Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Debatte Arabellion: Obamas Genie
> Die Länder Nordafrikas verdanken den Sturz der Diktatoren wesentlich den
> USA. Barack Obama setzt jetzt auf die Förderung des Mittelstands.
Bild: Die Flagge als Symbol des Umbruchs: Eine alte Frau in Bengasi.
Wer hat den Arabischen Frühling möglich gemacht? Der Streit um die
Urheberschaft und die anschließende „Steuerung“ des demokratischen
Aufbruchs im Nahen und Mittleren Osten ist im vollen Gange. Im letzten
Fernsehduell des Wahlkampfs bemühte sich Präsident Obama, den Fall der
Autokraten in Tunesien und Ägypten als seinen außenpolitischen Erfolg zu
verbuchen. Herausforderer Romney lehnte diese Erzählung natürlich ab. Er
hätte die „Freiheitspassion“ der Region anerkannt, längst bevor sie
„explodiert“ wäre.
Das unverblümte Sprechen in den von Wikileaks ins Netz gestellten
Memoranden der Diplomaten über die kleptokratischen und autokratischen
Regime offenbarte den zynischen Pragmatismus, auf dem die amerikanische
Unterstützung der Diktatoren in Nordafrika basierte. Aber konnte das
überraschen? Das dem gesamten außenpolitischen Establishment gemeinsame
Dilemma um 2000 herum war doch längst bekannt: Sie wussten, dass der Status
mit Mubarak und Ben Ali nicht mehr zu halten war, und wollten sie trotzdem
halten beziehungsweise nur langsam in die Rente zwingen.
Dennoch: Überzeugt davon, dass die politische Stabilität in Gefahr war,
versuchte schon die Bush-Administration die verschiedenen arabischen und
nordafrikanischen Regierungen in Zugzwang zu bringen: Demokratisiert euch
oder ihr riskiert euren Untergang.
Als Condoleezza Rice 2005 Kairo besuchte, sprach sie von der
Demokratisierung als Bedingung für Amerikas Weiterfinanzierung. Ihre
republikanischen Parteikollegen übernahmen das bei ihrem Kongress 2008 als
eine – nicht erfüllte – Drohung. Mubarak lehnte daraufhin künftige
Staatsbesuche in den USA ab. Und die Obama-Administration? Sie teilt die
Einschätzung ihrer Vorgänger, verfolgt jedoch eine andere Strategie.
## George Bush wie Malcolm X
Obamas Genie besteht darin, den Regimewechsel nie direkt zu betreiben. In
seiner Kairo-Rede 2009 sagte er: „Kein Regierungssystem kann oder sollte
einem Land von irgendeinem anderen Land aufgezwungen werden.“ Während
George W. Bush dem Beispiel von Malcolm X nacheiferte – Demokratie „mit
allen nötigen Mitteln“ –, bewegt sich der Präsident eher in der Tradition
von Martin Luther King.
Dieser war sich bewusst, die „Bergspitze“ vielleicht nicht zu erreichen,
setzte aber die Rahmenbedingungen für den Gipfelsturm. Dieser Realismus
bedeutet nicht, dass Amerika seine Führungsrolle aufzugeben gedenkt,
sondern ist der Überzeugung geschuldet, dass die USA nicht mehr hinterm
Steuer sitzen.
In der frühen Phase der arabischen Aufstände haben allerdings nur wenige
Beobachter die Revolten als lang ersehnte Frucht einer geduldigen
amerikanischen Demokratiepflege wahrgenommen. Die amerikanische
Administration wurde vielmehr scharf kritisiert: Ungläubigkeit im Vorfeld
von Tunesien, Missverständnisse zwischen Weißem Haus und Außenministerium
beim Umgang mit Ägypten und schließlich Passivität gegenüber Libyen, und
zwar so lange, bis die französischen und britischen Regierungen die USA
endlich zu einem militärischen Beitrag überreden konnten.
## Was wusste die CIA?
Ein amerikanischer Regierungsmitarbeiter sagte gegenüber einer Zeitung, die
CIA habe gewusst, dass die Situation in Ägypten „unhaltbar“ war, „aber w…
wussten nicht, welcher Faktor den Absturz auslösen würde“. Ein anderer
sprach von einer kompletten Überraschung: „Wir hatten in Sachen Frieden im
Mittleren Osten endlose Strategiesitzungen in den letzten zwei Jahren, wie
wir mit dem Iran umgehen. Und wie viele von ihnen haben die Möglichkeit
berücksichtigt, Ägypten könnte instabil werden? Keine einzige.“
Bush agierte noch in einer berechenbaren regionalen Umgebung – wenn auch im
Zwielicht einer autoritären Ära. Obama hält ein Blatt mit lauter
Unbekannten in den Händen. Seine Strategie seit 2009: weg vom Druck auf die
Regime und den Diskussionen über die Bedingungen von ausländischer Hilfe,
hin zu einer ehrlich gemeinten Unterstützung der heimischen NGOs und des
wirtschaftlichen Wachstums in Nordafrika.
