# taz.de -- Handel mit CO2-Zertifikaten: EU verdaddelt Klimaschutzchance | |
> Wegen der Wirtschaftskrise stößt Europa weniger CO2 aus. Doch die | |
> Europäische Kommission nutzt die Chance zur Verschärfung der | |
> Klimaschutzziele nicht. | |
Bild: Das Braunkohlekraftwerk Lippendorf bei Leipzig: Irgendwie malerisch. Irge… | |
BRÜSSEL/BERLIN taz | Die Europäische Kommission drückt sich vor einer | |
Verschärfung der Klimaschutzziele nach 2020 und will vorerst auch keine | |
grundlegenden Veränderungen des Emissionshandels. Am Mittwoch stellte die | |
Brüsseler Behörde einen Vorschlag vor, wie die Preise für CO2-Zertifikate | |
stabilisiert werden können. | |
Die Zertifikate sind eine Art Müllgebühr für Klimagase. Unternehmen müssen | |
für jede Tonne CO2, die sie in die Luft blasen, eine Berechtigung in Form | |
eines Zertifikats vorweisen – schließlich entstehen der gesamten | |
Gesellschaft Folgekosten, etwa durch den Klimawandel. Teils werden die | |
Zertifikate kostenlos ausgegeben, teils versteigert und später an der | |
Strombörse gehandelt. Weil die Staaten immer weniger Zertifikate ausgeben, | |
sinkt auch der CO2-Ausstoß – so zumindest der Plan. | |
Allerdings gibt es mittlerweile ein Überangebot an Zertifikaten, wie auch | |
die Kommission feststellt – ohne mit einem konkreten Gesetzesvorschlag | |
gegenzusteuern. „Die EU-Kommission kommt ihrer Verantwortung nicht nach. | |
Das Überangebot von Zertifikaten führt zu unrealistisch niedrigen | |
CO2-Preisen für die Unternehmen“, kritisiert die Vorsitzende der Grünen im | |
Europa-Parlament, Rebecca Harms. Dadurch würde der Anreiz für Investitionen | |
in saubere Technologien fehlen. | |
Die EU-Kommission legt sich lediglich darauf fest, die Versteigerung von | |
900 Millionen zusätzlichen Zertifikaten zu verschieben. Sie sollen nicht | |
wie ursprünglich vorgesehen zwischen 2013 und 2015 auf den Markt kommen, | |
sondern erst nach 2019. So hofft die Klimakommissarin Connie Heedegard, die | |
Preise zu stabilisieren. Weit entfernt hat sie sich damit von ihrem | |
ursprünglichen Plan, nach dem die EU bis 2020 weniger CO2 ausstoßen sollte | |
als geplant – statt 20 Prozent weniger im Vergleich zu 1990 sollten es 30 | |
Prozent sein. | |
## 10 Prozent weniger CO2 möglich | |
Dieser Vorschlag ist in dem aktuellen Bericht lediglich als eine von sechs | |
Möglichkeiten aufgeführt. Immerhin bekommt er den Buchstaben „A“ | |
zugewiesen. „Dabei wäre dies die einzige sinnvolle Möglichkeit, den | |
Emissionshandel langfristig effektiv zu gestalten“, sagt Harms. 10 Prozent | |
weniger CO2 ließen sich laut EU-Kommission allein dadurch erreichen, indem | |
der derzeitige Überschuss an Zertifikaten aus dem Handel genommen wird. | |
So allerdings könnte das Überangebot bis 2020 weiter steigen. Vor allem | |
wegen der Wirtschaftskrise produziert die Industrie weniger, stößt weniger | |
Klimagase aus und braucht weniger Zertifikate. Dies hat einen Einbruch der | |
Preise zur Folge. | |
Um den Markt zu stabilisieren, könnten laut des Papiers der EU-Kommission | |
auch schrittweise weniger frische oder kurzfristig gar keine Zertifikate | |
auf den Markt geworfen werden. Oder die Nachfrage wird erhöht, | |
beispielsweise, indem auch andere Sektoren der Wirtschaft verpflichtet | |
werden, für ihre CO2-Emissionen zu zahlen und so Zertifikate zu kaufen. | |
## Keine konkreten Gesetze | |
Doch statt konkrete Gesetze vorzuschlagen, will die EU-Kommission zuerst | |
die Betroffenen befragen und die Folgen für die Industrie abschätzen. | |
