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# taz.de -- Grüner gegen Beschneidung: „Religionen sollten sich unterordnen�…
> Der Grünen-Abgeordnete Memet Kilic hat gegen die Bundestags-Resolution
> gestimmt. Er findet, die Betroffenen sollten mit 14 Jahren selbst
> entscheiden, was mit ihrer Vorhaut geschieht.
Bild: Es ist nicht alles Gold, was glänzt.
taz: Herr Kilic, der Bundestag hat sich jüngst für ein Gesetz starkgemacht,
das religiöse Beschneidungen regelt. Warum haben Sie dagegen gestimmt?
Memet Kilic: Ich war dagegen, weil eine notwendige Debatte damit abgewürgt
wurde. Die muss es aber geben, bevor eine solche Entscheidung gefällt wird.
Viele Muslime und Juden betrachten die Beschneidung bei Jungen als
religiöse Pflicht. Kann sich der deutsche Staat anmaßen, darüber zu
urteilen?
Bis vor ein paar Wochen hätte ich dazu noch Nein gesagt. Aber das Kölner
Urteil hat einen notwendigen Denkanstoß gegeben. Denn das, was in heiligen
Büchern gepredigt wird, muss im Licht der Vernunft und des medizinischen
Fortschritts neu interpretiert werden. Einem Staat allein kann es zwar
nicht gelingen, die religiösen Riten und Gebräuche seiner Bürger zu ändern.
Aber er kann sie in Frage stellen und in einen Dialog mit den
Religionsgemeinschaften treten.
Hat das Kölner Urteil denn nicht ein schnelles Handeln der Politik
erforderlich gemacht, weil es so viele Eltern und Mediziner verunsichert
hat?
Durchaus. Aber wenn es triftige Gründe gibt, dann kann die Beschneidung im
Islam wie im Judentum für eine Weile zurückgestellt werden. Das Kölner
Urteil ist so ein triftiger Grund – und für die Religionsgemeinschaften
gilt, dass sie den Rechtsstaat respektieren müssen.
Ein Verbot der religiösen Beschneidung könnte viele jüdische und
muslimische Eltern dazu verleiten, ihre Söhne im Ausland beschneiden zu
lassen. Droht dann nicht ein Beschneidungstourismus ins Ausland?
Den gibt es jetzt schon. Aus Kostengründen oder weil sie die Beschneidung
im Kreis ihrer Familie feiern wollen, lassen viele diese Operation in der
Heimat der Eltern durchführen. Ein Rechtsstaat hat aber nicht die Aufgabe,
deshalb hierzulande die Handhabe zu vereinfachen, sondern muss verschiedene
Rechtsgüter abwägen.
Ob die Beschneidung körperliche Nachteile mit sich bringt, ist umstritten.
Warum soll sich der deutsche Staates in diese Frage einmischen?
Die medizinischen Vorteile sind nicht bewiesen. Und wenn es medizinisch
notwendig ist, sollen Beschneidungen ja weiterhin erlaubt bleiben. Ich
halte es aber für fragwürdig, gesundheitliche Argumente heranzuziehen, um
religiöse Gebote zu legitimieren. Mit der Beschneidung markieren bestimmte
Religionsgemeinschaften ihre Angehörigen. Ich bin dafür, dass die
Betroffenen diese Entscheidung selbst fällen – mit 14, wenn sie
religionsmündig sind.
Anders als für Muslime ist es für religiöse Juden nicht möglich, so lange
zu warten, hier findet der Eingriff traditionell schon nach acht Tagen
statt. Ist Ihr Vorschlag realistisch?
Für gläubige Juden ist das schwierig, das erkenne ich an. Aber manche
jüdische Gemeinden in Großbritannien haben die Beschneidung schon auf einen
symbolischen Akt reduziert und die Operation auf einen späteren Zeitpunkt
vertagt. Mir erscheint das vorbildlich.
Sollte ausgerechnet Deutschland mit seiner Geschichte das erste Land sein,
das eine jüdische Tradition einschränkt?
Mir ist schon klar, dass in so einer Debatte auch antijüdische oder
antimuslimische Töne nach oben gespült werden. Nicht nur aufgrund des
Holocaust sind wir in der Pflicht, bei solchen Themen sensibel zu sein.
Aber Deutschland hat auch die Kinderrechtskonvention unterschrieben. Das
Kölner Urteil ist überdies für eine säkulare Gesellschaft nur logisch – u…
es ist auch viel besser als sein Ruf, weil es viele Aspekte abwägt. Die
großen Religionsgemeinschaften sollten deshalb nicht gleich mit der großen
Keule kommen nach dem Motto: Ihr wollt uns nicht.
Rund 30 Prozent aller Männer weltweit sollen beschnitten sein, und bislang
gab es darüber kaum Streit. Wird hier nicht künstlich ein Konflikt
herbeigeredet, den es gar nicht gibt?
Nein, das sehe ich nicht so, und mit Statistiken zu argumentieren bringt
uns da auch nicht weiter. Das Kölner Gericht hat anhand eines konkreten
Falls geurteilt, und die Ärzte- und Kinderverbände haben sich in dieser
Frage auch klar geäußert. Viele Betroffene dagegen handeln aufgrund von
gesellschaftlichen Zwängen und Traditionen, die sie nicht richtig
reflektieren. Und auch den Sinn der Beschneidungsindustrie, die in den USA
entstanden ist, kann man durchaus in Frage stellen.
26 Jul 2012
## AUTOREN
Daniel Bax
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