# taz.de -- Streitgespräch über Gentrifizierung: „Wir werden überschwemmt�… | |
> Sind Hipster einfach nur gedankenlose Konsumenten oder sind sie | |
> politisch? Ein Barbesitzer aus Berlin-Neukölln und ein Mitglied der | |
> „Hipster Antifa“ streiten sich. | |
Bild: In die Jahre gekommenes Symbol der Gentrifizierung: Latte Macchiato. | |
taz: Matthias Merkle, die [1][Hipster Antifa Neukölln] fordert mehr | |
Aufwertung, mehr Soja-Latte und mehr Bio-Märkte. Einverstanden? | |
Matthias Merkle: Damit kann ich schlicht nichts anfangen. Es wird so viele | |
Soja-Latte und Bio-Märkte geben, wie die Leute so was wollen. Ich weiß aber | |
nicht, warum ich das fordern sollte. | |
Jannek Korsky: Das ist natürlich eine Provokation. Selbstverständlich sind | |
wir nicht für Gentrifizierung oder die Shareholder, die in Berlin Kohle | |
scheffeln wollen. Aber wir wollen einen anderen Umgang mit dieser Thematik, | |
weg von den austauschbaren Feindbildern: der Hipster, der Touri, der | |
Schwabe. Es hat sich ja leider als Common Sense etabliert, dass der Zuzug | |
dieser Leute der Grund für die Aufwertung ist. Dabei weiß niemand, was der | |
Hipster damit zu tun hat, noch was er eigentlich ist. | |
Sind Sie denn Hipster? | |
Korsky: Eher nein. Wir haben in unserer Gruppe alle einen linken | |
Background, aber das ist eigentlich auch egal. Wenn ein Diskurs aus dem | |
Ruder läuft, hat jeder das Recht, diesen in eine vernünftige Richtung zu | |
lenken. Wir versuchen da ganz gezielt auch das subkulturelle, linke Milieu | |
aus der Reserve zu locken. Wer Teerfarbe gegen Bar-Fenster schmeißt, senkt | |
die Mieten nicht. Auf lange Sicht schreckt das niemanden ab. | |
Matthias Merkle, Sie haben vor einiger Zeit in einem Internetvideo über die | |
Aufwertung Neuköllns geschimpft, über die [2][„fucking students und | |
artists“]. Ist das die richtige Gentrifizierungskritik? | |
Merkle: Das war natürlich auch eine Provokation, aber die Ironie hat keiner | |
verstanden. Hätte ich gewusst, was danach für eine Welle an Touri-Bashing | |
losgeht, hätte ich das Video so nicht gemacht. | |
Bei Ihnen gibt’s bis heute keinen Latte macchiato. | |
Merkle: Das hat mit dieser Debatte nichts zu tun. Wir machen den Laden, den | |
wir wollen, und wir mochten einfach noch nie Kaffee im Glas. Punkt. Es ist | |
aber irgendwann zum Running Gag geworden zu zählen, wie oft wir danach | |
gefragt wurden. In den ersten zwei Jahren nie, dann plötzlich 80 Mal am | |
Tag. | |
Korsky: Die Frage ist doch, warum bestimmte Lebensstile politisches | |
Engagement ausschließen sollen? Wieso kann ich nicht mit MacBook und | |
Soja-Latte in Mitte rumsitzen und mich trotzdem strukturellen Fragen widmen | |
und Kommunist sein? | |
Matthias Merkle, haben Sie den Eindruck, dass Ihre Gäste hinterm MacBook am | |
Kommunismus basteln? | |
Merkle: Jeder hangelt sich so durch in dieser Welt, in der man eh nichts | |
mehr richtig machen kann, in der die Soja-Herstellung genauso scheiße ist | |
wie Kuhmilch. Ich nehme grundsätzlich Leute ernst, die irgendeinen Weg | |
daraus suchen. Das tun auch welche mit MacBook. | |
Bei Ihnen in der Straße pappte sich ein Laden ein Schild an die Tür: „No | |
Entry for US Hipsters.“ | |
Merkle: Das ist natürlich Schwachsinn. Die ganze Debatte krankt daran, dass | |
