| # taz.de -- Stadionsicherheit im deutschen Fußball: „Der Rechtsstaat wird um… | |
| > Die Deutsche Fußball-Liga (DFL) hat ein Sicherheitskonzept für den | |
| > Stadionbesuch erarbeitet. Die Fanbeauftragten erklären, warum sie dagegen | |
| > protestieren. | |
| Bild: Deutschland im Mai 2012: Düsseldorfer Ultras beim Rasenraub nach erfolgr… | |
| taz: Herr Markhardt, Sie sind Sprecher der bundesweiten Fanvereinigung | |
| „ProFans“. Frau Schwedler, Sie sind im Fanclubsprecherrat des FC St. Pauli. | |
| Erklären Sie doch mal: Was will die DFL mit diesem Konzept? | |
| Philipp Markhardt: Auf den 33 Seiten wird von „Fans“ geredet – aber es ist | |
| klar: Bei Stehplätzen oder Zaunfahnen geht es um Ultras. | |
| Sandra Schwedler: Betroffen sind alle Fans. | |
| Warum nimmt die DFL nun die Ultras in den Fokus? | |
| Markhardt: Ultras sind für Verbände nicht berechenbar. Sie sind | |
| geschlossen, solidarisch – wenn es um so etwas wie das DFL-Konzept geht, | |
| ruht jede Rivalität. Die Verbände verstehen die Ultras nicht, sie kommen | |
| ihnen nicht bei. Alle Repressionen, die wir in den vergangenen Jahren | |
| erlebt haben, alle Einschränkungen, haben nur dazu geführt, dass die Ultras | |
| noch solidarischer untereinander werden und das Verhältnis zu den Verbänden | |
| sich verschlechtert. | |
| Wer in der DFL hat sich „Sicheres Stadionerlebnis“ eigentlich ausgedacht? | |
| Schwedler: Wir nicht, kein Vertreter der Fans. | |
| Markhardt: Und keiner, der in den Stadien mit Sicherheit zu tun hat. | |
| Schwedler: Das Konzept wurde sicher nicht in den zwei Sitzungen erarbeitet, | |
| die da mit Vereinsvertretern von Bochum, Bayern, VfB Stuttgart, Dortmund, | |
| Eintracht Frankfurt und dem FC St. Pauli sowie Vertretern der DFL | |
| stattgefunden haben. Das hat die „Task Force Sicherheit“ der DFL | |
| vorbereitet. | |
| Wie kam das Konzept an die Öffentlichkeit? | |
| Schwedler: Das sollte es nicht. Der Auftrag an die Vereinsvertreter | |
| lautete, herauszufinden, was die Fans davon halten. Bei uns hat das | |
| Präsidium unter anderem das Fanprojekt zu seiner Meinung gefragt, die | |
| wiederum die über 500 Fanclubs, und dann ging es ganz schnell. | |
| Inzwischen kann sich jeder das Konzept unter publikative.org herunterladen. | |
| Was kommt von den Fußballverbänden und was von den Landesinnenministern, | |
| die auch daran beteiligt sind? | |
| Markhardt: Die Beschränkung der Kartenkontingente für Gästefans und die | |
| Abschaffung der Stehplätze – das kommt von Politikern, die überhaupt keine | |
| Ahnung haben. | |
| Wie plant die DFL, das Konzeptpapier nun umzusetzen? | |
| Markhardt: Die DFL wartet auf Rückmeldung von den Vereinen. Ein paar | |
| Reaktionen von Vereinen, die das nicht gut finden, haben sie ja schon: | |
| Union Berlin, FC St. Pauli, Hertha BSC Berlin, Eintracht Frankfurt, 1. FC | |
| Kaiserslautern, Erzgebirge Aue, FSV Mainz 05 , 1. FC Köln, Fortuna | |
| Düsseldorf, VFL Wolfsburg, FC Augsburg, 1860 München, SC Freiburg, Dynamo | |
| Dresden und auch vom Hamburger SV. Bei der DFL-Mitgliederversammlung am 12. | |
| Dezember sollen die Vereinsvorstände das Konzept beschließen. | |
| Wie findet die DFL die Diskussion, die jetzt stattfindet? | |
| Schwedler: Die DFL hat kritisiert, dass sich Vereine wie Union Berlin | |
| öffentlich positionieren. | |
| Auf Seite 5 des Konzepts ist vom „befriedeten Bereich des Stadions“ die | |
| Rede. | |
| Schwedler: Das hat was mit dem juristischen Begriff des Hausrechts zu tun, | |
| da gibt es den „befriedeten Bereich“. Sprachlich wird hier der Eindruck | |
| erweckt: Fußball ist Bürgerkrieg. | |
| Auf derselben Seite steht auch, dass das Stadionerlebnis „weiterhin sicher | |
| zu gestalten“ ist. | |
| Markhardt: Ja, das ist paradox. Das Konzept sagt, dass das Stadionerlebnis | |
| sicher ist, und dann kommen 28 Seiten mit Vorschlägen, die unterstellen, | |