Außerdem müssen das EU-Parlament und die 27 Mitgliedstaaten in die | |
Entscheidung einbezogen werden. Das kann sich über Monate hinziehen. Im | |
EU-Emissionshandel werden derzeit etwa 11.000 Industrieanlagen und rund 40 | |
Prozent der Emissionen in der Europäischen Union erfasst. Seit diesem Jahr | |
ist auch der Luftverkehr in das System einbezogen. | |
In Deutschland hätten höhere CO2-Preise wesentlich niedrigere Kosten für | |
erneuerbare Energien zur Folge, schreibt Greenpeace in einer neuen Studie. | |
Strom aus fossilen Rohstoffen würde teurer. Die EEG-Umlage, mit der | |
Stromkunden den Ausbau erneuerbarer Energien bezuschussen, könnte demnach | |
von 5,3 auf 2,9 Cent pro Kilowattstunde sinken. | |
14 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
R. Reichstein | |
I. Arzt | |
## TAGS | |
EU | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Emissionshandel | |
CO2 | |
Klimaschutzziele | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Strompreis | |
Grünes Wachstum | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Hamburg | |
EU | |
EU | |
EU | |
EU | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kommentar EU-Emissionshandel: Wirtschaftlicher Klimaschutz | |
Unternehmen streiten untereinander über den Emissionshandel. Die EU muss | |
jetzt den Preis für Klimagase stützen – sonst macht sie sich lächerlich. | |
EU-Emissionshandel: Kampf der Stromgiganten | |
Einige der größten Energieversorger wollen weiterhin mehr Geld für den | |
Ausstoß von Klimagasen zahlen – entgegen den Interessen ihrer | |
Industriekunden. | |
Neue Geschenke für die Industrie: Schizophrene Stromsubventionen | |
„Die Klientelregierung verteilt Lobbygeschenke“: Bis zu 500 Millionen Euro | |
jährlich wegen „emissionshandelsbedingter Strompreiserhöhungen“. | |
Zweifelhaftes Klimaschutzinstrument: Sauberes Wachstum für dreckige Luft | |
Die Clean Development Mechanisms brachten viel Geld für Klimaschutz. Aber: | |
Der Ausstoß von CO2 ist dadurch nicht gesunken – im Gegenteil. | |
Bericht des UN-Weltklimarats: Apokalypse auf Akademisch | |
Rechtzeitig zur Klimakonferenz schwarz auf weiß: der Nordpol im Sommer | |
eisfrei, der Golfstrom kälter, Monsunregen länger, dafür kaum noch | |
Permafrostböden. | |
Vattenfall erhöht Strompreise: 6,45 Euro mehr | |
Vattenfall erhöht die Strompreise in Berlin und Hamburg um 13 Prozent. Die | |
Erhöhung ist angeblich die höchste, die Vattenfall je in Deutschland | |
verkündet hat. | |
EU nimmt Klimazertifikate vom Markt: 900 Millionen CO2-Papiere weniger | |
Um die Preise zu stützen, nimmt die EU rund 900 Millionen CO2-Zertifikate | |
vom Markt. Parallel steigt mit Kalifornien der erste US-Bundesstaat in den | |
Emissionshandel ein. | |
Brüsseler Emmissionshandel: Keine Klimaabgabe für die Luftfahrt | |
Nach Protesten gegen den Emissionhandel setzt die EU-Komission die Abgabe | |
für die Luftfahrt vorerst aus. Experten sehen dies als Durchbruch. | |
Zertifikate für Kohlendioxid: Heiße Luft spaltet die EU | |
Die EU-Umweltminister finden keine gemeinsame Position zu CO2-Zertifikaten. | |
Damit riskiert die EU eine Einigung bei der nächsten Klimakonferenz. | |
Kommentar EU-Klimapolitik: Warschau auf die Wartebank | |
Alle EU-Staaten einigen sich auf ein bisschen mehr Klimaschutz und Polen | |
sagt „Nein“. Die EU sollte sich deshalb vom Prinzip der Einstimmigkeit | |
verabschieden. | |
Kommentar EU-Emissionshandel: Die Lobby knurrt | |
Die Emissionszertifikate sind derzeit so billig, dass sich Klimaschutz kaum | |
mehr lohnt. Jetzt sollen sie verknappt werden. |