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# taz.de -- Kommentar Beschneidungsdebatte: Deutsche lieben Zwangsbekehrung
> Die Politik handelt friedenstiftend und glücklicherweise gegen den
> Konsens der Bevölkerung. Denn für die Mehrheit der Deutschen ist Toleranz
> out.
Es kommt nicht alle Tage vor, dass Regierung und Opposition im Bundestag
gemeinsam an einem Strang ziehen. Noch bemerkenswerter ist das, wenn sie
dabei eine Mehrheit der Bevölkerung gegen sich haben. Genau das ist aber
trifft auf den fraktionsübergreifenden Antrag von CDU, FDP und SPD zu, den
der Bundestag am Donnerstag nachmittag mit großer Mehrheit durchgewunken
hat und der fordert, die Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen
künftig per Gesetz ausdrücklich straffrei zu stellen.
Zweifellos handelt es sich bei Beschneidungen von Kindern um einen Eingriff
in deren körperliche Unversehrtheit. Deswegen ist es auch richtig, dass die
Politik die Religionsfreiheit in dieser Frage sorgfältig mit anderen
Rechtsgütern abwägt. Denn nicht alles, was von einem Teil seiner Bürger
religiös begründet wird, muss ein Staat auch tolerieren.
Doch es ist gut, dass eine breite Mehrheit im Bundestag nun will, das eine
medizinisch fachgerechte Beschneidung möglichst rasch gesetzlich geregelt
wird, und damit - rechtzeitig zum Beginn des muslimischen Fastenmonats
Ramadan – den Rechts- und Religionsfrieden im Land wieder herstellt. Denn
viele Muslime und Juden waren verunsichert, seit das Kölner Landesgericht
in einem Urteil eine Beschneidung als Körperverletzung wertete.
Glaubt man Umfragen, dann hätte es eine Mehrheit der Deutschen allerdings
lieber gesehen, wenn diese Praxis verboten würde. Das ist nicht
überraschend, wenn man die Debatten der letzten Jahre um den Islam und die
Muslime betrachtet: sie alle handelten davon, wie die Mehrheitsgesellschaft
mit Bräuchen umgeht, die ihr fremd sind.
## Zu viel Fremdheit geht gar nicht
Jedes Mal wurde deutlich, dass viele Deutsche mit zu viel Fremdheit ein
Problem haben: muslimische Frauen sollen keine Kopftücher und schon gar
keine Burkas tragen, finden sie, und Muslime keine Moscheen bauen dürfen,
schon gar nicht mit Minarett, und am besten sollte es hierzulande gar nicht
erst zu viele Muslime geben – das war in etwa die Essenz der
Sarrazin-Debatte. Die Beschneidungsdebatte war da nur die logische Folge.
Neu ist nur, dass es damit erstmals ein Thema betrifft, das Juden wie
Muslime gleichermaßen berührt. Aber auch da findet inzwischen, wie man
sieht, die Toleranz der Mehrheit schnell ein Ende. Toleranz ist out.
Der pseudosäkuläre Eifer, der sich in diesen Debatten Bahn bricht, trägt
dabei nicht selten den Willen zur Zwangsbekehrung in sich. Es ist gut, dass
sich die Politik jetzt beim sensiblen Thema Beschneidungen fast geschlossen
gegen die Mehrheitsmeinung gestellt und für den Schutz der zwei größten
religiösen Minderheiten eingesetzt hat. Denn es zeugt von einem
fragwürdigen Paternalismus, ihnen vorschreiben zu wollen, wie sie ihre
Religion zu leben haben.
Für echte Religionskritiker gäbe es weit bessere Gelegenheiten, das
deutsche Verhältnis von Staat und Religion in Frage zu stellen, als
ausgerechnet bei diesem sensiblen Thema. Sie könnten sich ja mal eines der
zahlreichen Privilegien vornehmen, mit denen die größten
Religionsgemeinschaften, die christlichen Kirchen, noch immer ausgestattet
sind, statt sich an Minderheiten schadlos zu halten.
Den Sinn und Unsinn von Beschneidungen im Kindesalter zu diskutieren, das
sollte man dagegen lieber kritischen Muslimen und Juden überlassen: eine
Reform dieser uralten Bräuche kann nur von den Gläubigen selbst kommen und
nicht von außen verordnet werden.
20 Jul 2012
## AUTOREN
Daniel Bax
## TAGS
Besser
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