# taz.de -- Streit um Stadionsicherheit: Die perfekte Ergänzung | |
> Bei Union Berlin lassen sich Anhänger und Verein in der | |
> Sicherheitsdebatte nicht trennen. Der Zweitligist wird zur Avantgarde des | |
> Fanwiderstands. | |
Bild: Alte Försterei: Die Anhänger von Union Berlin mögen Querdenker. | |
Der 1. FC Union Berlin ist unversehens zu einer Art Keimzelle des | |
bundesweiten Fanwiderstands in Deutschland geworden. Dass nun die Anhänger | |
des Zweitligisten ihre Leidensgenossen aus Deutschland zum Fangipfel nach | |
Berlin am 1. November eingeladen haben, um die Kräfte gegen den Deutschen | |
Fußball-Bund und die Deutsche Fußball-Liga zu bündeln, wirkt mittlerweile | |
wie eine selbstverständliche Konsequenz aus der Entwicklung der letzten | |
Monate. | |
Die Debatte um die von Seiten der Politik und Fußballfunktionären | |
behauptete Eskalation der Gewalt im deutschen Fußball, der konsequenter | |
begegnet werden müsse, hat Union Berlin zahlreiche Bewunderer beschert. | |
Mitte Oktober dürfte der Sympathiezuwachs noch einmal einen Schub erfahren | |
haben. | |
Der kleine Zweitligist wagte sich nicht nur als erster Klub aus der | |
Deckung, indem die aktive Fanszene von Union im einträchtigen Verbund mit | |
dem Präsidium Stellung nahm zu den verschärften sicherheitspolitischen | |
Planspielen der Fußballverbände. | |
Das neunseitige Schreiben, welches das Konzeptpapier der DFL und des DFB | |
„Sicheres Stadionerlebnis“ gründlich auseinandernimmt, gilt bundesweit in | |
der Fanszene als mustergültiges Konzentrat der gemeinsamen Positionen. „Da | |
steht eigentlich alles drin“, sagt Philipp Markhardt von der | |
vereinsübergreifenden Initiative „Pro Fans“. Inzwischen sind dem Beispiel | |
von Union Berlin fast ein Dutzend Vereine auch der ersten und zweiten Liga | |
gefolgt und haben das DFL/DFB-Konzept abgelehnt. | |
## Feigenblatt der Kommerzialisierung | |
Der Ton der elaborierten Union-Stellungnahme lässt an Deutlichkeit | |
gegenüber der DFL und dem DFB nichts zu wünschen übrig. Von „verfehlter | |
Symbolpolitik“, „der Schutzbehauptung des vermeintlich angestrebten | |
Dialogs“, von rechtsstaatlich bedenklicher „privater Strafjustiz“ ist die | |
Rede. Dem Ligaverband wird vorgehalten, mit seiner Machtpolitik Probleme | |
nicht zu entschärfen, sondern auf eine „beunruhigende Eskalation“ | |
zuzusteuern. | |
Letztlich wird der DFL gar Doppelbödigkeit vorgeworfen. Man könne sich des | |
Eindrucks nicht erwehren, dass die Art der Diskussion als Feigenblatt | |
genutzt werde, um „die Kommerzialisierung des ’Premiumprodukts | |
Bundesliga-Fußball‘ voranzutreiben. | |
Fanpolitische Radikalrhetorik, die der Vereinsvorstand von Union Berlin mit | |
Wohlwollen durchwinkte. Jacob Rösler, der als Vorsitzender der Fan- und | |
Mitgliederabteilung des Vereins (Fuma) am Schreiben mitwirkte, hat das | |
selbst ein wenig verwundert: „Ich hätte nicht erwartet, dass der Vorstand | |
sich in diesem Maße unserer Fansicht anschließt.“ Schließlich habe man | |
einige Dinge „relativ aggressiv und geradeheraus“ formuliert. | |
Ein von der Fuma zusammengestellter siebenköpfiger Schreibzirkel habe das | |
Papier innerhalb einer Woche verfasst. „Der Vorstand hat sich das Papier am | |
Ende angeschaut und ergänzt“, berichtet Rösler. „Aber das war dann im | |
Ergebnis nicht einmal ein Unterschied von einem Prozent. | |
## Ungewöhnliche Symbiose | |
Ein verzückter Fan von Hannover 96 postete im Internet: „Als | |
Weihnachtsgeschenk wünsche ich mir, dass das Positionspapier unserer Fans | |
mit dem gleichen Rückhalt des Vereins an die DFL herangetragen wird.“ Die | |
Fanklubs von 96 dürften ähnliches gedacht haben, als sie ihrem gemeinsam | |
verfassten Ablehnungsschreiben an die Vereinsführung einfach das | |
