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# taz.de -- Streit um Beschneidungs-Urteil: Kein Einschnitt im Alltag
> Trotz der aufgeregten Debatte finden Beschneidungen weiter statt. Sowohl
> in den jüdischen, als auch in den muslimischen Gemeinden hat sich nichts
> geändert.
Bild: Noch gibt es keinen „Beschneidungstourismus“: Instrumente für das Ri…
BERLIN taz | „Für mich hat sich nichts geändert“, sagt Rabbiner David
Goldberg, der im oberfränkischen Hof als Beschneider arbeitet. Vor 40
Jahren ließ er sich in Jerusalem zum Mohel ausbilden, wie die jüdischen
Beschneider heißen. Seit 20 Jahren lebt er in Deutschland.
Über 3.000 Beschneidungen hat er bereits durchgeführt, verkündet er auf
seiner Webseite stolz. „Normalerweise vier Beschneidungen im Monat“
übernimmt er im Schnitt, bundesweit. „Aber jeder Monat ist anders.“ Darum
kann er nicht sagen, ob seine Dienste derzeit mehr oder weniger nachgefragt
werden als sonst.
Auch für Can Örkün hat sich durch das Kölner Urteil Ende Juni, in dem die
Beschneidung als Körperverletzung gewertet wird, „noch nichts geändert“. …
betreibt in Berlin einen türkischen Hochzeitssalon, der auch für
Beschneidungsfeiern angemietet wird. Weil die Räume Monate im Voraus
gebucht werden, sei es noch zu früh, ein Fazit zu ziehen. „Erst in sechs
oder sieben Monaten wirkt sich das aus“, meint der Geschäftsmann.
## Einige Kliniken tun es nicht mehr
Solche Aussagen stehen im starken Kontrast zu der aufgeregten Debatte um
Beschneidungen, die durch das Urteil des Kölner Landgerichts ausgelöst
wurde und das viele Ärzte und Krankenhäuser verunsichert hat. Das Jüdische
Krankenhaus in Berlin etwa, das bislang jedes Jahr 60 bis 70 religiös
begründete Beschneidungen machte – bei jüdischen wie muslimischen Jungen �…
hat solche Operationen ausgesetzt. Auch andere Kliniken verzichten vorerst
darauf. Das hatte Sorgen ausgelöst, es könne zu einem
„Beschneidungstourismus“ ins Ausland kommen.
Aiman Mazyek vom Zentralrat der Muslime hält solche Warnungen für verfrüht.
„Da besteht noch keine konkrete Gefahr. Aber ich denke, dass sich viele im
Hinterkopf schon mit dem Gedanken tragen, ihren nächsten Urlaub in der
Türkei mit einer Beschneidungsfeier zu verbinden.“
Nach der türkischen Tradition sollte ein Junge vor der Pubertät beschnitten
werden, weshalb die meisten türkischen Familien ihre Söhne erst mit sieben
oder acht Jahren beschneiden lassen – und dies mit einem großen Fest, bei
dem der Junge wie ein kleiner Prinz verkleidet wird. Die Mehrheit der
Muslime dagegen hält, wie die Juden, die Beschneidung nach dem siebten oder
achten Tag für geboten. Mazyek sagt: „Selbst weniger praktizierende Muslime
messen der Beschneidung eine große Rolle zu.“
## „Juden müssten Deutschland verlassen“
„Es gibt kein anderes Gebot, das von Juden jeglicher Couleur so universell
befolgt wird, selbst wenn sie sich ansonsten schon weit vom Glauben
entfernt haben. Das vereint uns alle“, sagt auch Dieter Graumann, Präsident
des Zentralrats der Juden. „Wenn Beschneidungen verboten würden, dann würde
es gar nicht unbedingt zu einem Beschneidungstourismus kommen“, meint er.
„Dann müssten wir Juden sogar Deutschland verlassen. Aber so weit wird es
ganz bestimmt gar nicht erst kommen.“ Der Bundestag hat bereits
beschlossen, ein Gesetz verabschieden zu wollen.
Bevor es zu dieser bundesweiten Regelung kommt, wollen die Länder
Baden-Württemberg und Berlin Beschneidungen aus religiösen Gründen schon
jetzt straffrei stellen. Berlins Justizminister Thomas Heilmann (CDU)
kündigte eine entsprechende Leitlinie für die Staatsanwaltschaft seines
Landes an. „Das ist eine gute Linie“, findet Dieter Graumann. „Aber sie
ersetzt noch kein Gesetz. Das braucht es jetzt, weil es so viel
Verunsicherung gegeben hat.“
Ahmet Yesilyaprak, der Mitglied im Integrationsrat der Stadt Münster ist,
geht die Debatte schon jetzt auf die Nerven. Er will sich nicht von einer
„3.000 Jahre alten Tradition“ abbringen lassen, die für ihn viele positive
Seiten hat. „Eine Beschneidungsfeier ist ein Fest der Versöhnung, bei dem
auch Streitigkeiten beiseite gelegt werden. Und der Pate des Jungen gehört
danach zum engsten Familienkreis und ist im Notfall immer zur Stelle“, sagt
er.
Er hat den Oberbürgermeister von Münster, Markus Lewe, sowie die
Fraktionsvorsitzenden aller Parteien im Stadtrat und den Polizeipräsidenten
zur Beschneidungsfeier seines Patensohns eingeladen. „Eine kleine
Provokation“ sei das, gibt er zu. Zwischen 400 und 500 Gäste werden am 17.
November in der Stadthalle im Vorort Hiltrup erwartet, um die Beschneidung
seines 9-jährigen Patensohns zu feiern. Yesilyaprak ist gespannt, wer
kommt.
14 Aug 2012
## AUTOREN
Daniel Bax
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