| # taz.de -- Essays zur Eurokrise: Zauber des eigenen Landes | |
| > Geert Maks Essay „Was, wenn Europa scheitert“ sucht in der politischen | |
| > Krise Zuflucht beim Nationalismus. Er liefert eine ambivalente Diagnose. | |
| Bild: Die intellektuelle Elite macht sich Sorgen um den Euro und die EU. | |
| Dass sich Europa in einer schweren Krise befindet, ist daran ablesbar, dass | |
| momentan viele (Europa und der EU durchaus zugeneigte) Intellektuelle sehr | |
| besorgte Essays über die Gegenwart und die Zukunft des Euro und der EU | |
| vorlegen – darunter sind Autoren wie Ulrich Beck, Robert Menasse und Daniel | |
| Cohn-Bendit mit seinem Koautor Guy Verhofstadt. | |
| Wie ernst die Lage eingeschätzt wird, verdeutlicht der drastische Titel von | |
| Ulrich Becks Suhrkamp-Essay „Das deutsche Europa. Neue Machtlandschaften im | |
| Zeichen der Krise“. Die Überschrift zu Becks Einleitung treibt die Dramatik | |
| noch eine Stufe höher: „Deutschland vor der Entscheidung über Sein oder | |
| Nichtsein Europas“. | |
| Der niederländische Schriftsteller Geert Mak geht in seinem neuen Buch | |
| „Was, wenn Europa scheitert“ davon aus, „dass das Unvorstellbare“ eintr… | |
| kann: dass der Euro und die EU scheitern. Für ihn „bleibt die EU der kranke | |
| Mann der Welt“. Mak rekapituliert die Geschichte der EU unter dem | |
| Imperativ, den Nationalismus zu bändigen, und bilanziert dafür einen Erfolg | |
| – 40 Jahre Frieden in Europa. | |
| ## Stammtischparolen | |
| Die Aussichten, dass die EU den Weg aus der Krise findet, beurteilt Mak | |
| skeptisch und dämonisiert Brüssel – wie Hans Magnus Enzensberger – zur | |
| „amorphen Bürokratie, die sich überall einmischt, von der Zusammensetzung | |
| französischen Ziegenkäses über die Mindestgröße von Kondomen bis zur Länge | |
| der Leitern der Fensterputzer in Amsterdam“. Das sind Stammtischparolen. | |
| Für seine These, wir bezahlten „in gewisser Weise“ mit der Krise „den Pr… | |
| für die deutsche Wiedervereinigung“, also den Deal Euro gegen | |
| Wiedervereinigung zwischen Helmut Kohl und François Mitterrand, bleibt Mak | |
| substanzielle Belege schuldig. | |
| Auch auf anderen Gebieten spricht Mak zentrale Probleme an, behandelt sie | |
| jedoch nur oberflächlich. Das betrifft die Einführung des Euro ebenso wie | |
| die Rettung der irischen Banken, zu der es nur kam, weil die irische | |
| Regierung sie für „systemrelevant“ erklärte und damit eine Haftung | |
| übernahm. | |
| Die 4,5 Millionen Einwohner Irlands mussten schließlich geradestehen für | |
| die Schulden und die ausländischen Gläubigerbanken vor Verlusten bewahren – | |
| darunter Goldman Sachs und die Deutsche Bank. Auch mit dem Geld für die zu | |
| Sündenböcken gestempelten Griechen half man nicht der griechischen | |
| Bevölkerung und ihrer Wirtschaft, sondern rettete nur die ausländischen | |
| Gläubigerbanken. | |
| Maks Kritik am Euro ist feuilletonistisch-ästhetisch unterlegt: Für ihn ist | |
| der Euro „unecht, virtuell zusammengemixtes Zeug, Geld ohne Seele“. Er | |
| trauert dem alten niederländischen Gulden nach – dem „schönsten Geld der | |
| Welt“. | |
| Der Autor driftet zwischendurch immer wieder ins Assoziative ab, so wenn er | |
| Dinge zusammenwirft, die nicht viel miteinander zu tun haben: „In Spanien | |
| ist inzwischen beinahe ein Viertel der arbeitsfähigen Bevölkerung ohne Job | |
| – ihr Regierungschef, Mariano Rajoy, der die wichtigsten Verhandlungen | |
| führen muss, spricht kein Wort Englisch.“ | |
| ## Ambivalente Diagnose | |
| Mak diagnostiziert in Europa eine „wachsende Hinwendung zum Eigenen und | |
| Nationalen“ und deutet das zu Recht als Folge der Verunsicherung der | |
| Bürgerinnen und Bürger angesichts der Banken- und Schuldenkrise. Diese | |
| Diagnose bleibt jedoch einigermaßen ambivalent, denn gleichzeitig schwärmt | |
| Mak distanzlos vom „Zauber des eigenen Landes“ und versichert obendrein: | |
| „Was auch immer geschehen mag, dieses Europa nimmt uns keiner mehr.“ Diese | |
| Gewissheit passt schlecht zum apokalyptischen Unterton vieler Passagen. | |
| Maks Schlussthese ist jedoch plausibel angesichts der Entmündigung der | |
| europäischen Völker und ihrer Parlamente durch das Krisenmanagement des | |
| Europäischen Rats und der Europäischen Zentralbank. | |
| Beide Institution entbehren einer demokratischen Legitimation, spielen | |
| jedoch die Hauptrollen bei der Bewältigung der Banken- und Schuldenkrise: | |
| „Das Wichtigste ist, dass innerhalb Europas die Politik und die Demokratie | |
| wieder in den Mittelpunkt gerückt werden.“ Insgesamt enttäuscht dieser | |
| etwas beliebig zusammengestoppelte Essay über weite Strecken. | |
| ## Geert Mak: „Was, wenn Europa scheitert“. Aus dem Niederländischen von | |
| Gregor Seferens, Pantheon Verlag, München 2012, 144 Seiten, 9,99 Euro | |
| 18 Nov 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Rudolf Walther | |
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