# taz.de -- Kolumne Besser: Schnipp, Schnapp, Schnupp | |
> Vielen, die die religiöse Beschneidung ablehnen, geht es bloß um den | |
> Wunsch nach Maßregelung. Aber die pseudoaufgeklärten Argumente vieler | |
> Muslime sind auch nicht besser. | |
Bild: Es gibt Themen, von denen deutsche Richter die Finger lassen sollten. Zum… | |
Eine Umfrage des Instituts für Umfragen hat ergeben: 56 Prozent der | |
Deutschen [1][lehnen] die Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen | |
ab. Ungefähr genauso viele lehnten [2][seinerzeit] die doppelte | |
Staatsbürgerschaft ab – eine Regelung, aus der anderen Leuten womöglich | |
Vorteile, aber niemandem Nachteile erwachsen wären. | |
Etwas geringer fiel der Anteil derer aus, die eine Deutschpflicht für | |
Moscheepredigten für eine gute Idee [3][hielten]. Dafür [4][sprach] sich | |
ein deutlich höherer Anteil dafür aus, durch Sozialhilfebetrug oder | |
Schwarzarbeit straffällig gewordene Ausländer automatisch abzuschieben. | |
(Übrigens: Unter Anhängern der Linken fand diese Forderung mit 85 Prozent | |
die höchste Unterstützung.) | |
Und käme ein Scherzkeks auf die Idee, die Verwendung türkischer Vornamen zu | |
untersagen – als Zeichen der dauerhaften Hinwendung zum Gastland und als, | |
na klar, Ausdruck der Integrationsbereitschaft – würden gewiss 30, 40 oder | |
mehr Prozent der Deutschen auch das gutheißen. | |
## Der Wunsch nach Maßregelung | |
Diesen Leuten geht es nicht um „Integration“, auch nicht um die Rechte von | |
wehrlosen Kindern, unterdrückten Frauen oder gequälten Tieren, für die sich | |
einzusetzen sie zuweilen vorgeben. Das Einzige, wofür sich diese Leute | |
wirklich interessieren, ist, den Kanaken wieder und wieder vorzuschreiben, | |
was diese zu tun oder zu unterlassen haben. Die Themen sind austauschbar, | |
der Wunsch nach Maßregelung bleibt. | |
Nein, Neonazis sind diese Leute nicht. Nur wollen sie selbst etwas davon | |
haben, dass die Ausländer hier sind und bleiben werden. Und das | |
Wertvollste, was jene verschenken können, ist ein Gefühl von Macht: Wenn | |
ich sonst nichts zu melden habe, will ich wenigstens den Ausländern sagen | |
können, wo es langgeht. Ist schließlich unser Land. | |
Das ist auch der Grund, weshalb die Debatte um „Integration“ seit Jahr und | |
Tag mit einer derart großen [5][Leidenschaft] geführt wird. Und beim Thema | |
Beschneidung kann man en passant auch den Juden eins mitgeben – die glauben | |
ja sonst, nur wegen Hitler könnten sie sich alles erlauben. | |
„Stets wird ein neues deutsches Ich-Ideal errichtet“, schrieb Mark | |
Terkessidis einmal in der [6][Jungle World], „zu dem die Ausländer | |
aufschließen sollen und das sie am Ende eben nie erreichen können“. Dieser | |
Befund ist über zehn Jahre alt. Geändert hat sich daran nichts. | |
Besser I: Besser man fragt die Deutschen nicht nach ihrer Meinung – | |
niemals. | |
Nicht minder befremdlich sind aber auch die Verrenkungen, mit denen vor | |
allem Muslime auf das Kölner [7][Beschneidungsurteil] reagieren. Dabei gilt | |
die Regel: Je säkularer die [8][Sprecher], desto abenteulicher die | |
Argumentation. | |
Da verweist man darauf, dass der Sex mit einem beschnittenen Mann für | |
Frauen das Risiko von Gebärmutterhalskrebs verringere – als ob der Prophet | |
Mohammed, der der geheiligten Überlieferung zufolge ein neunjähriges | |
Mädchen ehelichte, je einen Dreck auf das Wohlergehen der muslimischen | |
Frauen gegeben hätte. | |
Auch die übrigen angeblichen Vorteile – geringeres Risiko von | |
Geschlechtskrankheiten, Hygiene, Potenz – beziehen sich, sofern sie | |
medizinisch überhaupt zutreffen, ausschließlich auf das Erwachsenenalter. | |
Der Verweis auf die drohende Verdrängung in die Illegalität schließlich ist | |
ein ganz schlechtes Argument. Dass sich gewisse Menschen etwa Waffen | |
beschaffen, die sie nicht besitzen dürfen, ist kein Argument dafür, | |
jedweden Waffenbesitz zu erlauben, sondern eines dafür, den illegalen | |
Waffenhandel genauer zu kontrollieren. | |
Es gibt also keinen einzigen rationalen Grund, Unmündige zu beschneiden. | |
Die pseudoaufgeklärte Rechtfertigung einer voraufklärerischen Sitte ist | |
peinlich. | |
Besser II: Wer religiöses Brauchtum pflegen will, sollte wie die frommen | |
[9][Muslime] und [10][Juden], auch die Eier haben, zu sagen: Es ist uns | |
eine von Gott auferlegte Pflicht, über die wir nicht verhandeln. Basta. | |
Was aber folgt daraus? Daraus folgt: | |
Besser III: Manchmal nicht zu wissen, was besser ist. | |
Nur eines lässt sich mit Sicherheit sagen: | |
Besser IV: Die deutsche Justiz, die sich von aller Verantwortung für den | |
Nationalsozialismus freigesprochen und vierzig Jahre gebraucht hat, um die | |
Urteile des Volksgerichtshofs pauschal zu annullieren, hält in diesen | |
Dingen besser die Klappe. | |
17 Jul 2012 | |
## LINKS | |
[1] http://www.focus.de/politik/deutschland/verbot-der-beschneidung-juden-und-m… | |
[2] http://jungle-world.com/artikel/1999/05/31905.html | |
[3] http://www.mz-web.de/servlet/ContentServer?pagename=ksta/page&atype=ksA… | |
[4] http://www.focus.de/politik/deutschland/umfrage-mehrheit-fuer-schnellere-ab… | |
[5] /Demagoge-Sarrazin/!57865/ | |
[6] http://jungle-world.com/artikel/2001/01/26523.html | |
[7] /Urteil-am-Koelner-Landgericht/!96140/ | |
[8] http://www.tgd.de/2012/06/27/zum-beschneidungsbeschluss-des-landgerichts-ko… | |
[9] /Muslimverband-gegen-Beschneidungsurteil/!96671/ | |
[10] http://www.welt.de/politik/deutschland/article108274681/Rabbiner-sehen-jue… | |
## AUTOREN | |
Deniz Yücel | |
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