt leben möchten. Also muss es neben Neubau
und Nachverdichtung in der Innenstadt Ausweichquartiere geben. Wir leben in
einem kapitalistischen System, in dem meist der Markt bestimmt, wer sich
den Raum leisten kann.
Das ist das Gegenteil von einem „Recht auf Stadt“, wie es vor allem linke
Gruppen und Gentrifizierungsgegner formulieren.
Das ist keine Gegenposition, sondern die Realität. Die meisten Wohnungen in
der Innenstadt sind privat. Die Eigentümer entscheiden, welche Mieten sie
nehmen. Mit der Renaissance der Innenstadt ist die Nachfrage deutlich
gestiegen.
Liegt die Zukunft der Stadt eher am Rand, der spannend und heterogen wird,
während Innenstadtquartiere wie Prenzlauer Berg zu homogenen und
langweiligen Dörfern werden?
Es sind tatsächlich nicht nur schlechter Verdienende, die an den Rand
wandern, sondern auch „urban pioneers“, also Kreative. Da entstehen neue
Kerne von Urbanität, die in dem Maße irgendwann in den Innenstädten nicht
mehr realisierbar sind, zumindest nicht in dieser Buntheit und
Lebendigkeit. Und in den Innenstädten gibt es in manchen Quartieren
tatsächlich eine gefühlte mentale Verdörflichung. Allerdings sind, gerade
in Berlin, die Innenstadtquartiere noch sehr unterschiedlich. Denken Sie
nur an Prenzlauer Berg und den benachbarten Wedding. Da liegen Welten
dazwischen.
Eine Wanderung der Kreativen an den Stadtrand führt auch dort zu
Konkurrenzsituationen. Sind das die urbanen Konflikte von morgen?
Ja, wobei das keine klassische Gentrifizierung ist. Es wird aber an vielen
Orten diese Konflikte geben. Allerdings gibt es dort nicht nur privates
Eigentum an Wohnraum. Die Kommunen können da viel besser steuern als in der
Innenstadt.
Wo wohnen Sie selbst?
In der Innenstadt, in Berlin-Moabit.
Wo könnten Sie sich vorstellen zu wohnen, wenn es nicht mehr reicht für
Moabit?
Da habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Aber in Frage kommt natürlich
auch, in eine kleinere Wohnung zu ziehen, bevor es an den Stadtrand geht.
16 Sep 2012
## AUTOREN
Uwe Rada
## TAGS
Venedig
Miete
Schwerpunkt Schillerkiez in Berlin
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