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# taz.de -- Gedenken an die Morde von Mölln: Ein bleibendes Brandmal
> Die rassistischen Brandanschläge von Mölln vor 20 Jahren haben eine ganze
> Generation geprägt. Am Freitag versammelt sie sich zum Gedenken.
Bild: Die Erinnerung ist geblieben: Mölln 1992
BERLIN taz | „Mölln ist kein Thema der Vergangenheit“, findet der Berliner
Autor Imran Ayata. Die Brandanschläge vor 20 Jahren, die mit der Stadt bis
heute verbunden sind, haben ihn biographisch geprägt. Darum hat er jetzt
einen Reisebus organisiert, der an diesem Freitag von Berlin nach Mölln
fährt. Mit um die 70 Mitfahrern rechnet er, die an der Gedenkfeier
teilnehmen werden, bei der am Abend unter anderen Mitglieder der Familie
Arslan, die Publizistin Hilal Sezgin sowie Beate Klarsfeld, die
Ex-Präsidentschaftskandidatin der Linkspartei, reden werden.
Zwei Häuser in der norddeutschen Kleinstadt, beide von türkischen Familien
bewohnt, waren in der Nacht vom 22. auf den 23. November 1992 mit
Molotovcocktails in Brand gesetzt worden. Noch während der Löscharbeiten
meldeten sich die Täter bei der Polizei, ihre Anrufe schlossen sie mit
„Heil Hitler“. Im Oktober 1993 wurden sie wegen mehrfachen Mordes und
Mordversuchs verurteilt, längst haben beide ihre Haftstrafe verbüßt. Doch
die Erinnerung an jene Nacht ist geblieben.
Drei Menschen kamen damals in den Flammen um – die zehnjährige Yeliz
Arslan, die 14-jährige Ayse Yilmaz und die 51-jährige Bahide Arslan –, neun
weitere überlebten mit zum Teil schweren Verletzungen. Die Tat sandte
Schockwellen durch die Republik. Zwar kam es in jenen Tagen in Deutschland
fast in jeder Woche zu Angriffen auf Asylunterkünfte und Flüchtlinge. Doch
Mölln machte klar, dass die Welle der Gewalt nun auch den Westen der
Republik erreicht hatte – und vor Einwanderern, die schon seit Jahrzehnten
im Land lebten, nicht Halt machte.
Der Schriftsteller Ralph Giordano, der damals noch als moralische Instanz
galt, bevor er später selbst fremdenfeindliche Töne anstimmte, schrieb
einen offenen Brief an den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl. Darin
warnte er: wenn die Bundesregierung den Minderheiten im Land nicht den
nötigen Schutz gewähre, müssten diese selbst aktiv werden, „bis in den
bewaffneten Selbstschutz hinein“.
Sein Aufruf sorgte für heftige Diskussionen. Doch statt zur Selbstjustiz
kam es in den darauf folgenden Wochen in ganz Deutschland zu spontanen
Großdemonstrationen. Rund zwei Millionen Menschen gingen im Winter 1992 von
München und Berlin bis Hamburg auf die Straße, um sich mit Kerzen in der
Hand den Lichterketten gegen die Gewalt anzuschließen.
## Viele politisierte Milieus
Einer, dem die Anschläge von Mölln bis ins Mark gingen, war der
Schriftsteller Feridun Zaimoglu. Er lebte schon damals in Kiel, im gleichen
Bundesland wie die Kleinstadt Mölln. „Es war eine schwarze Zeit“, sagt er.
„Viele Leute haben sich damals gefragt: ist es jetzt besser die Koffer zu
packen? Das hat die Menschen geprägt, die haben das bis heute nicht
vergessen.“
1994 erschien Zaimoglus erstes Buch, „Kanak Sprak“, das literarisch
verfremdete Monologe von 24 jungen Deutschtürken versammelte. „Natürlich
war das ein wütendes Buch“, sagt Feridun Zaimoglu. „Die Menschen standen
unter dem Eindruck dieser Ereignisse und die Haltung war: Es reicht jetzt
mit der Wehleidigkeit.“ Dass damals so viele mit Lichterketten gegen den
rechten Terror aufgestanden seien, „das hat mich schon sehr gefreut“, sagt
der 47-jährige Zaimoglu aber auch. „Ich gehöre nicht zu den Zynikern, die
das als Pflasterpolitik und Friedens-Hippie-Ding abgetan haben.“
Imran Ayata, der damals 23 Jahre alt war, erlebte Mölln auch als Wendepunkt
im Selbstverstädnis vieler Einwanderer. „Diese Ereignisse haben dazu
geführt, dass bestimmte Milieus erstmals angefangen haben, sich für Politik
in Deutschland zu interessieren“, sagt er. „Ein großer Teil der
türkeiorientierten Linken hatte bis dahin eher so eine Art Heimatmarxismus
betrieben“. Viele türkischstämmige Jugendliche dagegen flüchteten sich aus
Trotz gegen den Rassismus in einen diffusen Immigranten-Nationalstolz,
übernahmen türkische Symbole und versuchten, mit Macker-Posen Stärke zu
demonstrieren. Andere wiederum begannen, sich in deutschen Parteien zu
engagieren, es entstanden Initiativen wie „Immigrün“ bei den Grünen.
„Ich selbst bin durch die Ereignisse zum Schreiben gekommen“, sagt Imran
Ayata, der vor kurzem seinen viel beachteten Debütroman „Mein Name ist
Revolution“ veröffentlicht hat.
## „Ich finde es gut, Gesicht zu zeigen“
Auch die Schauspielerin Pegah Ferydoni fährt am Freitag mit ihm nach Mölln.
Als die Bilder aus Mölln über den Fernseher flimmerten, war die Tochter
iranischer Flüchtlinge gerade mal neun Jahre alt. Doch auch sie haben diese
Bilder geprägt. „Ich weiß, dass ich damals eine akute Angst vor Neonazis
hatte“. Schon als Kind startete sie an ihrer Schule „Aktionen gegen
rechts“.
Heute will sie beim Gedenken in Mölln dabei sein: „Ich finde es gut, da
Gesicht zu zeigen. Die Menschen vergessen zu schnell, was alles passiert
ist“, findet Pegah Ferydoni, die auch als Moderatorin für den Kultur-Kanal
des ZDF arbeitet. „Viele glauben noch immer, es gebe in Deutschland kein
Problem mit Rassismus. Selbst die Debatte um die die NSU-Mordserie dreht
sich vor allem um V-Leute und den Verfassungsschutz“, ärgert sie sich.
Als Mitbringsel nimmt ihre Berliner Reisegruppe deshalb nun eine neue
Gedenktafel mit nach Mölln. Die sieht fast genau aus so wie die, mit der
jetzt schon am Haus der Arslans an den Anschlag erinnert wird. Nur, was das
Motiv für den Anschlag war, steht bislang nicht auf dem Schild. Darum haben
Imran Ayata und seine Mitreisenden das Wort „rassistisch“ einfügen lassen.
„Man muss die Dinge beim Namen nennen“, findet Ayata.
23 Nov 2012
## AUTOREN
Daniel Bax
Daniel Bax
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