# taz.de -- Kolumne Die Euroserie: Gefangen in der Schuldenfalle | |
> Die offizielle Finanzpolitik wird derzeit durch einen | |
> Primitiv-Fiskalismus beherrscht. Ein antizyklischer Ansatz wäre nötig. | |
Bild: Grüne Weiden in weiter Ferne: Dogmatische Sparpolitik führt in die Schu… | |
Die offizielle Finanzpolitik wird derzeit durch einen Primitiv-Fiskalismus | |
beherrscht. Ohne den Gesamtblick auf die sozialen, ökonomischen und | |
ökologischen Staatsaufgaben erklären Politiker und | |
Wirtschaftswissenschaftler die rasant gestiegene Staatsverschuldung | |
monokausalistisch zur zentralen Ursache ökonomischer Fehlentwicklungen. | |
Es heißt zum Beispiel, die staatliche Kreditaufnahme an Kapitalmärkten | |
bremse Investitionen der Privatwirtschaft. Die Eurokrise sei im Kern auf zu | |
hohe Staatsschulden zurückzuführen, die durch Ausgabenexzesse zustande | |
gekommen seien. Ja, über die ökonomische Kritik hinaus werden steigende | |
Schulden als Problem mangelnder politischer Moral gescholten. Die dagegen | |
gesetzte Rotstiftpolitik gilt als unvermeidliche Sühne. | |
Die durch Fehlentwicklungen des Wirtschaftssystems ausgelösten Triebkräfte | |
expandierender Staatsverschuldung werden dabei unterschlagen. Die Schulden | |
der Bundesrepublik etwa haben sich zuerst durch die Finanzierung der | |
deutschen Einigung seit Anfang der 1990er Jahre verdreifacht. War diese | |
staatliche Finanzierung unmoralisch? | |
Auch in der Eurozone zeigt sich, dass die Staatsschuldenkrise wenig mit | |
exzessiver und moralisch unverantwortlicher Ausgabenpolitik der Regierungen | |
zu tun hat. Der plötzliche Sprung bei der Staatsverschuldung seit 2008 im | |
Euroland ist aber nicht verantwortungsloser Verschwendung zuzuschreiben, | |
sondern den Rettungsprogrammen infolge der Finanz- und insbesondere | |
Bankenkrise. | |
Mit der Austeritätspolitik tritt allerdings das Gegenteil der versprochenen | |
Sanierung öffentlicher Haushalte ein. Die Eurokrisenländer sind mit den | |
Sühneprogrammen in die dauerhafte Rezession gezwungen worden. Deutschland | |
scheint da nur auf den ersten Blick nicht vergleichbar zu sein. Jedoch die | |
gesamtwirtschaftlichen Belastungen durch das soeben erst begonnene Regime | |
der Schuldenbremse sind noch nicht sichtbar. | |
## Neoliberale Unterstellungen | |
Seit diesem Herbst zeichnet sich eine Stagnation ab, die auch in eine | |
Rezession umschlagen kann. Um dann mit der Finanzpolitik gegenzusteuern, | |
reicht der in der Schuldenbremse vorgesehene konjunkturelle Puffer bei | |
weitem nicht aus. Der Bund ist gut beraten, statt um den frühesten Termin | |
einer Nullverschuldung zu wetteifern, eine antizyklische Politik mit einem | |
ökologisch fundierten Zukunftsprogramm vorzubereiten. | |
Das sich abzeichnende Scheitern der deutschen Schuldenbremse und des | |
EU-Fiskalpakts hat einen entscheidenden Grund: Reduzieren die | |
Gebietskörperschaften ihre Ausgaben im Gleichschritt, wird den Unternehmen | |
Nachfrage entzogen. Ernsthaft lässt sich die neoliberale Unterstellung | |
nicht beweisen, dass staatliche Schrumpfpolitik Unternehmen zu | |
Investitionen animiere. Dafür spricht, dass in Deutschland die privaten | |
Haushalte immense Summen sparen – 2011 über 186 Milliarden Euro. | |
Die Firmen schöpfen diese Überschüsse aber bei weitem nicht durch die | |
Finanzierung von Sachinvestitionen ab und kompensieren daher nicht den | |
Entzug konsumtiver Ausgaben. Die Folge ist die vielfach beschriebene | |
Schuldenfalle: Die Reduzierung öffentlicher Ausgaben führt zu einem Verlust | |
an gesamtwirtschaftlicher Produktion um ein Vielfaches. Und am Ende steigen | |
wegen der Krisenkosten die Staatsschulden. | |
In den Eurokrisenländern zeigt sich der Teufelskreis besonders bitter. Mit | |
der durch die Geldgeber erzwungenen Austeritätspolitik ist beispielsweise | |
Griechenland seit 2009 in einer dauerhaften Rezession gelandet. Die | |
Arbeitslosigkeit vor allem bei Jugendlichen fällt extrem hoch aus. | |
Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen ist eine antizyklische Finanzpolitik | |
nötig. Wenn heute mit Hilfe von Staatsverschuldung ökologisch nachhaltige | |
Infrastrukturprojekte auf den Weg gebracht werden, dann profitieren davon | |
künftige Generationen – auch wenn, sie per Steuern, die Zinsen finanzieren | |
müssen. | |
4 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Hickel | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Finanzkrise | |
Sparen | |
Staatsschulden | |
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