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# taz.de -- Drei Jahre Gängeviertel: Schluss mit Schulterklopfen
> Das Wirken der Künstler im Hamburger Gängeviertel gilt als
> Erfolgsgeschichte. Aber mittlerweile sind längst nicht mehr alle
> begeistert von dem Projekt.
Bild: Steht für den erfolgreichen Kampf gegen Gentrifizierung, birgt aber auch…
HAMBURG taz | Vor genau drei Jahren, am 22. August 2009, haben rund 200
Künstler die maroden Gebäude im Hamburger Gängeviertel in Innenstadtlage
besetzt und die Reste der historischen Arbeiterhäuser vor dem Abriss
bewahrt. Die Stadt kaufte die Häuser wenige Monate später zurück,
inzwischen hat das Viertel eine Genossenschaft gegründet und verwaltet die
Häuser selbst.
In der Kooperationsvereinbarung mit der Stadt haben sich die Künstler
darauf verständigt, dass die Häuser „dauerhaft mit preiswerten Wohn-,
Gewerbe- und soziokulturellen Räumen einer möglichst breiten Öffentlichkeit
zur Verfügung stehen“ sollen.
Das Gängeviertel steht seither auch überregional für den erfolgreichen
Kampf gegen Gentrifizierung und die schlechten Arbeitsbedingungen freier
Kulturschaffender. Aber es ist nicht alles rosig im Gängeviertel: Etliche
Aktivisten von einst haben das Projekt verlassen. Und auch die
Kulturschaffenden in anderen Hamburger Künstlerhäusern sind nicht nur
glücklich mit dem Gängeviertel.
## Ein Vorzeigeprojekt
Die Stadt verkauft das Gängeviertel als Ausweis für ihre fortschrittliche,
der kreativen Szene gegenüber offene Politik. Gleichzeitig signalisiert sie
der kreativen Szene: Ein zweites Gängeviertel wird es nie geben. Im
Gegenteil: Die Bereitschaft der Stadt, Künstlern an anderen Orten
entgegenzukommen, hat seit der Einigung mit dem Gängeviertel rapide
abgenommen.
Dementsprechend ist die Lage anderer kultureller Orte in der Stadt oft
schwierig: Die Künstler des Frappant beispielsweise mussten sich eine neue
Bleibe suchen und haben nun schlechte Karten bei den Verhandlungen.
Parallel zum Gängeviertel dünnt die ausdifferenzierte Kunstraumszene auch
vor dem Hintergrund steigender Mieten allmählich aus. Viele sagen, sie
hätten auch deshalb keine Chance, weil es das Gängeviertel gibt.
Heute legt die Hamburger Kulturbehörde jungen Künstlern nahe, ein
sozio-kulturelles Projekt im Gängeviertel zu machen – zu dem Preis, dafür
die Renovierungsarbeiten vor Ort zu übernehmen. Auf Dauer etwas Neues zu
machen, ist neben dem Gängeviertel kaum noch drin.
Die Debatte um aktuelle Kunstbegriffe und deren Verhältnis zum öffentlichen
Raum hat sich in den letzten drei Jahren immer mehr auf den Kampf um
Atelierräume und bezahlbare Mieten verlagert. Auch das Gängeviertel
markiert diesen Wechsel von kulturpolitischen zu
stadtentwicklungspolitischen Fragen.
Jetzt, wo das Projekt in trockenen Tüchern ist, steht für das Viertel auch
die Auseinandersetzung über die künstlerische Ausrichtung an. Mit dem
Verweis auf das „Gesamtkunstwerk Gängeviertel“ haben die Künstler eine
konkrete Festlegung bislang umgangen. Sie wollten den „Raum offen halten“
und verstehen das Viertel als „Ort des Austausches, als Wohn-, Arbeits- und
Lebensform“. Demnach versteht sich Kunst als eine Lebensform, ganz gleich
ob jemand Bilder malt und die in einer Galerie zu Geld macht, Blumen
pflanzt oder Fahrräder repariert.
Darüber, was als Kunst gelten soll und was nicht, habe zumindest in den
ersten Tagen der Besetzung keine Diskussion stattgefunden, sagt
Gängeviertel-Aktivistin Hannah Kowalski. „Es wurde damals eher über soziale
und ökonomische Bedingungen diskutiert, die man braucht, um Kunst zu
schaffen.“ Es ging eher um Verhandlungsstrategien.
Bemerkenswert ist, dass die Bedeutung des Gängeviertels in der
Außenwahrnehmung weitgehend unabhängig davon zu sein scheint, was genau
dort eigentlich stattfindet. Die Anziehungskraft des Ortes lebt von seiner
Aufbruchstimmung und vom Reiz des neu erkämpften Ortes. Das Gängeviertel
ist zum Touristenmagnet geworden. Dabei spielt sich dort von außen
betrachtet ein undurchschaubares Wirrwarr an Aktivitäten ab.
## Überall Sowohl-als-auch
Die pluralistische Offenheit, das Sowohl-als-auch, das die Struktur des
Viertels von Anfang an bestimmt und die mal naiv und mal taktisch
eingesetzt wird, birgt aber auch Tücken. Die sind Thema des neu
erschienenen Buchs „Mehr als ein Viertel“, in dem das Gängeviertel erstmals
Einblick hinter die Kulissen gewährt. Auf einigen wenigen Seiten kommen
auch Aussteiger zu Wort.
Neben den Mühen beim Kampf um den Erhalt der alten Arbeiterhäuser und der
viel zitierten Erfolgsgeschichte zeigt das Buch aber auch, dass
Diskussionen über die programmatische Ausrichtung anstehen. Das
Gängeviertel muss allmählich erwachsen werden.
21 Aug 2012
## AUTOREN
L. Kaiser
R. Puffert
## TAGS
Der Spiegel
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