# taz.de -- Zwischennutzung: So viele Brachen, so viel Platz! | |
> Die Internetseite "Leerstandsmelder" beschreibt Gebäude, die nur darauf | |
> warten, wiederbelebt zu werden. Orte einstellen kann jeder - auch wenn | |
> unklar ist, wem sie gehören. | |
Bild: Was könnte man hier alles machen? Das Haus der Statistik an der Otto-Bra… | |
Ein Blick auf den interaktiven Stadtplan der Website | |
[1][www.leerstandsmelder.de] – und sofort stellt sich Pioniergeist ein. Es | |
fühlt sich beinahe an wie im Berlin der neunziger Jahre. So viele Brachen, | |
Ruinen, so viel Platz! Mag sein, dass in den vergangenen 15 Jahren in | |
Berlin Baulücken geschlossen und Blicke verstellt wurden wie in keiner | |
anderen großen Stadt Westeuropas. Der Leerstandsmelder aber zeigt, dass man | |
nur genau hinsehen muss, um noch immer verwunschene Orte zu finden – Orte, | |
die sich hervorragend zur Neu- oder Zwischennutzung eignen. Fast seltsam | |
ist es also, dass die Idee zu der Website nicht in Berlin, sondern in | |
Hamburg Premiere hatte, als das dortige Gängeviertel erfolgreich besetzt | |
worden war. | |
Im Augenblick sind es etwa zehn Studierende der Architektur, Soziologie und | |
Geologie, die www.leerstandsmelder.de in Berlin in die Gänge bringen – | |
Studenten wie Felix Zaiß, der seit Jahren das leere Theaterschiff im | |
Urbanhafen fotografiert und sich fragt, warum in Berlin an einem | |
wundersamen Ort wie diesem so lange nichts passierte. | |
## 144 Objekte in einer Woche | |
Seit die Seite am Montag an den Start ging, wurden 144 Objekte eingetragen, | |
bislang zumeist von den Initiatoren. Viele davon befinden sich in | |
Ostberlin, aber auch eine leer stehende Lungenklinik am Wannsee, ein | |
Mietshaus in Steglitz und der Flughafen Tegel sind dabei. Bei manchen | |
stehen Infos über die Eigentümer dabei, bei anderen nicht. „Wir legen Wert | |
darauf, dass die Plattform nicht redigiert wird“, sagt Rocco Zühlke, einer | |
der Initiatoren von leerstandsmelder.de. Er vertraut darauf, dass die | |
Nutzer nicht nur Gebäude und Areale entdecken und einstellen, sondern durch | |
ihre Kommentare zu den Einträgen die Qualität der Seite erhöhen. | |
Eines der interessantesten Gebäude, das derzeit auf dem Leerstandsmelder | |
auftaucht, ist die Eisfabrik zwischen Spree und Köpenicker Straße. Das | |
Gelände ist umzäunt, aber Thomas Müller* von der Bürgerinitiative für den | |
Erhalt der Eisfabrik kennt genügend Schleichwege, die hineinführen. Das | |
Areal ist riesig, hier und dort tummeln sich Sprayer und Fotografen, | |
entrückt lächelnd, während sie über den Schutt stolpern. Man meint, die | |
Ideen, was man mit diesem Raum alles anstellen könnte, flögen nur so herum. | |
Der Ziegelsteinbau, der heute unter Denkmalschutz steht, wurde 1909 bis | |
1910 errichtet. In den neunziger Jahren, sagt Thomas Müller, ließ die TLG | |
Immobilien, eine Tochter der Treuhand, das Gebäude verrotten. Später | |
drückte sie beim Bezirk den Abriss der Kühlhäuser durch. 2008 kaufte | |
Radialsystem-Investor Thomas Durchlaub die Fabrik. Nun will er sie mit | |
Kunst und Kultur, mit Werkstätten und Proberäumen beleben – bis dahin steht | |
sie leer. Fast alle Fensterscheiben sind eingeschlagen, auch von den | |
wunderschönen Eismaschinen mit den beeindruckenden Antriebswellen ist nur | |
noch eine erhalten. | |
Doch direkt neben der Eisfabrik will die TLG Luxuslofts bauen. In | |
Interviews sagte Durchlaub bereits, er hoffe, diese Idee werde sich | |
zerschlagen – er fürchtet Streit mit den Anwohnern. Wie Durchlaub eine | |
Zwischennutzung wohl fände? „Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit täte | |
gut, weil sie den Druck auf die TLG erhöht“, sagt zumindest Thomas Müller. | |
## Auf dem Weg zur Arbeit | |
Auch andere Gebäude, die man bei den Leerstandsmeldern so aufgeregt suchen | |
kann wie dieser Tage Ostereier, haben eine spannende Geschichte. Nils | |
Grube, selbst Nutzer der Website, erklärt, warum er das Haus der Statistik | |
an der Otto-Braun-Straße 77 eingestellt hat. „Ich bin auf dem Weg zur | |
Arbeit eine Weile jeden Tag daran vorbeigekommen und habe mich darüber | |
gewundert, wie viel dort passiert.“ So wurde das neun- bis elfgeschossige | |
Gebäude, das 1968 bis 1970 in Plattenbauweise errichtet und bis zur Wende | |
von der staatlichen Verwaltung für Statistik und vom Ministerium für | |
Staatssicherheit genutzt wurde, im Sommer 2011 bereits von den Sophiensælen | |
entdeckt. Die Theaterleute nutzten den Bau für ihr Festival „Berlin del | |
Mar“, dürfen den Kontakt zu den Besitzern aber heute nicht mehr herstellen. | |
Man kann sich also denken, dass diese von einer Website wie dem | |
Leerstandsmelder nicht viel halten – zumal es hartnäckige Gerüchte gibt, | |
dass das Gebäude noch 2012 abgerissen werden soll. | |
Doch nicht alle Eigentümer leerer Gebäude in Berlin sehen den | |
Leerstandsmelder kritisch. Steffi Pianka von der Wohnungsbaugesellschaft | |
Mitte zum Beispiel findet die Website „völlig okay“ – auch dass dort ein | |
Haus der WBM in der Torstraße 166 auftaucht. Vor vier Jahren hatten | |
Künstler das Gebäude in ein „Haus der Vorstellung“ verwandelt und waren | |
mitsamt Ateliers und Ausstellungsräumen eingezogen. Als sie wieder | |
abrückten, vergaß einer der Künstler, den Wasserhahn abzudrehen, erzählt | |
Pianka. Die WBM musste danach alle Böden herausreißen. Pianka findet es nun | |
trotzdem schade, dass das Gebäude deshalb erst mal keiner mehr nutzen kann. | |
Doch sollten sich die Anfragen bei der Wohnungsbaugesellschaft wegen des | |
Leerstandsmelders nun häufen: Wer weiß, vielleicht werden die Böden bald | |
instand gesetzt. | |
*Name v. d. Red. geändert | |
6 Apr 2012 | |
## LINKS | |
[1] http://www.leerstandsmelder.de | |
## AUTOREN | |
Susanne Messmer | |
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