# taz.de -- Gedenken an den Brandanschlag in Mölln: Hohles Pathos | |
> Vor 20 Jahren zündeten Neonazis in Mölln zwei Häuser von türkischen | |
> Familien an. Die Landespolitiker auf der Gedenkveranstaltung wollen nur | |
> eins: schnell wieder weg. | |
Bild: Im Haus in der Ratzeburger Straße gab es neun Verletzte, im Haus in der … | |
MÖLLN taz | Es ist gegen 20 Uhr, als es im Quellenhof in Mölln laut, und | |
für die Politiker unangenehm wird. Der Quellenhof, in dem 400 Zuhörer sind, | |
ist die größte Halle der Stadt Mölln, in der in der Nacht von 23. auf den | |
24. November 1992 zwei Häuser brannten, in denen türkische Familien lebten. | |
In Brand gesetzt durch zwei Neonazis. | |
Im Haus in der Ratzeburger Straße gab es neun Verletzte, im Haus in der | |
Mühlenstraße, drei Tote: Bahide und Yeliz Arslan, Ayse Yilmaz. Gegen 20 Uhr | |
wird es laut, weil Torsten Albig (SPD), Ministerpräsident von | |
Schleswig-Holstein, und Landtagspräsident Klaus Schlie (CDU) gehen wollen. | |
Sie waren in der Fatih Sultan Moschee und haben mit dem Hodscha, Sinan | |
Polat, gebetet. | |
Sie sind von der Moschee zum Bahide-Arslan-Haus in der Mühlenstraße | |
gegangen. Durch die saubere, kleine Stadt in Schleswig-Holstein, mit ihrem | |
Kopfsteinpflaster, ihren Friseurgeschäften mit herbstlicher | |
Schaufensterdeko, den Häusern, in denen die Rollladen unten sind, die | |
Vorhänge zugezogen, in denen das blaue Licht der Fernseher blinkt, in deren | |
Kneipen Kasseler Rippchen gegessen werden, und in der Eisdiele | |
Bananen-Split, Frauen mit ihrem Pudel und hochgezogenen Augenbrauen Gassi | |
gehen. | |
Schlie und Albig haben vor dem Bahide-Arslan-Haus große Kränze | |
niedergelegt, das vom „Freundeskreis im Gedenken an den rassistischen | |
Brandanschlag von Mölln 1992“, der zusammen mit der Stadt und der Familie | |
Arslan die Gedenkveranstaltungen organisiert, angebrachte provisorische | |
Straßenschild „Bahide-Arslan-Gang“ gesehen. | |
## Die Wagen warten | |
Die Familie wünscht sich, dass Straßen nach den Opfern benannt werden und | |
die Tafel am Haus ausgetauscht wird, weil da von einem „Brandanschlag“ | |
geschrieben steht, und die Worte „rassistischen Brandanschlag“ ehrlicher | |
wären. Sie haben Fernseh- und Radio-Interviews gegeben und Albigs Glatze | |
dampfte, als er aus der warmen Moschee auf die Straße kam. Regenwasser lief | |
an ihr herunter, als einer der Bodyguards den Schirm in den Landesfarben | |
nicht über ihn hielt. Sie haben im Quellenhof Grußworte gesprochen und | |
wollen nach Hause. Die Wagen warten. | |
Faruk Arslan, der Sohn von Bahide Arslan, dessen Gesicht mehr über die | |
Nacht von vor 20 Jahren und ihre Folgen sagt, als alle Reden, und Ibrahim | |
Arslan, sein Sohn, der als Siebenjähriger viereinhalb Stunden im brennenden | |
Haus neben dem Kühlschrank kauerte, von der Großmutter mit nassen Tüchern | |
eingewickelt, die beim Versuch, seine Geschwister zu retten, stirbt, reden | |
auf Schlie, der in seinem Grußwort drei Mal sagt, dass er in Mölln geboren | |
ist, und Albig ein. | |
Sie sollen bleiben, um zu hören, was Ahmet Arslan, Ibrahim Arslan und | |
Servet Yilmaz zu sagen haben. Die Politiker sind dabei, das Motto der | |
Veranstaltung „Die Erinnerung erkämpfen“ zu verraten und das, was sie in | |
ihren Reden verbreitet haben, als das zu entlarven, was es war: hohles | |
Pathos. „Wir beugen uns nicht den Extremisten“, rief Albig, und „wir steh… | |
auf gegen faschistische Untaten“. Nun steht er auf und will nach Hause. | |
Schlie sprach von „Ungeist“ und einem „verhängnisvollen Weg“, und dass… | |