Die Unterstützung für For-Profit-Bereiche gab es auch bei der früheren
amerikanischen Regierung, doch war sie eben an die alten Regime in Ägypten,
Tunesien und Libyen gebunden. Die Zivilgesellschaft aber konnte ohne
größere Freiräume und demokratische Wahlen nicht aufblühen. Genauso wenig
entfalteten wirtschaftliche Entwicklungsstrategien, die auf Investment und
Krediten basieren, in einer kapitalistischen Vetternwirtschaft die nötige
Dynamik.
Präsident Obama legt den Schwerpunkt auf das Unternehmertum in der Welt der
muslimischen Mehrheiten. In den vergangenen vier Jahren wurden in
Nordafrika rund 300 Millionen Dollar in Organisationen der
Zivilgesellschaft investiert. Zusätzlich fokussierte die
Obama-Administration auf das „Global Entrepreneurship Program“ und den
„Presidential Summit on Entrepreneurship in the Muslim World“, veranstaltet
2010 in Washington.
## Die Mittelschicht stärken
Diese Initiativen basieren auf der Überzeugung: ohne Bourgeoisie keine
Demokratie. Denn nur eine gestärkte Mittelschicht mit wirtschaftlichen und
politischen Interessen kann zu einer parlamentarischen Demokratie führen.
Lange vor den Ereignissen von 2011 berief Obama eine
US-Maghreb-Entrepreneurship-Konferenz in Algerien und Istanbul ein, um dort
die mittelständische Privatwirtschaft zu unterstützen. Das Weiße Haus
entsandte einen Spezialisten des Nationalen Sicherheitsrats (NSC) nach
Algerien und Tunesien, der vor lokalem Publikum betonte, dass die USA den
Mittelstand unterstützen wollten, um die Beziehungen zwischen muslimischen
Communitys in den USA und in der muslimischen Welt auszubauen. Es wurden
acht Fonds für Wissenschaft und Technologie eingerichtet und der
professionelle Austausch von Experten und Wissenschaftler ermutigt.
Auch während der letzten Fernsehdebatte mit Mitt Romney sagte Obama erneut
klar: „Wir helfen Ägypten bei der Entwicklung seiner Wirtschaft, weil ihre
Revolution nur dann erfolgreich sein wird.“ Im späten September 2012 haben
die USA den Schuldenerlass, die Kredite und die Militärhilfe für Ägypten –
zusammen macht das Milliarden aus – erneut bestätigt. Die Europäer taten
das Gleiche, auch wenn ihr Hilfspaket deutlich kleiner ausfällt. Die neuen
US-Fonds für den Mittleren Osten und Nordafrika umfassen rund 700 Millionen
US-Dollar.
Trotzdem bleiben viele offene Fragen, angesichts des neuen ägyptischen
Präsidenten Mursi und von Salafisten, die in Libyen und Tunesien Amok
laufen. Um nur einen Aspekt der jüngsten Vergangenheit zu nennen: Wie
können wir die Rollläden in den Botschaften einfach runterlassen in
Ländern, die so eng mit unseren nationalen Interessen verbandelt sind? Wie
können wir die Botschaften offen halten, wenn sie von einem gewalttätigen
Mob in Kairo oder Tunis angegriffen werden?
25 Oct 2012
## AUTOREN
Jonathan Laurence
## TAGS
Zehn Jahre Arabischer Frühling
Zehn Jahre Arabischer Frühling
Barack Obama
George W. Bush
Ägypten
Schwerpunkt Iran
Zehn Jahre Arabischer Frühling
Schwerpunkt USA unter Donald Trump
## ARTIKEL ZUM THEMA
Demonstrationen für und gegen Mursi: Büros der Muslimbrüder angezündet
Einen Tag nach der Ausweitung der Befugnisse des ägyptischen Präsidenten
Mursi finden in Kairo Proteste statt. In anderen Städten wurde Feuer
gelegt.
Debatte Iran und Fernsehkrieg: Kampf der Kanäle
Der Iran hat westliche Fernsehprogramme abgeschaltet. Jetzt revanchiert
sich die EU. Das passt nicht zum Friedensnobelpreisträger.
Debatte Arabellion: Wo ist der arabische Traum?
Die Arabellion ist in großen Schwierigkeiten. Das liegt nicht zuletzt an
der Stärke der Islamisten. Und an der Schwäche aller anderen
Nichtwähler in den USA: Wenn der Wahlhelfer dreimal klingelt
Die Zahl der Nichtwähler könnte diesmal wieder deutlich steigen. Ein
Politikberater aus Michigan empfiehlt provozierende Strategien, um Wähler
zu gewinnen.
Debatte Fanatismus: Fanatiker haben Geschichte
Ja, die Proteste wegen des Mohammed-Videos waren blutig. Doch haben sie
weder die Meinungsfreiheit im Westen bedroht noch die Arabellion.
Debatte Arabellion: Der Staat ist nicht alles
Ägyptische Frauen sind die Verliererinnen und die Gewinnerinnen der
Revolution zugleich. Das ist ein Widerspruch? So ist es nun einmal.
Debatte Arabellion: „Ich erstatte Anzeige“
Ausgerechnet in dem Land, in dem die Arabellion begann, ist die
Konterrevolution im vollen Gange. Wesentlicher Teil davon sind
salafistische Angriffe auf Juden.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.