sie völlig ohne Komplexität geführt wird. Ich bin nicht gegen Touristen, | |
auch nicht gegen Wandel. Es sollen alle kommen, ich finde Berlin ja auch | |
cool. Aber wenn ich benenne, dass wir wochenends hier leiden, weil wir in | |
den Reiseführern stehen und derart überschwemmt werden, dass unsere | |
Stammgäste keinen Platz mehr finden, dann sage ich doch noch lange nicht, | |
wer in diese Stadt darf und wer raus soll. Früher waren wir mal ein | |
wichtiger Kiez-Treff, alle kannten sich am Tresen. Seit anderthalb Jahren | |
haben wir eine völlig andere Publikumsstruktur. Das finde ich traurig, weil | |
ich den Laden vorher mehr mochte. | |
Muss man bedauern, dass sich Neukölln verändert? | |
Korsky: Nein. Neukölln war immer auch geprägt von Armut und Elend. Da ist | |
schon die Frage, wie erhaltenswert das ist. Natürlich kann man verstehen, | |
wenn Leute sagen, durch den Massentourismus fühlten sie sich wie im Zoo. Wo | |
aber kommt die Berechtigung her, für sich ein Biotop zu fordern? Ich | |
glaube, da wird vieles idealisiert. Früher war man als Hausbesetzer | |
Avantgarde, heute ist es der Hipster. Das nervt den Hausbesetzer natürlich. | |
Matthias Merkle, Sie waren Pionier in Nordneukölln. Geht’s Ihnen einfach | |
darum, Avantgarde zu bleiben? | |
Merkle: Das halte ich jetzt für vereinfacht. Natürlich habe ich diesen | |
Laden vor sieben Jahren aufgemacht, weil ich gesehen habe, dass es so was | |
hier noch nicht gibt. Weil ich es schön hier fand und weil ich keinen Bock | |
hatte, für ein Bier immer über den Kanal nach Kreuzberg zu müssen. Was | |
jetzt aber passiert, ist eine politisch gewollte Beschleunigung, die mich | |
ankotzt. Dieser ganze Quartiersmanagement- und Berlin PR-Scheiß. Da gibt es | |
unglaubliche Steuerersparnisse für irgendwelche Anzugsjungs, die hierher | |
kommen, nur um in Häuser zu investieren. Und das Geld soll nicht mehr in | |
einer Generation wieder drin sein, sondern in fünf Jahren. Das ist ein | |
künstlich erzeugter Wandel, darunter ächzt die Stadt. | |
Ein Wandel, den Sie mit angestoßen haben. | |
Merkle: Ja, das ist das Dilemma. Wir stecken alle drin in diesem Prozess, | |
wirklich alle. Wenn ich „Gentrify this“ an einen Rollladen sprühe, dann | |
erzeuge ich ein Stück Streetart. Wenn ich beim Trödler was Überteuertes | |
einkaufe, wenn ich hier eine Wohnung beziehe, oder ein Bier trinke, dann | |
bin ich Teil des Prozesses. Aber wenn man sich dessen bewusst ist, wäre | |
schon viel geholfen. Dann fange ich nämlich an, mich anders zu benehmen. | |
Dann gucke ich erst mal, was das für ein Laden ist, bevor ich dort meine | |
Soja-Milch ordere. | |
Jannek Korsky, können Sie verstehen, dass jemand wie Matthias Merkle, der | |
für seine Kneipe eine Mieterhöhung von 80 Prozent bekommen hat, eine | |
Forderung nach mehr Soja-Latte zynisch findet? | |
Merkle: Moment: Zynisch finde ich das nicht. Eher albern. Wie mein | |
Klassenkamerad in der Mittelstufe, der aus Trotz, weil alle in der Klasse | |
links waren, eben die FDP-Position vertreten hat. | |
Korsky: Ich kann verstehen, dass die Slogans nicht alle lustig finden. Aber | |
ich glaube auch, dass Leute, die nach Marzahn ziehen müssen, es nicht | |
witzig finden, für linke Klassenkampfromantik benutzt zu werden, wie das | |
gerade oft passiert. | |
Reden Sie da nicht der Immobilienwirtschaft nach dem Mund? | |
