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# taz.de -- Nichtwähler in den USA: Wenn der Wahlhelfer dreimal klingelt
> Die Zahl der Nichtwähler könnte diesmal wieder deutlich steigen. Ein
> Politikberater aus Michigan empfiehlt provozierende Strategien, um Wähler
> zu gewinnen.
Bild: Nicht alle sind so engagiert. Andere bleiben lieber daheim und gucken ihr…
RENO (NEVADA) taz | In Reno, Nevada, beispielsweise ist es eine Frau mit
Augenringen unter der großen Sonnenbrille. Sie steht an ihrem Gartenzaun,
irgendwo bellt ein Hund, und sie weiß es auch nicht so genau. Es hat sich
nichts geändert für sie, sagt Sandra Nelson. Sie sei arbeitslos, ihr Haus
sei nur noch die Hälfte wert, wenn sie nicht bald einen Job findet, wird
sie es wohl verlieren.
Zwangsversteigerung. Wie da vorne und da drüben und dort. Sie zeigt um
sich, als würde sie verfolgt. Was hat Obama geändert? Für sie?
Und natürlich, sagt sie, Mitt Romney wäre noch schlimmer. Aber soll sie
deswegen wählen gehen? Sie weiß es nicht. Sie weiß es wirklich nicht. Eher
nicht. Diese Politiker sollten alle mal so wenig Geld haben müssen wie sie,
sagt Sandra Nelson.
Kein Geld, keine gute Ausbildung, keine Hoffnung, kein Vertrauen mehr in
die Politik. Das sind die wesentlichen Eigenschaften von Nichtwählern, die
das Umfrageinstitut Suffolk University Poll für die Zeitung USA Today
ermittelt hat. Es ändert sich ja doch nichts, sagen viele von ihnen. Die
Wahlbeteiligung könnte diesmal wieder stark auf die 50 Prozent zugehen,
wenn am 6. November der nächste Präsident der Vereinigten Staaten gewählt
wird. 90 Millionen Amerikaner werden vermutlich nicht abstimmen. Es dürften
radikale Christen der konservativen Tea-Party-Bewegung darunter sein, denen
der Mormone Mitt Romney suspekt ist.
## Mehrzahl für Obama
Der größte Teil der potenziellen Nichtwähler allerdings würde seine Stimme
Obama geben, nur 18 Prozent von ihnen haben Sympathien für Mitt Romney. 43
Prozent der Nichtwähler aus der Suffolk-University-Umfrage finden Obama
eigentlich ganz gut. Viele offensichtlich nicht gut genug. Oder es ist
ihnen einfach alles egal. Sie zählen nicht unbedingt zu den wütenden
Occupy-Aktivisten, die im kalifornischen Oakland die Fensterscheiben der
demokratischen Wahlkampfzentrale eingeworfen haben, sodass das Team Obama
in ein sichereres Bürohaus umziehen musste. Aber mehr als die Hälfte der
Nichtwähler glaubt, dass Politiker einfach korrupt seien.
Das Vertrauen in politische Institutionen schwindet. Es wird nicht gerade
gestärkt dadurch, dass der Präsidentschaftswahlkampf eine Abfolge von
Beschuldigungen ist, die die Kandidaten aus verkürzten oder verqueren
Äußerungen des jeweils anderen generieren. Es gab einmal eine Zeit, in der
die Politjournalisten und Kampagnenmanager darüber diskutierten, wann der
Moment für das, was man in den Vereinigten Staaten „going negative“ nennt,
gekommen sei. Nicht mehr die eigenen Pläne in den Himmel preisen, sondern
vorwiegend den anderen attackieren, gern auch mit fragwürdigen Methoden.
Ist Obama wirklich ein Bürger der USA? Romney-Anhänger ziehen mit diesem
Argument weiter von Tür zu Tür. Dieser Wahlkampf ist nie positiv gewesen.
## Häuser abklappern
Die Obama-Kampagne konzentriert sich nun darauf, die Nichtwähler vom
Nichtwählen abzuhalten. Die Wahlkampfhelfer, die die Häuser abklappern,
erhalten dafür genaue Anweisungen. Im Wahlkampfbüro in Reno etwa erklärt
ein junger Mann einer Gruppe von Freiwilligen, wie man die Leute zum frühen
Wählen – einer Besonderheit des Staates Nevada – ermutigt. „Sagt nicht, …
ist praktisch. Sagt nicht, es geht einfach. Sagt: Alle machen es.“ Warum?
