# taz.de -- Debatte Schweiz und Eurokrise: Die armen Schweizer | |
> Die Deutschen können froh sein über den Euro. Ohne ihn würden sie | |
> permanent ihre Nachbarn subventionieren – so wie die Schweizer. | |
Bild: Gewinnt dramatisch an Wert: Der Schweizer Franken. | |
Wer zahlt für die Eurokrise? Eine überraschende Antwort lautet: die | |
Schweiz. Die Eidgenossen gehören zwar nicht zur Währungsunion, aber das | |
nutzt ihnen gar nichts. Sie müssen trotzdem Milliarden in die Kassen der | |
Euroländer pumpen. Die Schweiz ist ein Lehrstück dafür, warum sich der Euro | |
für Deutschland lohnt. | |
Die Probleme der Schweizer beginnen damit, dass ihr Land als sicher gilt. | |
Also kommen allzu viele Investoren auf die Idee, ihr Geld aus den | |
kriselnden Eurostaaten abzuziehen und in der Schweiz zu investieren. Dieser | |
Ansturm spiegelte sich in den Wechselkursen wider: Wenn viele den Euro | |
verlassen, um in den Franken zu wechseln, wird der Franken teurer und der | |
Euro billiger. Von Anfang 2010 bis Mitte 2011 fiel der Euro von 1,50 auf | |
1,03 zum Franken. Anders ausgedrückt: In rund 18 Monaten wurden die | |
Schweizer Produkte in den Euroländern um fast 50 Prozent teurer. | |
Dies konnte die Schweizer Nationalbank nicht zulassen. Die Schweiz lebt vom | |
Export, der rund 60 Prozent der Wirtschaftsleistung ausmacht. Zudem gehen | |
viele der ausgeführten Waren direkt in den Euroraum – vor allem nach | |
Deutschland. Um die Schweizer Wirtschaft zu retten, ging die Schweizer | |
Nationalbank ein enormes Risiko ein: Sie ließ alle Investoren und | |
Spekulanten öffentlich wissen, dass sie den Kurs zwischen Euro und Franken | |
bei 1,20 stabilisieren würde. | |
Anfangs hoffte die Nationalbank noch, dass es reichen würde, ein solches | |
Kursziel zu formulieren, um den Franken nach unten zu drücken. Doch daraus | |
wurde nichts. Vielleicht ließen sich einige Spekulanten abschrecken, aber | |
den ängstlichen Anlegern war alles egal. Sie wollten raus aus dem Euro und | |
rein in den Franken. Also musste die Nationalbank Milliarden an Franken | |
drucken und gegen Euro tauschen. Allein von Januar bis September mussten | |
172 Milliarden neue Franken in Umlauf gebracht werden, was rund 30 Prozent | |
der jährlichen Schweizer Wirtschaftsleistung entspricht. | |
## Der Wahnsinn nebenan | |
Viele Deutsche stellen sich vor, dass die EZB ständig Geld drucken und die | |
Inflation anheizen würde. Doch tatsächlich hat die Europäische Zentralbank | |
die Geldmenge bisher nicht erhöht. Der Wahnsinn findet nebenan statt, in | |
der Schweiz. | |
Bleibt eine Frage: Was macht die Schweizer Nationalbank mit all den Euros, | |
die sie für ihre frisch gedruckten Franken erwirbt? Ende September wartete | |
die Ratingagentur Standard & Poor’s mit einer interessanten These auf: Die | |
Schweizer Nationalbank hätte von Januar bis Juli 2012 für 80 Milliarden | |
Euro Staatsanleihen der stabilen Euroländer gekauft – also deutsche, | |
österreichische, niederländische, finnische und französische Papiere. | |
Der Knüller daran: Damit hätte die Schweizer Nationalbank fast die Hälfte | |
der Staatsanleihen erworben, die die fünf Länder in diesen Monaten | |
ausgaben, um ihren Finanzbedarf zu decken. Deutsche Haushaltslöcher werden | |
also durch die Schweiz gestopft! | |
## Die Eurokrise wird ironisch | |
Die rege Nachfrage seitens der Schweiz würde auch erklären, warum die | |
starken Euroländer kaum noch Zinsen für ihre Kredite zahlen müssen. Die | |
Allianz hat kürzlich ausgerechnet, was die Bundesregierung gespart hat, | |
weil die Zinsen für ihre Staatsanleihen auf ein Rekordtief gefallen sind: | |
Über die gesamte Laufzeit gerechnet sind es bereits 67 Milliarden Euro. So | |
ironisch kann die Eurokrise sein: Die Deutschen profitieren, während die | |
Schweizer zahlen. | |
Allerdings hat die Schweizer Nationalbank prompt dementiert. Der Bericht | |
von Standard & Poor’s würde jeder Grundlage entbehren. Es macht jedoch | |