Korsky: Überhaupt nicht. Wir benennen ja, was in der Diskussion gerade | |
untergeht. Dass das Problem der Aufwertung nicht neu ist, dass dahinter | |
Armut steckt, also etwas Strukturelles. Wer in dieser Gesellschaft Kohle | |
hat, kam schon immer rein und machte den Reibach. Und die anderen sind dann | |
draußen. Die aktuelle Debatte aber bleibt an der Oberfläche, teilt alles | |
schön einfach auf: Hier der authentische Kiez, da der unverantwortliche | |
Tourist, der alles kaputt macht. Warum aber hat einer mehr Anrecht hier zu | |
sein als ein anderer? | |
Lässt es sich leicht provozieren, weil Sie sich die Aufwertung noch leisten | |
können? | |
Korsky: Die Mieten steigen ja überall in Berlin. Ich wohne in | |
Friedrichshain, habe auch eine Mieterhöhung bekommen und weiß auch nicht, | |
wie lange ich mir noch leisten kann, dort zu wohnen. | |
Merkle: Mich nervt, dass ich längst 3,80 Euro für ein Bier verlangen | |
müsste, längst einen zweiten und dritten Laden hätte aufmachen müssen, um | |
mir die Miete leisten zu können, die hier offenbar künftig vorgesehen ist. | |
Unsere Gewerbefläche hat jetzt gerüchteweise der Inder nebenan gekauft, um | |
hier wohl so ein Riesenrestaurant wie in Mitte zu eröffnen. Da muss so ein | |
assiger Laden wie meiner natürlich weg. | |
Korsky: Hardcore-Gentrifizierungskritiker würden jetzt wahrscheinlich | |
sagen, wir greifen diesen Laden an, entglasen den, schmeißen Farbe ran. Im | |
Fall des Inders aber hätten sie ein Problem, weil das mit ihrem | |
antirassistischen Selbstverständnis kollidieren würde. | |
Merkle: Ersteres stimmt. Aber diese Rassismuskeule, die lasse ich nicht zu. | |
Das ist mir zu blöd. Ich darf auch eine indische Restaurantleitung | |
kritisieren, ohne dass ich gleich Ressentiments gegen Inder habe. Das ist | |
auch ein falscher Hinweis eurer Kampagne. Natürlich ist das große Ganze das | |
Problem, aber irgendwo muss ich anfangen dürfen zu kritisieren. | |
Korsky: Ich wollte dir jetzt auch gar keinen Rassismus vorwerfen. Und na | |
klar sollte die Herkunft nicht davor bewahren, für etwas kritisiert zu | |
werden. Aber woher kommt der Konsens, der sich kollektiv gegen Touristen | |
wendet? Da werden für bestimmte Phänomene Schuldige gesucht und nicht mehr | |
geguckt, was das eigentliche Problem ist. Dann müsste man nämlich auch | |
sehen, in welcher Mühle der Londoner Investor sitzt, der einem „hire and | |
fire“ unterliegt. Dann würde man merken, dass die Eigendynamiken des | |
Systems schuld sind, relativ egal, wer an welcher Stelle sitzt. | |
Matthias Merkle, haben Sie Mitleid mit Investoren? | |
Merkle: Das wäre zu viel gesagt. Mit wem müsste ich dann noch Erbarmen | |
haben? Mit Frau Merkel? Da, wo Leute meinen, immer weiter mitspielen zu | |
müssen, hört mein Mitleid auf. | |
Das „Kotti-Camp“ in Kreuzberg, wo Anwohner seit zwei Wochen gegen die | |
steigenden Mieten protestieren, lädt zu seiner nächsten Demo explizit auch | |
Zugezogene ein. Ist das der Weg? Die Hipster in den Widerstand holen? | |
Korsky: Ja, natürlich! Ich finde das einen total guten Zug. | |
22 Aug 2012 | |
## LINKS | |
[1] http://www.facebook.com/hipsterantifa | |
[2] http://vimeo.com/16116523 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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