„Es funktioniert am besten.“
Mark Grebner hat Erfahrung mit dieser Art von Psychologie. Grebner ist ein
Politikberater aus Michigan, der sich gern mit Theorien beschäftigt, um die
Dinge dann praktisch zu erklären – und drastisch. „Früher wurde man
verprügelt, wenn man nicht wählen ging“, sagt Grebner. „Und heute?“ Die…
hätten eine großartige Wahlbeteiligung gehabt. Bis 1880 – bis das
Wahlgeheimnis eingeführt worden sei. Vorher hätten Fabrikbesitzer ihre
Arbeiter gezwungen, für ihre Kandidaten zu stimmen. „Die Einführung des
Wahlgeheimnisses hat die Wahlbeteiligung ruiniert“, sagt Grebner. Er kann
ein ziemlicher Zyniker sein. Aber im Kern meint er das ernst.
Wählen sei anstrengend, stellt Grebner fest. „Es kostet bis zu einer Stunde
Zeit. Diese Leute haben doch Kinder, die sie irgendwo abholen müssen. Sie
verpassen ihre Lieblingssendung im Fernsehen. Das klingt banal, aber es ist
einer der Hauptgründe, den auch die Befragten in der Umfrage für USA Today
angeben: „Busy lives“, stressiger Alltag.
Grebner hat allerdings auch festgestellt, dass zehn Prozent der Leute, die
in Umfragen behaupten, sie würden wählen, es gar nicht tun. Diese zehn
Prozent muss man kriegen, hat er sich gedacht. „Sie sind das einfachste
Ziel. Sie lesen, sie können Fragen beantworten. Wer ist ihr Senator?“ Sein
Mittel: Scham.
## 80.000 Postkarten
Im Jahr 2006 erstellte Grebner mit zwei Wissenschaftlern der Universität
Yale eine Studie. Er verschickte 80.000 Postkarten, auf denen eine Liste
mit den Leuten aus der Nachbarschaft zu sehen war. Nach der Wahl, schrieb
Grebner den Empfängern, würden die Karten noch einmal verschickt. Dann sei
zu sehen, wer gewählt habe und wer nicht.
Die Menschen reagierten nicht gerade begeistert. Grebner erhielt wütende
Anrufe. Er wurde angefeindet. Aber die Wahlbeteiligung stieg in dieser
Vorwahl in Michigan von 30 auf 38 Prozent. Viele wollten keine Nichtwähler
sein – nicht öffentlich. „Was ich jetzt gern tun würde“, sagt Grebner: …
Buch herausgeben, das die Namen aller Wähler auflistet. Es wäre wie eine
Auszeichnung, darin zu stehen. Man könnte diesen Leuten kleine goldene
Sterne an die Tür heften. Ein Wähler! Ein Goldstern-Wähler! Die Leute
würden stolz sein, ein Wähler zu sein. Und die, die keine Auszeichnung
haben, müssten sich eine Ausrede überlegen, warum sie nicht gegangen sind.“
Das funktioniere aber nur bei diesen zehn Prozent, stellt er fest. Die kann
man mit der angedrohten Veröffentlichung so einschüchtern, dass sie
tatsächlich wählen. Und die anderen? Die interessieren sich einfach nicht,
sagt Grebner.
Es sind Leute wie manche Nachbarn von Sandra Nelson in Reno, in Nevada, wo
die Durschnittseinkommen sinken und sowieso überdurchschnittlich niedrig
sind. Eine Gruppe von ökonomisch Abgehängten, die nun auch nicht mehr
glauben, dass Obama Hoffnung oder Veränderung bringen kann. Die ihr
Interesse auch verlieren, weil sie den Eindruck haben, man werde ihnen
ohnehin nicht helfen.
Dann sei da noch eine Sache. Worüber muss man abstimmen, wenn man etwa in
Michigan wählen gehe, fragt Grebner. „Der Präsident, der Senat, der
Kongress, die Abgeordneten für den Staat, die Universitätsaufsichtsräte,
den Obersten Gerichtshof von Michigan, das Berufungsgericht, das
Bezirksgericht, dann vielleicht auch noch den Gemeinderat, den Sheriff. Das
ist noch lange nicht alles, aber ich denke, Sie sehen den Punkt.“ Es sei zu
viel. „Wir reden nicht darüber. Aber die Wähler bekommen Panik, weil sie
all diese Entscheidungen treffen sollen.“ Die langen Wahllisten schrecken
ab.
Die Präsidentschaftswahl sei noch die interessanteste von allen, glaubt
Grebner. Da steckt Drama drin. Je mehr Drama dank heimlich gefilmter
Videos, die weltweit gesehen werden, desto besser. Vielleicht könne das die
Wahlbeteiligung noch erhöhen. Sandra Nelson dürfte ihr eigenes Drama
genügen.
HINWEIS: Diesen und andere Texte zur US-Wahl finden Sie im US-Dossier der
taz am Freitag, 26.10.2012
25 Oct 2012
## AUTOREN
Johannes Gernert
Johannes Gernert
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