| das es nicht sicher genug ist. Da fragt man sich: warum? | |
| Schwedler: Der Eindruck, dass ein Stadionbesuch nicht sicher ist, wurde | |
| auch durch eine unkritische Medienbetrachtung erzeugt – etwa zum | |
| Relegationsspiel zwischen Fortuna Düsseldorf und Hertha BSC. Und man darf | |
| nicht vergessen, dass dieses Thema eine Möglichkeit für Innenpolitiker ist, | |
| sich zu profilieren. Die haben Druck. | |
| Markhardt: Zum Beispiel wegen der NSU. | |
| Schwedler: Genau. Da ist es gut, Aktivität zu zeigen, was die Ultras | |
| anbelangt. Und das trifft sich wiederum mit den Interessen der DFL und auch | |
| eines Teils der Medien. | |
| Welches Interesse hat die DFL? | |
| Markhardt: Was nicht kontrollierbar ist, ist nicht zu vermarkten. Das ist | |
| ihr Problem. | |
| Die DFL packt die stärkste Waffe aus, die sie hat? | |
| Markhardt: Ja, das Lizenzierungsverfahren. Wenn das Konzept umgesetzt wird, | |
| gefährden Fans, die gegen die Regeln verstoßen, die Lizenz ihrer Vereine. | |
| Vereine, die das unterschreiben, liefern sich den Fans und der | |
| Entscheidungswillkür der DFL aus. | |
| Schwedler: Die DFL soll der operative Arm der Vereine sein – und nun | |
| entwickelt die ein Eigenleben und bedroht die Vereine. | |
| Die Vereine werden für ihre Fans haftbar gemacht? | |
| Schwedler: Genau. Die Vereine sollen ihren Fans Druck machen – und die Fans | |
| sich gegenseitig, um den Kodex einzuhalten, der im Konzept vorgeschlagen | |
| wird. | |
| Das ist schlau. | |
| Markhardt: Ja, das ist es. Die kommen mit dem Lizenzentzug, weil sie mit | |
| Geldstrafen nichts erreichen. Sie wollen die Fans in gute und schlechte | |
| spalten. Die Guten sind die Braven, die bekommen das, was im Konzept | |
| „Privilegien“ heißt – und sollen dann den Ultras Druck machen, weil sie … | |
| ihre Privilegien fürchten. | |
| Privilegien wie …? | |
| Markhardt: … Zaun- und Blockfahnen. Obwohl ich nicht weiß, seit wann Fahnen | |
| ein Privileg sind. Brave Fans sind unmündige Konsumenten, und die will die | |
| DFL im Stadion sehen. | |
| Wie wird das laufen? | |
| Markhardt: Wenn meine Gruppe eine Blockfahne über den ganzen Block zieht, | |
| und darunter zündet einer, der nichts mit uns zu tun hat, Pyrotechnik, ist | |
| die Blockfahne verboten. Das zielt auf gegenseitige Kontrolle. | |
| Schwedler: Ich will nicht Fanpolizei anderer Fans sein. | |
| Ein Vermummungsverbot soll auch kommen. | |
| Schwedler: Ja, mit der Begründung, dass Leute, die Pyrotechnik zünden, | |
| wegen einer Sturmhaube auf dem Video nicht zu erkennen sind. Es können auch | |
| Schals sein oder Mützen. | |
| Und das „Videoüberwachungssystem“ und die „Personenkörperkontrollen“ … | |
| Eingängen? | |
| Schwedler: Bei den Videos geht es um ein System, bei dem man die Bänder | |
| vor- und zurückspulen kann: ranzoomen. Das soll in allen Stadien | |
| obligatorisch werden. Bei Kontrollen in Containern am Eingang wollen sie in | |
| die Körperöffnungen gucken. | |
| Was ist da so interessant? | |
| Schwedler: Sie denken, in den Körperöffnungen wird Pyrotechnik | |
| transportiert – was kompletter Blödsinn ist. Was da vorgeschlagen wird, das | |
| geht in einem Rechtsstaat nicht. | |
| Das Stadion – ein rechtsstaatsfreier Raum? | |
| Schwedler: Den Eindruck haben wir. Die Innenminister sollen für die DFL die | |
| Gesetze verschärfen, den Datenschutz aushebeln. Der Rechtsstaat wird | |
| umgangen: So sollen etwa Stadionverbote möglich sein, auch wenn Verfahren | |
| nach Paragraf 170 II Strafprozessordnung eingestellt werden. Da entsteht | |
| ein Fußball-Unrechtsstaat. | |
| Werden Sie den Kodex unterschreiben, von dem Ihre „Privilegien“ abhängen? | |
| Schwedler: Bei einer Fanclub-Delegiertenversammlung des FC St. Pauli wurde | |
| beschlossen: Wir unterschreiben keinen Kodex. | |