nie geglaubt hätte, dass so was in Mölln möglich sei. Politiker, die nicht | |
von Politik sprechen, und denen es an Begriffen, Theorien und Gefühl fehlt, | |
um sich und das, um was es geht, auszudrücken. Albig und Schlie bleiben. | |
Und hören die Rede von Beate Klarsfeld. Klarsfeld, 73 Jahre alt, hatte am | |
7. November 1968 in der Berliner Kongresshalle Bundeskanzler Kurt-Georg | |
Kiesinger geohrfeigt und „Nazi, Nazi, Nazi!“ gerufen. | |
## Von Nazis durchsetzt | |
Sie wurde zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, musste die Strafe als | |
französische Staatsbürgerin nicht absitzen. Klarsfeld spricht nicht über | |
Mölln, sondern über den Nationalsozialismus und ihren Kampf gegen Nazis wie | |
Ernst Ehlers, nach 1945 Verwaltungsgerichtsrat in Schleswig, und Kurt | |
Asche, die in der schleswig-holsteinischen Gesellschaft prima lebten, weil | |
der Justizapparat des Landes von Nazis durchsetzt war, und damit wird es | |
nun politisch, weil so soziale Kontinuitäten deutlich werden, hin zu | |
Verfassungsschutz und NSU-Morden, rassistischen Überzeugungen von Teilen | |
der Gesellschaft, die von den Politikern nicht gesehen werden wollen. | |
So viel Politik war vorher nur im klugen Gespräch zwischen Hilal Sezgin, | |
der Publizistin, und Imran Ayata, dem Mitbegründer von KanakAttack, im | |
überfüllten Stadthauptmannshof in Mölln. | |
Hier bietet der Bürgermeister Möllns, Jan Wiegels, einer der Angehörigen | |
der Familie Arslan, seinen Platz in der ersten Reihe an, und hockt sich auf | |
die Stufen der Bühne. Sezgin sagt, dass sie „vor zehn Jahren gar nicht | |
wusste, dass ich Migrationshintergrund habe“. Und redet über das Wort | |
„Hintergrund“, und erklärt, dass ein Kind, das sie vielleicht mal bekommt, | |
auch „Hintergrund“ hätte. Und immer so weiter. Immer Hintergrund. | |
Und Ayata sagt, dass „politisches Engagement beginnt, wenn Leute bestimmte | |
Zustände nicht mehr hinnehmen“. Zum Beispiel den Zustand, dass andere das | |
Gedenken an die Brandanschläge in Mölln bestimmen, Politiker wie Albig und | |
Schlie, und nicht die Opfer. Die sprechen am Ende der Veranstaltung. | |
## Schwierigkeiten mit dem Visum | |
Servet Yilmaz, Bruder von Ayse Yilmaz, der in der Türkei lebt, beklagt | |
sich, „dass wir zu keiner der bisherigen Gedenkfeiern eingeladen wurden“, | |
und fragt Stadt und Land: „Haben sie nie daran gedacht, dass Ayshe Yilmaz | |
einen Vater und eine Mutter und Geschwister hat?“ | |
Er erzählt von den Schwierigkeiten, ein Visum für Deutschland zu bekommen, | |
um an der Gedenkveranstaltung teilzunehmen. „Das Einzige, was sie getan | |
haben“, sagt Yilmaz, „ist, uns Ayse in einem Sarg zu schicken.“ Ahmet | |
Arslan, Bruder von Bahide Arslan, kritisiert, dass die Überlebenden „keine | |
Hilfe bekommen haben“, nach den richtigen Ärzten suchen, für ihre Renten | |
kämpfen mussten, dass „uns niemand an die Hand genommen hat“. | |
Er erzählt mit zitternder Stimme von seiner Frau, die mit ihrem Sohn aus | |
dem Fenster sprang, um ihm das Leben zu retten. Auf Albigs Glatze bilden | |
sich dort, wo der Kragen seines Hemdes beginnt, kleine, rote Pusteln. Und | |
er kratzt sich mit dem Zeigefinger der rechten am Daumen der linken Hand. | |
„Vielleicht ist es doch gut, dass sie geblieben sind“, wendet sich Ibrahim | |
Arslan in seinem Schlusswort an die Politiker, „vielleicht haben sie was | |
erfahren.“ | |
24 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
Roger Repplinger | |
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