Union-Schreiben beilegten. „Viele schauen mit Neid auf Union“, weiß Robert | |
Pohl von der vereinsübergreifenden Fanorganisation „Unsere Kurve“ | |
Es ist eine ungewöhnliche Symbiose, die sich bei Union Berlin zwischen | |
Verein und Fans gebildet hat. Der kostengünstige Stadionumbau durch die | |
eigenen Fans 2008 ist nur ein Ausdruck dieser Verbundenheit gewesen. | |
Strukturell Verankerung hat diese bereits 2004 gefunden. | |
Nach dem Abstieg aus der zweiten Liga, welche die Fans auch der damaligen | |
Vereinsführung anlasteten, wurde mehr Mitbestimmung eingefordert. Die Fuma | |
wurde als Abteilung des Vereins gegründet. Er sei gerade dabei, zu | |
recherchieren, berichtet Jacob Rösler, aber eine solche institutionelle | |
Einbeziehung der Fans gäbe es seines Wissens ansonsten in Deutschland nur | |
beim Hamburger SV. | |
Diese enge Verzahnung trug wohl auch dazu bei, dass Union-Kapitän Torsten | |
Mattuschka zwar auf Geheiß der DFL im September wie alle anderen | |
Spielführer der Liga sich offiziell gegen Rassismus, Diskriminierung und | |
Gewalt aussprach, als einziger aber die Passage mit der Ächtung von Böller, | |
Rauchbomben und Bengalos wegließ, weil sich der Klub und seine Fans für ein | |
kontrolliertes Abbrennen von Pyrotechnik einsetzen. | |
## Druckresistent beim Sicherheitsgipfel | |
Auch im Sommer erwies sich der Klub im Interesse seiner Anhänger als | |
einziger Vertreter der zum Sicherheitsgipfel eingeladenen 54 deutschen | |
Profiklubs als druckresistent. Die Vereinsvertreter sollten bei dem | |
Zusammentreffen, bei dem auch DFB-Präsident Wolfgang Niersbach, DFL-Chef | |
Reinhard Rauball und Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) | |
anwesend waren, einen Verhaltenskodex unterzeichnen, den sie erst am Vortag | |
zugesandt bekamen. | |
Union boykottierte die Veranstaltung mit der Begründung, ein Kodex, der | |
sich auf das Verhalten der Fans auswirken solle, könne nur in Absprache mit | |
diesen wirksam umgesetzt werden. Die Zeit für eine ausreichende Abstimmung | |
habe es aber nicht gegeben. Ein Schulterschluss mit den Fans. | |
DFB-Präsident Niersbach lobt dagegen hernach den Schulterschluss der | |
übrigen 53 Vereine, als Zeichen dafür, dass alle mehr für Sicherheit | |
eintreten wollen. Wie die taz aus glaubwürdiger Quelle erfuhr, bekundete | |
ein deutscher Vereinsvertreter nach dem Sicherheitsgipfel im Juli: „Wir | |
waren alle überrumpelt. Wir haben alle gewartet, dass jemand anderes | |
auftritt und protestiert.“ | |
## Spannungsfeld zwischen Verband und Fans | |
Markhardt, den Sprecher von „Pro Fans“, wundert das nicht: „Die meisten | |
Vereine haben nicht den Arsch in der Hose, nach vorne zu treten und zu | |
sagen: ’Nein so geht das nicht.‘ Die haben alle Angst vor der DFL.“ Die | |
Klubs stehen derzeit fraglos in einem Spannungsfeld zwischen den | |
Forderungen des Verbandes und denen ihrer treuesten Fans. | |
Offenkundig wird das am Beispiel von St. Pauli. Bislang galt der | |
Zweitligist als Prototyp des rebellischen Vereins. Am DFL/DFB-Konzept | |
wirkte aber deren Vizepräsident Gernot Stenger mit. Dieser ist nun aus der | |
Sicherheitskommision zurückgetreten, weil – wie der Verein recht | |
distanziert mitteilte – „im Ergebnis die große Mehrheit das | |
Diskussionspapier ablehnt“. | |
Mit solch einem Statement wäre ich nicht glücklich, sagt Jacob Rösler. So | |
eindeutig wie Union Berlin hat sich indes noch kein Klub auf die Seite | |
seiner Fans geschlagen. Gegen Ende des Gesprächs hat Fanaktivist Rösler | |
noch eine Bitte. Seine Zitate solle man doch bitte dem Pressesprecher von | |
Union zur Autorisierung schicken. | |
28 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Johannes Kopp | |
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