| Markhardt: Wir auch nicht. Es geht jetzt um die Frage, wie wir als Fans | |
| zeigen, dass wir das nicht wollen. | |
| Schwedler: Genau. Heute ist ein Fantreffen in Berlin, da wird über diese | |
| Frage diskutiert. | |
| Hat die DFL die Premier League zum Vorbild: Sitzplätze, sehr teure Tickets, | |
| keine Atmosphäre, bürgerliche Mittelklasse im Stadion? | |
| Schwedler: Die unberechenbare Gruppe der Ultras, die selbst organisierten | |
| Fans, die für die Unberechenbarkeit des Spiels stehen, sollen raus. Fans, | |
| die mehr Geld bringen und keinen Ärger machen, auch keinen politischen, | |
| sollen rein. | |
| Markhardt: Das Gute ist, dass die Sache jetzt auf dem Tisch ist. Alle | |
| müssen sagen: Wollt ihr so einen Fußball, oder wollt ihr ihn nicht? | |
| 1 Nov 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Roger Repplinger | |
| ## TAGS | |
| Stadionsicherheit | |
| Ultras | |
| DFL | |
| Repression | |
| Fans | |
| Dynamo Dresden | |
| Fußball-Bundesliga | |
| Dynamo Dresden | |
| Dynamo Dresden | |
| Fußball | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Kolumne Press-Schlag: Anschwellende Nacktdebatte | |
| Zwei Jugendlichen aus Halle wurde bei einer Polizeikontrolle in den After | |
| geschaut. Die Fanszene ist alarmiert. Möge ihr Kampf weitergehen! | |
| Urteil zum DFB-Pokal-Ausschluss: Dresden bleibt draußen | |
| Fußball-Zweitligist Dynamo Dresden darf wegen wiederholter Fan-Krawalle in | |
| der kommenden Saison nicht DFB-Pokal spielen. Eine Berufungsverhandlung | |
| änderte nichts. | |
| Sicherheitskonzept für Fußballstadien: Hört der Spaß jetzt auf? | |
| Pyrotechnik, Nacktkontrollen, Kollektivstrafen: Die Deutsche Fußball-Liga | |
| will ein neues Sicherheitskonzept beschließen. Die Debatte darum ist | |
| irrational. | |
| DFB-Sportgericht: Pokalverbot für Dynamo Dresden | |
| Dynamo Dresden hat seit langem ein Fan-Problem. Nach den letzten | |
| Ausschreitungen wurde der Verein für den DFB-Pokal gesperrt – und fühlt | |
| sich ungerecht behandelt. | |
| Derby Frankfurt – Mainz: Verbindendes Schweigen | |
| Aufsteiger Frankfurt steht derzeit für guten Fußball und böse Fans. Der FSV | |
| Mainz hat zwar wenig böse Fans, fällt aber allenfalls wegen seiner | |
| Stabilität auf. | |
| Kolumne Pressschlag: Die Macht der Medien-Wessis | |
| Wenn die Fans von Dynamo Dresden randalieren, ist der Aufschrei groß. Miese | |
| Schalker oder Dortmunder kommen besser weg. Warum nur? | |
| Streit um Dynamo-Dresden-Fans: Eingetrichterte Gäste | |
| Die Fans von Dynamo Dresden stehen nach Krawallen beim Pokalspiel in | |
| Hannover in der Kritik. Doch auch Polizei und Ordnungsdienst scheinen | |
| Fehler gemacht zu haben. | |
| Streit um Stadionsicherheit: Die perfekte Ergänzung | |
| Bei Union Berlin lassen sich Anhänger und Verein in der Sicherheitsdebatte | |
| nicht trennen. Der Zweitligist wird zur Avantgarde des Fanwiderstands. | |
| Rechte im Fußball: Eintracht Braunschweig schließt die Augen | |
| Eintracht Braunschweig redet sein Problem mit rechten Fans im Stadion | |
| klein. Das Fanprojekt arbeitet aber schon an Gegenmaßnahmen. | |
| Hooligans bei Eintracht Braunschweig: Nicht alle Fans sind rechts | |
| Der Zweitligaverein Eintracht Braunschweig hat ein Neonazi-Problem im | |
| Fanblock. Eine Initiative will nun gegen diese rechten Strukturen vorgehen | |
| - so ganz ohne Hilfe der Polizei geht das aber nicht. | |
| Alternatives Fußballmagazin „Transparent“: Stimme für politische Fans | |
| In diesen Tagen erscheint die zweite Ausgabe des „Transparent“-Magazins. Es | |
| soll Themen kritischer Fan-Gruppen aufgreifen. | |
| Verdeckte Ermittler bei Fußballfans: „Das führt zu weiterer Eskalation“ | |
| Jan Korte, MdB der Fraktion Die Linke, fordert ein Stadionverbot für | |
| verdeckte Ermittler der Polizei in der Fußballfanszene. Alles andere sei | |
| „staatliche Schnüffelei“. |