stutzig, dass die Nationalbank nicht herausrücken wollte, wie viele | |
Staatsanleihen sie gekauft hat. Und so konterte Standard & Poor’s, man | |
würde bei den eigenen Aussagen bleiben. | |
Die Schweizer sind also Geiseln der Eurokrise. Um ihre Exportindustrie zu | |
schützen, sehen sie sich gezwungen, die Staatshaushalte ihrer Nachbarn zu | |
finanzieren. Ein Ende ist nicht abzusehen. Die Eurokrise ist ja nicht | |
vorbei, sondern verschärft sich, weil nun auch Frankreich zu wackeln | |
scheint. | |
## Drei Szenarien | |
Hilflos müssen die Schweizer abwarten, wie sich die Eurokrise entwickelt. | |
Drei Szenarien sind denkbar. Erstens: Die Eurokrise zieht sich noch auf | |
Jahre hin. Dies dürfte für die Nationalbank bedeuten, dass sie ungebremst | |
Franken drucken muss, um panische Anleger zu bedienen, die aus dem Euro | |
aussteigen wollen. Auf die Dauer ist dies gefährlich, da die Investoren | |
ihre Franken ja gewinnbringend „arbeiten“ lassen wollen. Schon jetzt werden | |
die Immobilien in der Schweiz teurer. | |
Zweites Szenario: Die Eurokrise beruhigt sich oder würde gar gelöst. Dann | |
könnte der Euro wieder deutlich stärker werden, was für die Schweizer | |
Nationalbank einen ordentlichen Gewinn bedeuten würde. Sie könnte ihre | |
vielen Euros verwenden, um wieder Franken zu erwerben – und diese vom Markt | |
zu nehmen. | |
Drittes Szenario: Der Euro fliegt ganz auseinander. Dann wäre natürlich die | |
Frage, wie viel die Euros noch wert sind, die die Schweizer Nationalbank in | |
Milliardenhöhe aufgekauft hat. Wahrscheinlich würden enorme Verluste | |
drohen, die die Nationalbank jedoch verkraften könnte. Anders als normale | |
Banken können Zentralbanken nicht pleitegehen, weil sie das Geld frei | |
schöpfen können. | |
## Die Schweiz braucht den Euro | |
Viel lästiger wäre für die Schweizer, dass sie – ohne Euro – auf jeden F… | |
gezwungen wären, auf den Finanzmärkten zu intervenieren, um den Franken | |
nach unten zu drücken. Denn in einem Europa der vielen Schwachwährungen | |
würde den Investoren erst recht auffallen, wie sicher die Schweiz ist. | |
Wieder würde das Spiel losgehen, dass die Schweizer die Staatshaushalte | |
ihrer Nachbarländer finanzieren. Fazit: Den Schweizern geht es nur gut, | |
wenn es einen Euro gibt – und dieser stabil ist. | |
Warum das eine wichtige Erkenntnis ist? Weil Deutschland wie die Schweiz | |
ist, nur größer. Es ist eine Exportnation, die als sicherer Hafen gilt. | |
Ohne Euro wäre die Deutschen also in der gleichen Lage wie die Eidgenossen: | |
Permanent würden sie ihre Nachbarn subventionieren, um den DM-Kurs nach | |
unten zu drücken. Da ist es deutlich billiger, Griechenland zu retten. | |
18 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Herrmann | |
Ulrike Herrmann | |
## TAGS | |
Schweiß | |
Deutschland | |
Euro | |
Griechenland | |
Euro-Krise | |
EU | |
Euro-Krise | |
Schwerpunkt Finanzkrise | |
EU-Kommission | |
Inflation | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kommentar EU-Reformpläne: Riskante Kapitulation | |
EU-Ratspräsident plant verbindliche Verträge, in denen sich die | |
Mitgliedsstaaten zu Reformen verpflichten. Eine Lösung der Krise wird damit | |
verhindert. | |
Essays zur Eurokrise: Zauber des eigenen Landes | |
Geert Maks Essay „Was, wenn Europa scheitert“ sucht in der politischen | |
Krise Zuflucht beim Nationalismus. Er liefert eine ambivalente Diagnose. | |
Kolumne Die Euroserie: Gefangen in der Schuldenfalle | |
Die offizielle Finanzpolitik wird derzeit durch einen Primitiv-Fiskalismus | |
beherrscht. Ein antizyklischer Ansatz wäre nötig. | |
Finanzrahmen der EU bis 2020: Weniger Geld für mehr Europa | |
Die EU zofft sich über ihre Ausgaben bis 2020, es geht um das | |
Gemeinschaftsbudget, nicht um die Krisenländer. Merkel will sparen, London | |
droht mit einem Veto. | |
Eurokolumne: Die Angst vor dem Gelduntergang | |
Inflation ist ein nationales Trauma. Darum äußert sich auch der ehemalige | |
Weinbauminister Rainer Brüderle gewohnt kompetent dazu. |