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# taz.de -- Kolumne Besser: Der „Du-darfst-nicht“-Antirassismus
> Jonny K. ist tot. Zu Tode getreten von einer Gruppe türkischer
> Jugendlicher. Die Herkunft der Täter zu verschweigen ist dumm.
Bild: Gedenken am Berliner Alexanderplatz an Jonny K. Aber wer hat ihn ermordet…
Jonny K ist tot. Der 20-jährige Thai-Deutsche wurde am vorigen Wochenende
von einer Gruppe junger Männer totgeprügelt, am Alexanderplatz, mitten in
Berlin. Die Täter hätten „südländisches Aussehen“, bemerken einige
Zeitungen wie der [1][Tagesspiegel] unter Berufung auf die Polizei
beiläufig.
In anderen Zeitungen, darunter der [2][taz], fehlt dieser Hinweis. Die
Staatsanwaltschaft – man muss sie nur fragen – sagt inzwischen, sie habe
„Hinweise auf eine vermutlich türkische Herkunft der Täter“. Aber ist es
diskriminierend, gar rassistisch, diesen Umstand zu erwähnen?
In den [3][Richtlinien] des Presserates heißt es hierzu: „In der
Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen
oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann
erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer
Sachbezug besteht.“ Dabei sei zu beachten, dass „die Erwähnung Vorurteile
gegenüber Minderheiten schüren könnte“.
## Antirassismus auf Knigge-Niveau
Doch was einst eine vernünftige Reaktion darauf war, dass Eduard Zimmermann
in „Aktenzeichen XY“ vorzugsweise nach jugoslawischen und türkischen
Staatsbürgern fahndete („Der Täter spricht gebrochen Deutsch und ist
bewaffnet“) und deutsche Lokalzeitungen und Boulevardblätter über keinen
Ladendiebstahl berichten konnten, ohne auf die Herkunft der Täter zu
verweisen („Ausländer beim Klauen erwischt“), hat sich zu einem
Verschleierungsinstrument verselbstständigt; zu einer Ansammlung von
„Du-darfst-nicht“-Sätzen, die die Glaubwürdigkeit von Medien erschüttern,
aber jede Erkenntnis verhindern. Antirassismus auf Knigge-Niveau.
Wenn, wie vor drei Jahren in Berlin-Friedrichshain [4][geschehen], Neonazis
einen linken Studenten ähnlich brutal misshandeln und beinahe totschlagen,
ist ein „begründbarer Sachbezug“ zu ihrer Herkunft offensichtlich. Sie
stammten aus Königs Wusterhausen, einem jener ostzonalen Browntowns, deren
Wirklichkeit so grauenhaft ist, wie es der Ortsname vermuten lässt. Man
durfte, ja man musste die Herkunft der Täter erwähnen, ganz gleich, ob sich
irgendwelche Ostdeutschen dadurch diskriminiert fühlten.
Die gleichen Maßgaben gelten für Taten, welche im Polizeideutsch
„Rohheitsdelikte von Jugendgruppengewalt“ heißen. 1.049 solcher Delikte hat
die Berliner Polizei im vergangenen Jahr [5][registriert]. 32 Prozent der
Tatverdächtigen waren ausländische Staatsbürger (ohne Illegale), weitere
41,5 Prozent deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund. Macht
zusammen 73,5 Prozent – bei einem Anteil von 43,1 Prozent an allen
jugendlichen Einwohnern. Einen noch größeren Wert vermerkt die Statistik
lediglich für die Geschlechtszugehörigkeit der Tatverdächtigen: 82,8
Prozent Männer. Wer aus Furcht vor Pauschalisierungen die Hakans und
Mohammeds nicht beim Namen nennen will, kann ebenso die
Geschlechtszugehörigkeit verschweigen. Die Opfer waren Menschen, die Täter
auch, und wir sind alle schwer betroffen.
## Ursachen? Ja, welche?
„Solche Taten haben gesellschaftliche Ursachen“, wird jetzt einer rufen;
vermutlich ein Linker, vielleicht aber auch einer von der [6][Gewerkschaft
der Polizei]. Falsch ist dieser Befund nicht. Er ist nur derart
allgemeingültig, dass er so gut wie keine Aussagekraft besitzt. Wenn die
Rede von den gesellschaftlichen Ursachen nicht der Verschleierung dienen
soll, muss also genau fragen, welche gesellschaftlichen Ursachen ein solche
Verhalten begünstigen.
Vielleicht erfolgte die einzige Erziehung, die die Mordbuben vom
Alexanderplatz und ihresgleichen genossen, mit der Gürtelschnalle;
vielleicht sahen ihre Eltern verzweifelt und ohnmächtig zu, wie ihre Söhne
auf die schiefe Bahn gerieten. Vielleicht spielt der Islam eine Rolle,
mithin in einer degenerierten Form, vielleicht ist diese Jugend auch eine
ohne Gott. Vielleicht hatten diese Typen schon in der Schule keine Chance,
vielleicht fühlen sie sich ausgegrenzt. Vielleicht hat der Kapitalismus
keine Verwendung für sie und die Onkelökonomie auch nicht. Vielleicht sind
sie arbeitslos, vielleicht auch gelangweilt. Vielleicht haben sie bloß zu
kleine Schwänze. Auf jeden Fall haben sie gehörig einen an der Waffel und
man hindert sie besser daran, das zu tun, was sie sonst tun.
Denn nichts von alledem ist eine Entschuldigung dafür, ohne jeden Grund und
bar jeden Mitgefühls einen bereits am Boden liegenden Menschen totzutreten.
Dazu hat sie niemand gezwungen. Wenn sie zuschlagen, dann tun sie es, weil
sie zuschlagen wollen. Sie sind nicht das, was ihnen – vielleicht nach
„Hurensohn“ und „Jude“ – als größte Beleidigung gilt: Opfer.
Dass die „Bürgerbewegung Pro Deutschland“, eine „Bürgerinitiative Tag d…
Patrioten“ und andere Schwachköpfe nun versuchen, den Mord an Jonny für
ihre Zwecke zu [7][instrumentalisieren], und im Kondolenzbuch rassistische
Parolen [8][auftauchen], ist übrigens kein Grund dafür, über diese Dinge zu
schweigen. Diese Leute hätten womöglich keine Mahnwache organisieren
können, wenn sich gleich andere der Erinnerung an Jonny K. angenommen
hätten.
Besser: Man sagt, wie es ist.
22 Oct 2012
## LINKS
[1] http://www.tagesspiegel.de/berlin/polizei-justiz/ermittlungen-toedliche-att…
[2] /!103714/
[3] http://www.presserat.info/inhalt/der-pressekodex/pressekodex/richtlinien-zu…
[4] /Ein-Jahr-nach-der-Naziattacke/!61498/
[5] http://www.berlin.de/imperia/md/content/polizei/kriminalitaet/pks/pks_2011.…
[6] http://www.welt.de/vermischtes/weltgeschehen/article109836448/Schlaeger-pru…
[7] http://www.pi-news.net/2012/10/berlin-aufruf-zur-mahnwache-fur-20-jahrigen/
[8] /!103782/
## AUTOREN
Deniz Yücel
## TAGS
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