| # taz.de -- Ibrahim Arslan über Anschlag von Mölln: „Wir waren der Schandfl… | |
| > Als Neonazis im November 1992 das Haus in Brand setzten, in dem er mit | |
| > seiner Familie lebte, war Ibrahim Arslan 7 Jahre alt. Drei Verwandte | |
| > starben. | |
| Bild: Nach dem Neonazi-Anschlag: Feuerwehrmänner betrachten das ausgebrannte H… | |
| taz: Herr Arslan, ist es schwer, über diese Nacht zu sprechen? | |
| Ibrahim Arslan: Natürlich ist es schwer. Es ist schwer über alle | |
| faschistischen Angriffe zu sprechen. Dieser Anschlag hier ist ein Teil | |
| meines Lebens, er berührt mich, auch meinen Alltag. Ich leide weiter unter | |
| diesem Anschlag. | |
| Wie? | |
| Ich habe eine posttraumatische Belastungsstörung, chronischen Husten. Ich | |
| litt unter Schlafstörungen und Verfolgungswahn. Der Husten ist geblieben. | |
| Er wird schlimmer, wenn ich drüber spreche, schlimmer am Abend, wenn ich | |
| etwas Verbranntes rieche und wenn der Tag näher kommt. | |
| So wie jetzt? | |
| Ja. | |
| Sie haben Albträume? | |
| Ja. Ich habe nur ein Bild vor Augen, wenn ich an diese Nacht denke. Ich saß | |
| ja neben dem Kühlschrank, meine Großmutter hat mich mit nassen Tüchern | |
| eingewickelt, die Feuerwehr spritzt eiskaltes Wasser aufs Haus, ich friere. | |
| Ich sehe nur einen brennenden Hintergrund und Töpfe. Das hab ich jahrelang | |
| jede Nacht geträumt: Flammen im Hintergrund und die Töpfe in unserer Küche. | |
| Ist es nicht nur schwer, hilft es auch, drüber zu sprechen? | |
| Ja, auf jeden Fall. Wenn ich mit Menschen rede, die nichts davon wissen, | |
| erleichtert mich das. | |
| Sprechen Sie in der Familie darüber? | |
| Ständig, vor allem wenn der Tag näher kommt. Wir wollen nicht darüber | |
| sprechen, aber wir tun es. Wir sprechen nicht über die Details, wir | |
| sprechen über das Persönliche. | |
| Was empfinden Sie Ihrer Großmutter gegenüber? | |
| Das ist sehr schwer. Ich bin ihr dankbar, ich verdanke ihr mein Leben, ich | |
| bin ihr mein Leben schuldig. Ich erinnere mich an sie, wie sich ein | |
| Siebenjähriger an seine Oma erinnert. | |
| Fühlen Sie sich schuldig? | |
| Weil ich lebe und sie nicht? Nein, fühle ich mich nicht. Warum sollte ich? | |
| Mit dieser Frage beschäftige ich mich nicht. Ich weiß, dass ich an ihrer | |
| Stelle genauso gehandelt hätte. | |
| Was empfinden sie Ihrer Schwester gegenüber? | |
| Yeliz war ein sympathisches, nettes Mädchen. Sie hat mir ihr Schulgeld und | |
| ihr Taschengeld gegeben, damit ich mir was kaufen kann. Sie ist mit mir an | |
| der Hand über die Straße gegangen, sie war meine große Schwester. | |
| Wie haben ihre Mitschüler reagiert? | |
| Schlecht, sehr schlecht, ich war in der Grundschule, in der zweiten Klasse. | |
| Meine Mitschüler waren nicht solidarisch, sind nicht so mit mir umgegangen, | |
| wie man mit einem kleinen Jungen umgeht, dem das angetan wurde. Die haben | |
| mich zusammengeschlagen und „scheiß Ausländer“ gerufen. | |
| Sind Sie zu den Lehrern gegangen? | |
| Ja, die Lehrer haben nicht eingegriffen, die haben mir nicht geglaubt. Das | |
| war hart. | |
| Sind Sie in Mölln auf der Straße angesprochen worden? | |
| Oft. Nicht auf das, was passiert ist, das wussten ja alle, sondern darauf, | |
| dass wir noch da sind. Das wurde negativ gesehen, die Leute wollten, dass | |
| wir weggehen. | |
| Sie sind als Ausländer diskriminiert worden und als Opfer des Anschlags? | |
| Ich kann mich erinnern, wie ich mit dem Fahrrad vom Bolzplatz nach Hause | |
| radle. Die Polizei hält mich an, ich hab’ keinen Helm auf. Der Polizist | |
| sagt: „Arslan, Du bekommst keine Strafe, Du landest sowieso im Knast, wenn | |
| Du älter wirst.“ Beim „Tag der offenen Tür“ der Polizei steh ich mit den | |
| Jungs vor der Wache und der Polizist sagt: „Du kommst hier nicht rein, Du | |
| siehst das bald sowieso von innen.“ | |
| Die Nazis haben Ihr Haus zerstört, wo haben Sie gewohnt? | |
| Wir haben zunächst im Gästehaus von Mölln gelebt, dann in einem unbewohnten | |
| Haus zur Überbrückung, bis das abgebrannte Haus renoviert ist. Irgendwann | |
| hat man uns vor die Alternative gestellt: Entweder Container oder in das | |
| Haus zurück, in dem uns das ganze Leid angetan wurde. Wir haben dann in dem | |
| Haus gewohnt, aber das ging nicht. Mein Vater bekam keinen Job mehr, ich | |
| hatte keine Ausbildungsperspektive. Nicht die Nazis, wir waren der | |
| Schandfleck von Mölln. | |
| Weil Ihr Mölln an den Schandfleck erinnert habt? | |
| Ja, den Schandfleck in ihrer Mitte. Den Rassismus, den Faschismus, den | |
| wischt man nicht weg, mit dem Opfer geht das. | |
| Sie leben nicht mehr in Mölln? | |
| Nein. | |
| Wie ist es, nach Mölln zurückzukommen? | |
| Beschissen. Mit Mölln verbindet mich nur der Anschlag, nur schreckliche | |
| Dinge. Das einzig Positive sind meine Freunde dort, sonst erinnert mich | |
| jedes Haus, jeder Pflasterstein an den Anschlag. | |
| Wie ist das offizielle Mölln mit dem Anschlag umgegangen? | |
| Wir wurden nicht respektvoll behandelt. Das Haus wurde zwar nach meiner | |
| Großmutter benannt, aber es ist keine Gedenkstätte. Auf der Gedenktafel | |
| steht nicht, dass Neonazis den Brandanschlag verübt haben. Die Gedenkfeiern | |
| wurden 18 Jahre lang so gemacht, wie die Stadt das wollte, wir waren | |
| Figuren am Rand. Es wurden Reden gehalten, am Ende ein Satz zu den Arslans. | |
| Danke, Applaus, auf Wiedersehen. Der Bürgermeister von Mölln lädt andere | |
| Politiker anderer Städte, in denen Anschläge waren, ein, aber nicht die | |
| Opfer. | |
| Die Opfer stören. | |
| Genau. | |
| Sie organisieren die Gedenkveranstaltungen in diesem Jahr so, wie Sie das | |
| wollen? | |
| Ja, es gibt einen Freundeskreis, der zusammen mit uns in Mölln | |
| Gedenkveranstaltungen organisiert, bei der die Opfer im Vordergrund stehen. | |
| Was der Stadtverwaltung nicht gefällt. | |
| Um was geht es bei diesen Veranstaltungen? | |
| Um die Opfer. Sie sollen ihre Stimmer erheben, wir sind keine Statisten, | |
| wir sind die Zeugen des Geschehens, wir müssen sprechen. | |
| Wie bei den NSU-Morden wurden auch in Mölln die Falschen verdächtigt, | |
| obwohl die Sache klar war. | |
| Das war auch in Ludwigshafen und Lübeck so. Erst wurde mein Vater | |
| verdächtigt, der in der Nacht in Hamburg war, dann andere Türken aus Mölln, | |
| obwohl die Täter nach jedem Anschlag bei der Polizei anriefen und sagten: | |
| „In der Ratzeburger Straße brennt ein Haus. Heil Hitler!“, und: „In der | |
| Mühlenstraße brennt ein Haus. Heil Hitler!“ Da hat sich in Deutschland | |
| nichts verändert. Da ist ein tief sitzender Rassismus, bei der Polizei, | |
| beim Verfassungsschutz, in den Ämtern, in der Mitte der Gesellschaft. Ich | |
| habe das Gefühl, das ist schlimmer geworden. | |
| Warum? | |
| Vor ein paar Jahren konnte man die Nazis noch identifizieren, die hatten | |
| Springerstiefel und Bomberjacken an. Das ist heute anders. Die tarnen sich, | |
| die sind nicht mehr zu erkennen. Ich habe kein Vertrauen in den deutschen | |
| Staat, ich wüsste nicht, wen ich anrufen sollte, wenn was passiert. | |
| Die beiden Täter sind inzwischen auf freiem Fuß? | |
| Ja. | |
| Haben die Kontakt zu Ihnen aufgenommen? | |
| Nein, das möchten wir nicht. Die wissen nicht, wo wir leben, ich möchte | |
| nicht wissen, wo die leben und was die machen. | |
| Sie haben Angehörige der Toten der NSU-Morde eingeladen. | |
| Ja, Fadime Şimşek, die Nichte von Enver Şimşek, dem ersten NSU-Opfer, und | |
| Hülya Özdag, die Konditorei-Betreiberin, die 2004 den Bombenanschlag in der | |
| Keupstraße in Köln erlebte. Die müssen ihre Geschichte erzählen. Viele | |
| sagen, ich würde reden wie ein Mitglied der Antifa, also politisch | |
| argumentieren, aber das ist es nicht. Es sollte ein menschlicher Reflex | |
| sein, Rassismus und Faschismus entgegenzutreten. | |
| Es gibt einen politischen Aspekt. | |
| Klar – aber es gibt noch was darüber. Es muss einem als Mensch klar sein, | |
| dass wir alle Rassismus und Faschismus bekämpfen müssen. | |
| 15 Nov 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Roger Repplinger | |
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